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Olaf Scholz (R) und Volodymyr Selensky
© Sven Hoppe / POOL / AFP

Größter Krieg in Europa seit 1945?: Der Westen redet sich in der Zwischenzeit Mut zu

Die Bilanz der Münchner Sicherheitskonferenz? Russland fehlt, die Ukraine bekommt mehr gute Worte als Taten, Deutschland will mehr Geld fürs Militär. Eine Analyse.

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist nach drei Tagen mit düsteren Warnungen zu Ende gegangen: Europa drohe in den kommenden Tagen der Ausbruch des „vielleicht größten Kriegs in Europa seit 1945“, bekräftigte der britische Premier Boris Johnson.

Ähnlich hatten zuvor Bundeskanzlers Olaf Scholz, US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Spitzenvertreter der Nato und der EU die Lage beschrieben. Die Ungewissheit, ob Wladimir Putin nach dem Ende der Olympischen Winterspiele in Peking die Ukraine aus vier Richtungen angreift und auf die Hauptstadt Kiew vorstößt, beherrschte auch am Sonntag die Debatten.

Mit Sorge wurden Hinweise analysiert, dass Russland mit verdeckten Operationen einen Vorwand konstruieren wolle, der als Rechtfertigung für einen Einmarsch zum angeblichen Schutz von Bürgern mit russischem Pass dienen soll. Ein Alarmzeichen waren russische Meldungen, Ukrainer hätten das Auto des „Polizeichefs“ der Separatisten in der „Volksrepublik Donezk“ in die Luft gesprengt.

Die Analyse der Bilder ergab, dass ein billiges altes Fahrzeug explodiert war, an das jemand die Kennzeichen des Dienstautos montiert hatte – und nicht das neue, teure Modell, dass der Polizeichef nutzt.

Sympathien für die Ukraine, langer Beifall für Selenskyj

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow warnte am Sonntag: Ukrainische Provokationen könnten zu „irreparablen Konsequenzen“ führen.

[Lesen Sie alle aktuellen Entwicklungen in unserem Blog zur Krise um die Ukraine]

Russland hatte erstmals seit vielen Jahren die Einladung zum Dialog abgelehnt und keinen Vertreter nach München geschickt. Dort beklagten viele Putins Desinformationskampagnen. Am Dienstag hatte er den Abzug von Truppen angekündigt. Stattdessen marschierten mehr auf.

Die Präsidenten von Russland und Belarus, Wladimir Putin (rechts) und Alexander Lukaschenko beaufsichtigen Übungen mit Atomraketen.
Die Präsidenten von Russland und Belarus, Wladimir Putin (rechts) und Alexander Lukaschenko beaufsichtigen Übungen mit Atomraketen.
© Alexei Nikolsky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Der Kreml hatte zugesagt, die Manöver mit Belarus würden am Sonntag enden und alle russischen Einheiten heimkehren. Nun bleiben sie doch in Belarus.

[Lesen Sie auch: Nach dem Treffen von Putin und Scholz: Die Schlinge um den Hals der Ukraine bleibt. (T+)]

Die Sympathien auf der Konferenz liegen klar bei der Ukraine. Ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde am Sonnabend mit langem Applaus begrüßt. „Ich denke, das gilt nicht mir, sondern der Ukraine und unseren Soldaten“, bedankte er sich. Um dann zu klagen: Sein Land erhalte viele Worte der Solidarität, aber zu wenig Taten.

Putin übt mit Atomwaffen, die EU sucht die Sprache der Macht

Während Putin und sein belarussischer Kollege Alexander Lukaschenko am Wochenende Übungen mit Atomraketen beaufsichtigten – ein offenkundiger Versuch, westliche Bürger einzuschüchtern –, glichen die Debatten in München über weite Strecken einem Gespräch der westlichen Staaten mit sich selbst. Und am Sonntag Gesprächen der Europäer mit sich selbst.

Deutsche und europäische Politiker forderten, Europa müsse seine Verteidigungsfähigkeit verbessern. „Europa muss lernen, die Sprache der Macht zu sprechen“, sagte Charles Michel, Präsident des Europäischen Rats, des Gremiums der EU-Regierungschefs.

