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Am Tag danach. Am Montag nach dem Referendum fragen sich viele Griechen, wie es jetzt wohl weitergehen mag.
© Sakis Mitrolidis/AFP

Sondergipfel der Eurogruppe: Der nächste Akt im Griechenland-Drama

Wie es nach dem Referendum nun mit der griechischen Schuldenkrise weitergeht und welche Positionen die wichtigsten Akteure dabei haben. Ein Überblick.

Die Griechen haben sich in einem Referendum mit deutlicher Mehrheit entschieden, die Reformvorgaben der internationalen Geldgeber nicht zu akzeptieren. Das Griechenland-Drama ist damit nicht beendet. Im Gegenteil: In den nächsten Akten wird sich entscheiden, ob das Land im Chaos versinkt oder Hilfe noch eine Chance hat. Das sind dabei die wichtigsten Akteure: EZB-Chef Mario Draghi, der zurückgetretene Finanzminister Yanis Varoufakis und sein Nachfolger Euclid Tsakalotos, IWF-Chefin Christine Lagarde, der griechische Regierungschef Alexis Tsipras, Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Staatschef Francois Hollande und, nicht zu vergessen, das griechische Volk.

Mario Draghi, EZB-Chef
Mario Draghi, EZB-Chef
© Daniel Roland/AFP

MARIO DRAGHI, EZB-Chef

Die Tatsache, dass Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras gleich am Morgen nach dem Referendum in Athen mit Mario Draghi telefoniert hat, weist auf die zentrale Rolle des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) in der Griechenland-Krise hin: An ihm ist es, das griechische Finanz- und damit das Wirtschaftssystem kurzfristig aufrechtzuerhalten. Denn das ist die Realität: Unabhängig von Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs sind die griechischen Banken faktisch pleite. Sie werden nur noch durch Draghi am Leben erhalten, der ihnen Ela-Kredite (Notkredite) gewährt. Derzeit sind es knapp 90 Milliarden Euro, und es gibt Anzeichen, dass das Geld fast vollständig ausgegeben ist. Gut möglich, dass die Griechen bald noch weniger als 60 Euro täglich am Bankautomaten abheben können, um den weiteren Geldabfluss zu verlangsamen. Denn es gilt den Bankrott der Banken zu verhindern, noch bevor die Politik ihre Entscheidungen getroffen hat.

Mario Draghi ist seit November 2011 EZB- Chef, und seine Aufgabe ist es eigentlich, bewusst unabhängig von politischen Entscheidungen auf die Stabilität des Euro zu achten. Spätestens seit er in der Euro-Krise Staatsanleihen von Euro-Ländern aufgekauft hat (was die EZB eigentlich nicht darf), gilt er jedoch als politisch abhängiger EZB- Präsident. Noch am späten Montagnachmittag wollten Draghi und sein EZB-Direktorium darüber beraten, ob sie der Politik auch nach dem Nein der Griechen noch Zeit verschaffen, um eine Lösung mit der griechischen Regierung zu finden. Die Statuten der Zentralbank lassen das zwar nicht unbegrenzt zu. Und wenn man das Nein der Griechen als Wunsch zum Austritt aus der Euro-Zone wertet, dann wäre es die Pflicht von Mario Draghi, den griechischen Banken sofort den Geldhahn zuzudrehen und die bisherigen (von den Euro-Ländern verbürgten) EZB-Kredite zurückzufordern. Aber Draghi hat natürlich auch die Möglichkeit, die Ereignisse anders zu deuten. So könnte er die Tatsache, dass die Regierungschefs am Dienstabend zu einem Sondergipfel zusammenkommen wollen, auch als Zeichen des Verbleibens der Griechen im Euro- Raum werten und damit ein Stillhalten begründen. Von politischer Seite gab es denn am Montag auch gleich die Forderung an Mario Draghi, die Ela-Kredite nicht zu kappen. „Derzeit gibt es ein Niveau an Liquidität, das nicht verringert werden kann“, sagte Frankreichs Finanzminister Michel Sapin. Allerdings entscheide die Europäische Zentralbank in völliger Unabhängigkeit, fügte er hinzu.

