Kommt der Hausarrest für alle?: Deutschland vor der Ausgangssperre – die wichtigsten Fragen und Antworten
Die Politik debattiert über Ausgangsbeschränkungen. Bayern hat sie schon verhängt, Berlin zögert noch. Was spricht für das Mittel? Und wer darf noch raus?
Bayern ist am Freitag als erstes Bundesland in Deutschland vorgeprescht und hat eine Ausgangssperre verhängt – oder genauer: „grundlegende Ausgangsbeschränkungen“, wie Landeschef Markus Söder (CSU) es nannte. Berlin kann sich bisher nicht dazu durchringen, doch die Diskussion um eine derart weitgehende Beschränkung der persönlichen Bewegungsfreiheit ist im vollen Gange.
Was ist noch erlaubt?
In der aktuellen Coronavirus-Krise gibt es Vorbilder für Ausgangssperren aus einzelnen Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen und Bayern. Dort sollen die Menschen zu Hause bleiben und ihren Aufenthalt im Freien auf das Nötigste beschränken.
Dazu gehört neben der Versorgung mit Lebensmitteln und Arzneien auch die Bewegung an der frischen Luft, der Weg zur Arbeit und zurück nach Hause, aber auch Jogging und die Gassirunde mit dem Hund. Allerdings sollte dabei jeder den nötigen Abstand zu anderen Menschen halten. Gruppenansammlungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen sind verboten. Wenn überhaupt Aktivitäten im Freien, dann nur mit der Familie.
Auf welcher Grundlage können Ausgangssperren erlassen werden?
Die zuständigen Behörden greifen dafür bisher auf Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes zurück. Demnach dürfen die „notwendigen Schutzmaßnahmen“ angeordnet werden, wenn Ansteckungsgefahren vorliegen.
Ausdrücklich erlaubt ist es, Veranstaltungen oder Menschenansammlungen einzuschränken. Das Wort „Ausgangssperre“ taucht nicht auf, aber die Behörde „kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind“.
Für welche Orte gelten die Verbote?
Das entscheiden die örtlich zuständigen Behörden, vielfach sind es die Landratsämter, sonst auch Gesundheitsbehörden. Sie erlassen sogenannte Allgemeinverfügungen, also einen Verwaltungsakt, mit dem im konkreten Fall Näheres bestimmt wird. Die erste Verfügung, die „das Verlassen der häuslichen Unterkunft ohne triftigen Grund“ untersagt hat, kam vom Landratsamt Tirschenreuth in Bayern. Betroffen war die Stadt Mitterteich mit Ausnahme verschiedener Ortsteile.
Wie könnten flächendeckende Verbote funktionieren?
Das Infektionsschutzgesetz ermächtigt die Landesregierungen, durch Rechtsverordnungen „entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen“. Ein solches Verbot könnten weiträumige Ausgangssperren sein. Rechtsverordnungen sind keine Gesetze – die nur ein Parlament beschließen kann. Es handelt sich hier um Exekutivrecht zur Abwehr vor Gefahren.
[Mehr zum Thema: Ausgangssperren sind ein eindeutiges Signal an die Bevölkerung. Harte Evidenz dazu, was sie bringen, gibt es jedoch nicht]
Was wäre nach einer Ausgangssperre noch möglich?
Das kommt auf die Ausgestaltung der jeweiligen Verfügungen der Länder und Kommunen an. Sowohl bei Allgemeinverfügungen wie in Rechtsverordnungen gibt es Spielräume.
Für Mitterteich wurden Wege zur Arbeitsstätte, zum Arzt, zu Apotheken oder zur Post vom Verbot ausgenommen – diese sind also weiterhin erlaubt. Ebenso Einkaufsfahrten, „notwendiger Lieferverkehr“ oder die „unabdingbare Versorgung von Haustieren“. Gassigehen wäre in Mitterteich also möglich, Spazierengehen aber nicht.
Die geplanten Verbote für Bayern sollen Sport und Bewegung an der Luft erlauben – damit wären die Freiräume deutlich größer. In Freiburg hat die Stadt in ihrer Allgemeinverfügung das Betreten „öffentlicher Orte“ untersagt, gemeint sind Straße, Wege, Parks, Grünanlagen, Gehwege. Die Stadt erlaubt die notwendigen Gänge zu Supermärkten, zur Post, zu Wochenmärkten, Drogerien, Tankstellen, Friseuren, Waschsalons oder Banken.
Eltern aus sogenannten systemrelevanten Berufen, also Gesundheitssystem, Feuerwehr, Polizei, dürfen ihre Kinder zur Notbetreuung bringen. Auch der Aufenthalt im Freien mit den Familienangehörigen oder Personen, die im gemeinsamen Haushalt wie Wohngemeinschaften leben, ist erlaubt.
Einzige Vorgabe dabei ist, „dass grundsätzlich ein Abstand von mindestens 1,50 Metern“ gehalten wird. Für alle Zwecke – außer für den Spaziergang – darf auch der öffentliche Personennahverkehr genutzt werden, auch dabei gelten allerdings die Abstandsregeln. Und wichtige Berufsgruppen werden bei jeder Ausgangssperre ohnehin ausgenommen: Polizisten, Feuerwehrleute, Lieferanten, Mitarbeiter von Versorgern wie Stadtwerke und Kassierer.
Was plant Bayern?
Mit der Entscheidung der bayerischen Landesregierung haben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Länder-Regierungschefs wie Berlins Michael Müller (SPD) eine Vorlage bekommen. Am Sonntag soll ein gemeinsames Bund-Länder-Vorgehen besprochen werden. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) sagte dem „Spiegel“, man warte noch die Entwicklung an diesem Samstag ab.
Um die Welle des sprunghaften Anstiegs der Infektions- und Todeszahlen zu brechen, hat Ministerpräsident Söder bereits für die Zeit ab Samstag, 0 Uhr, weitgehende Beschränkungen verfügt: Untersagt werden Gastronomiebetriebe jeder Art – aber es dürfen noch Speisen nach Hause geliefert werden. Ansonsten sind die bayerischen Vorgaben ähnlich wie etwa in Freiburg: Also Einkäufe und Sport im Freien, selbst Ausflüge mit dem Auto in die Natur sind möglich – aber nur mit den direkten Kontaktpersonen aus dem gemeinsamen Haushalt.
Auch das Verlassen von Haus oder Wohnung zur Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis ist möglich. Die bayerische Polizei ist angehalten, die „triftigen Gründe“ für das Verlassen von Häusern und Wohnungen zu überprüfen, wenn sie jemanden auf der Straße oder im Auto kontrolliert. „Im Falle einer Kontrolle sind die triftigen Gründe durch den Betroffenen glaubhaft zu machen.“ Eine Überwachung mit Drohnen ist nicht geplant.
[Mehr zum Thema: Wir müssen uns auf eine historische Einschränkung bürgerlicher Freiheit einstellen – ein Kommentar]
Wann entscheiden Berlin und Brandenburg über eine Ausgangssperre?
Im rot-rot-grünen Senat gibt es bislang keine gemeinsame Position zu einer möglichen Ausgangssperre. Das wurde auf der außerordentlichen Sitzung des Senats am Donnerstagabend sehr deutlich. Die Linke lehnt eine Ausgangssperre vehement ab, die Grünen wollen zunächst den Effekt der bisher getroffenen Maßnahmen beobachten. Auch in der SPD ist man sich nicht einig: Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sieht eine Ausgangssperre nicht als „Allheilmittel“. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) dagegen plädierte für eine Ausgangssperre. Sie konnte sich damit nicht durchsetzen. Ein entsprechender Entwurf einer Rechtsverordnung liegt bereits vor.
Wenn die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten am Sonntag beraten hat, tut dies der Senat in einer Telefonkonferenz. Eines ist klar: Einen Alleingang von Berlin und Brandenburg wird es nicht geben. Der Senat belässt es vorsorglich bei Appellen – der Inhalt entspricht den Ausgangssperren anderswo.