Europäische Selbstgespräche (von links nach rechts): die französische Verteidigungsministerin Florence Parly, ihre deutsche Kollegin Christine Lambrecht, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Moderatorin Nathalie Tocci.
Europäische Selbstgespräche (von links nach rechts): die französische Verteidigungsministerin Florence Parly, ihre deutsche Kollegin Christine Lambrecht, der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und Moderatorin Nathalie Tocci.
© Thomas KIENZLE/AFP

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verlangte, die EU müsse in der Lage sein, Truppen zu mobilisieren und zu verlegen, notfalls auch ohne Hilfe der Nato und der USA. Neben der „Sprache der Macht“ solle die EU aber auch die „Macht der Sprache“ nutzen, fuhr Borrell fort.

Die Selbstbestimmung souveräner Staaten gehöre zu den Prinzipien der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Russland unterzeichnet habe. Diese Prinzipien seien nicht verhandelbar.

Zwischen Russland sowie den Mitgliedern von EU und Nato lebten Menschen in „Swing States“, sagte Borrell. Der Westen müsse ihnen Orientierung geben und die Sicherheit, dass sie sich auf die internationale Ordnung verlassen können.

Verteidigungsministerin Lambrecht: Wir stecken mehr Geld ins Militär

Als die italienische Moderatorin Nathalie Tocci anmerkte, die Europäer „neigen dazu, viel zu reden und Papiere zu verfassen, aber wir müssen auch handeln können“, bekräftigte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Zusage des Kanzlers Scholz vom Sonnabend: Deutschland werde mehr Geld in das Militär stecken.

Ihre französische Kollegin Florence Parly sagte: „Wir brauchen ein stärkeres Europa im Bereich Sicherheit und Verteidigung.“ Die EU habe trotz vergleichbarer Wirtschaftskraft und Militärausgaben für das Militär viel weniger Fähigkeiten als die USA.

Die Vielzahl der unterschiedlichen Systeme treibe die Kosten. Die EU müsse nicht nur auf Bedrohungen an ihrer Außengrenze reagieren können, sondern auch auf Gefahren, die weiter entfernt liegen wie Terroristen in der Sahel-Zone oder die Lage im Indopazifik.

Merz verteidigt die Ampel: Kein Grund für Deutschland-Bashing

Der neue Oppositionsführer im Bundestag, Friedrich Merz (CDU), ließ in München keine Differenzen zur Bundesregierung erkennen. Ein Nato-Beitritt der Ukraine sei auf absehbare Zeit ausgeschlossen; ebenso eine Aufnahme in die EU.

Der neue Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) unterstützt den Kurs der Bundesregierung.
Der neue Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) unterstützt den Kurs der Bundesregierung.
© Sven Hoppe/dpa

Merz nahm die Ampel sogar in Schutz. Er sehe keinen Grund für „Deutschland- Bashing“. Die Bundesrepublik sei ein verlässlicher Partner. Sie erfülle ihre europäischen Verpflichtungen und ihre globale Verantwortung. Er warnte vor einer Flüchtlingswelle aus der Ukraine, falls ein Krieg komme. Und sagte mit skeptischem Unterton: Die Frage sei, ob die Europäische Union sich gerade wirklich auf eine solche Entwicklung vorbereite oder nicht.

China distanziert sich von Russland

Aufsehen erregte der Auftritt des chinesischen Außenministers Wang Yi am Sonnabend. Er stellte klar, dass Peking einen russischen Angriff auf die Ukraine scharf verurteilen werde. Die Ukraine habe Anspruch auf Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität.

Chinas Außenminister Wang Yi geht auf Distanz zu Russland.
Chinas Außenminister Wang Yi geht auf Distanz zu Russland.
© Michael Sohn/AFP

Wang Yi forderte eine friedliche Lösung des Ukraine-Konflikts auf der Basis des Völkerrechts und eine Rückkehr zum Minsker Abkommen. „Warum können sich nicht alle Seiten zusammensetzen und detailliert Gespräche führen und einen Zeitplan erarbeiten, wie dieses Abkommen umgesetzt werden kann?“, fragte er.

„Das ist das, was alle Parteien tun sollten, worauf sie sich konzentrieren sollen – anstatt die Spannungen zu erhöhen, Panik zu schüren und vielleicht sogar noch das Risiko eines Krieges wie eine Sensation zu intonieren.“

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