Doch Mario Draghi kommt nicht nur in diesen Tagen eine wichtige Rolle zu. Er wird auch am Tisch sitzen, wenn es um die Frage geht, wie die Griechen im Euro-Raum gehalten werden sollen. Vorstellbar ist, dass Griechenland eine Streckung seiner Staatsschulden gewährt wird, indem die laufenden Verbindlichkeiten Athens auf den europäischen Stabilitätsfonds ESM übertragen werden – allerdings nur unter strengen Auflagen. Und das muss der EZB-Präsident feststellen. Eigentlich dürfte Griechenland den Euro nicht gefährden. Schließlich reagierten die Märkte bisher vergleichsweise ruhig.

Yanis Varoufakis und Euclid Tsakalotos

Der zurückgetretene griechische Finanzminister Yanis Varoufakis.
Der zurückgetretene griechische Finanzminister Yanis Varoufakis.
© Olivier Hoslet/dpa/EPA

Am Montag betrat Yanis Varoufakis zum letzten Mal das Finanzministerium. Er räumte seinen Schreibtisch und drängelte sich durch die wartenden Journalisten zurück zu seinem Motorrad. Er hoffe, sagte er noch, dass Euclid Tsakalotos der neue griechische Finanzminister werde. Dann setzte der umstrittenste Politiker der Regierung Tsipras seinen Helm auf und brauste davon.

Knapp sechs Monate war er im Amt, schon häufig wurde über einen möglichen Rücktritt oder Rausschmiss gemutmaßt, das war es nun. Seine Entscheidung, die er am Morgen selbst per Twitter und Blogeintrag verkündete, kam für viele überraschend. Hatte der Minister doch eigentlich seine politische Zukunft mit dem Ausgang des Referendums verknüpft – und gewonnen. Während aber die meisten Beobachter nun eine Neuauflage des Thrillers Varoufakis vs. Euro-Gruppe erwarteten – er hatte mit Bemerkungen zum „Terrorismus“, dem seine Regierung durch die Gläubiger ausgesetzt sei, die Emotionen im Vorfeld der Abstimmung erneut angeheizt –, hat sich Tsipras offensichtlich dagegen entschieden.

Dass Varoufakis nicht ganz freiwillig ging, lässt sich in seinem Blogeintrag nachlesen. Darin schreibt er, die Gläubiger hätten ihn loswerden wollen, und offensichtlich habe auch Tsipras diese Idee als „hilfreich“ empfunden, um einen baldigen Kompromiss mit Brüssel schließen zu können. Die Schmähungen seiner Kritiker, so Varoufakis, werde er mit Stolz ertragen. Den Premier wolle er auch ohne Amt, so gut es gehe, weiter beraten.

An seine Stelle tritt nun ein Mann, der ihm schon als Hauptverhandler in Brüssel beisprang, als dort die Stimmung immer giftiger wurde. Euclid Tsakalotos war bisher stellvertretender Außenminister und ist im Auftreten eine Art Anti-Varoufakis. Der stille Ökonom wird als sehr umgänglich beschrieben. In Brüssel übernahm er nach dem gescheiterten Treffen von Riga – bei dem Varoufakis von anderen Finanzministern beschimpft worden sein soll, was er aber später bestritt – die Verhandlungen zu einem schwierigen Zeitpunkt.

Inhaltlich ist Tsakalotos, der aus einer bürgerlichen Familie stammt und lange in Großbritannien lebte und studierte, aber auf einer Linie mit Varoufakis. Auch er plädiert für eine Umschuldung. Er wird eher zum linken Flügel der Partei gezählt, für seine ruhige Art auch von der Opposition geschätzt. In Brüssel ist er kein rotes Tuch, da er die Verhandlungen relativ erfolgreich führte, bis sich Tsipras zum Referendum entschloss. Es bleibt abzuwarten, wie der zurückhaltende Politiker, der seit 2012 Syriza-Abgeordneter ist, den Posten ausfüllen wird.

