Antrittsbesuch des Kanzlers in Paris: Der Streit um die Kernkraft belastet Scholz' Besuch bei Macron
Bei seinem Antrittsbesuch in Paris kann Kanzler Scholz auf zahlreiche gemeinsame Interessen zurückgreifen. Das sind die wichtigsten Themen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat schon einmal vorgelegt. Bevor Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an diesem Freitag seinen Antrittsbesuch bei Macron abstattet, skizzierte der Staatschef bereits am Donnerstagnachmittag seine Pläne für Frankreichs EU-Vorsitz, der am 1. Januar beginnt.
Bei der Präsentation schlug der Hausherr im Elysée-Palast unter anderem eine Reform des Schengen-Raums vor, der nach seinen Vorstellungen einen neuen Mechanismus zum Schutz der Außengrenzen bei Migrationskrisen vorsehen soll. Darüber hinaus machte er deutlich, dass er die höhere Besteuerung von Großkonzernen voranbringen und die Brüsseler Pläne für einen EU-weiten Mindestlohn unterstützen will.
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Scholz und Macron kennen einander bereits. Zuletzt hatte der damalige SPD-Kanzlerkandidat den Staatschef während des Wahlkampfs im September im Elysée-Palast getroffen.
Diesmal wird es aus Macrons Sicht voraussichtlich interessant sein zu hören, wie die Bundesregierung zu den jüngsten Pariser Vorstößen in der EU-Politik steht.
Macron schließt Aufstockung des Corona-Fonds nicht aus
Dabei geht es nicht zuletzt um den Corona-Hilfsfonds der EU mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro. Am Donnerstag sagte Macron, es sei zu früh für eine Aussage darüber, ob der Fonds ausreiche. Er fügte aber auch hinzu: „Vielleicht müssen wir weiter gehen.“ Zunächst müsse aber ein „europäischer Konsens“ über den finanziellen Bedarf hergestellt werden, etwa bei den sozialen Folgen bei der Umsetzung der Energiewende.
Scholz wiederum hatte 2020, als der Corona-Hilfsfonds geschaffen wurde, von einem Hamilton-Moment gesprochen. Sprich: Die im Finanzpaket vorgesehene gemeinsame Aufnahme von Schulden bedeute einen Schub für das europäische Einigungswerk, wie ihn Alexander Hamilton als einer der Gründerväter der USA einst im 18. Jahrhundert auf der anderen Seite des Atlantiks herbeigeführt habe.
Von derart hehren Zielen ist im Berliner Koalitionsvertrag – wohl auch mit Rücksicht auf die FDP – keine Rede. Dort heißt es lediglich, dass der Corona-Wiederaufbaufonds der EU „ein zeitlich und in der Höhe begrenztes Instrument“ darstelle.
Mit Blick auf das Treffen zwischen Scholz und Macron sagte Manfred Weber, der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, dass es positiv wäre, „wenn es gelänge, gemeinsame Zukunftsprojekte zu definieren“.
EVP-Fraktionschef Weber: Verschuldung in den Griff bekommen
Wie Weber dem Tagesspiegel weiter sagte, bestehe die Schlüsselfrage bei künftigen Investitionen allerdings darin, „wie die EU-Staaten die überbordende Verschuldung nach Überwindung der Pandemie wieder in den Griff bekommen“.
Es müssten große Anstrengungen unternommen werden, um die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität der EU dauerhaft zu garantieren, sagte er weiter. „Dafür müssen die Euro-Stabilitätsregeln baldmöglichst wieder eingehalten werden.“
Auf der Brüsseler Agenda steht eine Reform des Stabilitätspaktes, der in der Praxis kaum eingehalten wird. Die Regeln das Paktes sehen eigentlich vor, dass die jährliche Neuverschuldung in den Ländern der Euro-Zone nicht über drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die Gesamtverschuldung nicht über 60 Prozent liegen soll.
Macron sagte, dass man Budgetregeln brauche. Allerdings sei der alte Streit darüber, ob man für das Drei-Prozent-Kriterium sei oder nicht, "überholt".
Während die Reform des Stabilitätspaktes ein mittelfristiges Projekt darstellt, besteht für Macron und Scholz in einer anderen Frage unmittelbarer Diskussionsbedarf. Demnächst will EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen darüber entscheiden, ob Gas und Kernenergie das Nachhaltigkeitssiegel von der EU erhalten.
Die Frage ist zwischen Berlin und Paris umstritten: Während Macron auf die Einbeziehung der Atomkraft in den Nachhaltigkeits-Katalog dringt, hält das Berliner Ampel-Bündnis nichts davon.
Von der Leyen trifft demnächst Entscheidung zur Atomkraft
Falls sich aber von der Leyen in ihrem Rechtsakt für die so genannte grüne Taxonomie tatsächlich für eine Förderung der Kernkraft als klimafreundliche Energie aussprechen sollte, wäre dies für die neue Bundesregierung kaum wieder rückgängig zu machen.
Denn es müsste sich schon eine Mehrheit von insgesamt 20 EU-Staaten finden, die sich für einen Einspruch zusammentun müssten. Danach sieht es angesichts der Unterstützung für die Atomkraft in zahlreichen osteuropäischen Ländern, aber auch in Staaten wie Finnland, nicht aus.
Österreich erwägt indes bereits, eine mögliche Brüsseler Entscheidung zu Gunsten der Atomkraft vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzufechten.