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Im Blick. In Niedersachsen bespitzelten die Schlapphüte mehrere Journalisten - rechtswidrig, wie mittlerweile feststeht.
© picture alliance / dpa

Pressefreiheit: Der Staat macht dicht

Regierung und Verfassungsschutz weigern sich mit einer dünnen Begründung, Parlament und Presse über die Beobachtung von Journalisten zu informieren. Das Oberverwaltungsgericht Münster muss jetzt über eine Auskunftsklage des Tagesspiegels entscheiden.

Wie viele Journalisten in Deutschland beobachtet der Verfassungsschutz? Das braucht niemand zu wissen, meint die Bundesregierung. Sie hat der Linksfraktion auf eine parlamentarische Anfrage jetzt eine endgültige Absage erteilt: Die geheime Datenbank gebe darauf keine Antwort, heißt es. Es gebe keine „statistische Erfassung der erfragten Speicherung“, teilt der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Günter Krings (CDU), der Fraktion mit. Man speichere die Bespitzelten nicht nach Berufsgruppen ab.

Eine einfache Erklärung. Zu einfach, finden die Linken. „Wir werden das keineswegs einfach so hinnehmen“, sagt die Abgeordnete Martina Renner dem Tagesspiegel. Die Parlamentarier wollen Beschwerde beim Ältestenrat einlegen. Hilft auch das nichts, soll es zum Bundesverfassungsgericht gehen.

Der Streit berührt nicht nur die Fragerechte der Abgeordneten im Bundestag, sondern auch die der Presse. Nachdem im vergangenen September Fälle in Niedersachsen bekannt wurden, in denen Verfassungsschützer rechtswidrig Journalisten ausspähten und Daten darüber löschen ließen, wandte sich auch der Tagesspiegel an das Bundesamt für Verfassungsschutz, um den Umfang möglicher Bespitzelung zu klären. Eine Auskunft wurde verweigert. Im Rahmen der operativen Auswertung würden keine Informationen über Journalisten gespeichert, die aufgrund ihres Berufs in Kontakt mit Extremisten kämen, hieß es lapidar. Und Journalisten, die selbst unter Extremismusverdacht stünden, würden nicht eigens als Journalisten gespeichert – Ende der Durchsage.

Sind die Daten wirklich nicht vorhanden?

Eine Eilklage des Tagesspiegels wies das Verwaltungsgericht am Sitz der Behörde in Köln Ende Januar ab (Az.: 6 L 1570/13). Die Auskunft erfordere eine „aufwändige Untersuchung“, argumentierten die Richter, die das „zumutbare Maß“ überschreite. Auf Informationen, die erst noch beschafft werden müssten, habe die Presse keinen Anspruch.

Doch sind die Daten wirklich nicht vorhanden, wie das Bundesamt behauptet? Schließlich sind sie im „Nachrichtendienstlichen Informationssystem“, kurz „Nadis“ gespeichert, einer von Bundesamt und Landesverfassungsschutzämtern gemeinsam genutzten Hinweisdatei. Offenbar können die Beamten darin auch weit besser und leichter suchen, als sie öffentlich zugeben. Denn im Februar stellten die Linken den Innen-Staatssekretär Krings im Parlament zur Rede, der eingestand: „Es gibt wohl ein Freifeld, in das Berufsbezeichnungen eingetragen wer den können.“

Er gehe auch davon aus, dass „die gesamte Datei eine Suchfunktion hat.“ Trotzdem sei die Recherche sinnlos, es handele sich nicht um ein „klassisches kategorisiertes Suchsystem.“ Journalist sei kein geschützter Beruf, argumentiert auch das Bundesamt im Rechtsstreit mit dem Tagesspiegel, und Krings sekundierte im Parlament: Man könne zu ein und demselben Beruf ja auch Metzger, Fleischer oder Schlachter sagen. Insofern sei eine zuverlässige Antwort leider unmöglich. „Angesichts der enormen Widersprüche müssen wir davon ausgehen, dass die Bundesregierung die Öffentlichkeit über das Ausmaß der Überwachung bewusst täuscht,“ sagt Linken-Politikerin Renner, deren insgesamt dritter Anlauf jetzt gescheitert ist.

Werden Journalisten bespitzelt?

Bevor sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall beschäftigt, wird allerdings demnächst das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entscheiden. Der Tagesspiegel hat gegen den Kölner Beschluss Beschwerde eingereicht, auch mit Hinweis auf Krings’ neue Auskünfte und sein Lavieren im Parlament. Obwohl Informationen über Namen oder Einzelfälle gar nicht verlangt werden, betont das Bundesamt jetzt den Geheimschutzaspekt der „sensiblen Daten“, mit deren Zwecksetzung es unvereinbar wäre, „wenn sie Pressevertretern als Informationsplattform für Recherchen im Rahmen ihrer Berichterstattung zu dienen hätten“.

Ferner seien die Anfragen kein Grund für ein gerichtliches Eilverfahren, es handele sich um eine „gewachsene und im Fluss befindliche Thematik“ und keine „tagesaktuelle Berichterstattung am Puls der Zeit.“ Der Fall solle deshalb in einem Hauptsacheverfahren verhandelt werden, bei dem ein rechtskräftiges Urteil erst in ein bis zwei Jahren oder später erwartet werden darf.

Wie schnell sich jedoch die Vorzeichen der Diskussion ändern, zeigt die Entwicklung bei bespitzelten Parlamentariern, nach denen sich der Tagesspiegel im September 2013 ebenfalls erkundigt hatte. Mittlerweile verzichtet das Bundesamt, darauf, zumindest Linken-Abgeordnete zu erfassen, zudem erteilt es Auskünfte über Umfang und Zeitraum der Spitzelei – allerdings nur gegenüber dem Parlament, nicht gegenüber der Presse. Deren Anfragen sind nach Ansicht der Behörde schlicht nicht wichtig genug, um die Daten zusammensuchen zu lassen.

Niedersachsens Verfassungsschutz prüft derzeit Tausende von Dateien darauf, ob Journalisten rechtswidrig bespitzelt wurden. Innenminister Boris Pistorius (SPD) will die Ergebnisse im Sommer bekannt geben. Dann könnte eine Diskussion um den Schutz von Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten und Rechtsanwälten vor amtlicher Spitzelei beginnen. Auf welcher Grundlage dies geschieht, wird auch davon abhängen, wie das Oberverwaltungsgericht in Münster den Fall beurteilt.

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