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Umweltsenatorin Regine Günther (Grüne) erklärte am Freitag, Spaziergänge in Wäldern und Parks seien gesund und böten eine Abwechslung, man sollte aber nur allein oder zu zweit in der Natur unterwegs sein, Abstand zu anderen Menschen halten und die Gelegenheit nicht für Verabredungen mit Freunden oder für Lauf- oder Hunderunden nutzen.
Auch die Kenia-Koalition in Potsdam wartet ab. Allerdings reichen Arbeitgeber in Berlin und Brandenburg wie Kliniken, Hilfsorganisationen und Stromversorger bereits Passierscheine aus, mit denen sich Mitarbeiter aus systemrelevanten Bereichen ausweisen können.
Was droht bei Verstößen?
In den Verfügungen des Freistaates Bayern ist folgendes vorgesehen: Wer grob gegen die Auflagen verstößt, kann dort mit einer Geldbuße von bis zu 25.000 Euro belegt werden. Das Infektionsschutzgesetz enthält auch Strafvorschriften. Verstöße können sogar mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden.
Wer Krankheitserreger durch sein Handeln weiterverbreitet, dem drohen laut Gesetz sogar mindestens drei Monate und bis zu fünf Jahren Haft. Allerdings kann sich ohnehin strafbar machen, wer vorsätzlich oder fahrlässig andere mit dem Virus ansteckt.
Wie hart kann die Polizei vorgehen, wie laufen die Vorbereitungen?
Die Unsicherheiten auf allen Seiten sind groß, weshalb die Polizei zunächst wohl maßvoll vorgehen wird. Die Berliner Polizei hat einen Krisenstab gebildet. Die Hundertschaften sind vorbereitet und werden verstärkt mit Polizeischülern, die wegen der Pandemie derzeit nicht unterrichtet werden können. Bei einer Ausgangssperre gäbe es einen Großeinsatz, die Polizei will aber zunächst auf Kommunikation setzen, auch wenn unmittelbarer Zwang erlaubt wäre.
Die Polizei muss Menschenansammlungen auflösen, Passanten befragen, ob sie tatsächlich zum Einkauf, zur Arbeit unterwegs sind. Aber ein hartes Vorgehen wäre schwer vermittelbar, heißt es intern. Denn in einer Demokratie lebt der Staat eben auch davon, dass er nicht wie in autoritären Ländern wie China ganze Städte einfach abriegeln und Grundrechte massiv einschränken kann. Die Polizei setzt daher im Fall einer Ausgangssperre in Berlin zunächst vor allem auf die Einsicht der Bürger.
Können Betroffene gegen Sperren klagen?
Grundsätzlich ja. Deshalb ist es wichtig, dass die Behörden auf die Verhältnismäßigkeit achten, gerade auch bei der Ausgestaltung. Unumstritten sind die Grundlagen des Infektionsschutzgesetzes zudem nicht. Der Wortlaut von Paragraf 28 stellt auf den Ort ab, an dem sich Personen aktuell „befinden“. Dort sollen sie auch nur bleiben, solange weitere Schutzmaßnahmen laufen. An ein Verbot, die eigene Wohnung zu verlassen, dürfte der Gesetzgeber bei diesen Formulierungen kaum gedacht haben.
Sind Ausgangssperren auch auf anderer Grundlage möglich?
Denkbar ist die Errichtung von Sperrzonen nach den Katastrophenschutzgesetzen der Länder. Allerdings sind diese Gesetze auf andere Situationen, nämlich „Großschadensereignisse“ zugeschnitten. Im Katastrophenfall könnte die Bundeswehr hinzugezogen werden, dürfte aber wohl kaum Ausgangssperren im Pandemiefall kontrollieren. Das Grundgesetz sieht für diesen Fall vor, dass die Streitkräfte die Polizei unterstützen, nicht aber die Kontrolle übernehmen.
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