Der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos.
Der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos.
© Alexandros Vlachos/dpa/EPA

Christine Lagarde

Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Christine Lagarde.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) Christine Lagarde.
© Jonathan Ernst/Reuters

Eisern hält die Hüterin der globalen Krisenkredite Kurs. Eine Fristverlängerung für die fälligen griechischen Kredite kam nicht in Frage, beschied Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sie nahm in Kauf, dass Griechenland als erstes westliches Industrieland eine Frist für die Rückzahlung eines IWF- Kredites verstreichen ließ. Dass Schwellenländer ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, ist in Washington ein bekanntes Szenario. Aber ein IWF- Gründungsland? Lagarde und der Währungsfonds entschieden sich, den Affront auszuhalten, ebenso die Gefahr, dass andere Länder dem Beispiel Athens folgen könnten. Die negativen Auswirkungen einer gelockerten Rückzahlungsdisziplin wurden ganz offenkundig als erheblicher eingeschätzt. Als IWF- Chefin vertritt Christine Lagarde die reine Lehre.

Dennoch hat der IWF gerade einem politischen Szenario den Hof bereitet, dem seine Chefin explizit widersprochen hat: einem Schuldenschnitt für Athen. In einem Papier der IWF- Analyseabteilung, das am vergangenen Donnerstag veröffentlicht wurde, kommen die Analysten für die jetzt anstehenden Verhandlungen zu dem Schluss, dass ein Schuldenschnitt – wie immer man ihn dann nennen mag – unumgänglich sei. Was wie eine Kurskorrektur wirkt, hat nach Einschätzung von Experten zwar einen ganz anderen Hintergrund: Der IWF muss seine Außenstände wie jede Kreditinstitution schlicht realistisch taxieren. Aber für Griechen wie für die Eurozone-Verhandler ermöglicht die Analyse jetzt einen Einstieg in die offenbar unvermeidbare Schuldentilgung. Auch wenn es den Europäern nicht gelegen kam, dass diese Einschätzung noch vor dem griechischen Referendum publik wurde. Doch die USA verlangen schon lange die Umschuldung. Rücksicht auf die Europäer stand nicht auf der Tagesordnung in Washington.

Lagarde selbst könnte am Schluss denn auch als Verliererin der Krise dastehen. Sie, die Europäerin, hatte der Einbindung des IWF in die Griechenlandrettung willig zugestimmt. Ihr könnte der  Schuldenschnitt angelastet werden. Das ist keine gute Voraussetzung für eine Wiederwahl im kommenden Jahr.

Alexis Tsipras

Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras.
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras.
© Orestis Panagiotou/dpa/EPA

Als Alexis Tsipras am Sonntagabend vor die griechischen Fernsehkameras trat, da wusste er schon, was nun von ihm erwartet wird. Gerade eben hatte er das Referendum im eigenen Land mit über 60 Prozent gewonnen. Trotzdem durfte er sich jetzt keinen zu deutlichen Triumph anmerken lassen. Denn Griechenlands Gläubiger, auch das wusste er, hatten im selben Moment eine empfindliche Niederlage erlitten, eine Niederlage, die auch ihn als Premierminister noch schmerzen könnte. Dann nämlich, wenn die Geldgeber beschlössen, das Nein der Griechen zu ihren Vorschlägen als Nein zum Euro zu deuten und die Verhandlungen mit Griechenland endgültig abzubrechen. Dann wäre eine Staatspleite Griechenlands nicht mehr zu verhindern. Und das Letzte, was Tsipras will, das hat er immer wieder beteuert, ist ein Ausscheiden seines Landes aus der Euro- Zone.

Also sprach der Premierminister diesmal weniger von Erpressung und mehr von Gemeinsamkeiten, das Referendum sei ohnehin nie als „Bruch mit Europa“ gedacht gewesen. Verlierer gebe es in dieser Nacht nicht in Griechenland, nur Gewinner. Von nun an müsse an einer gemeinsamen Lösung gearbeitet werden, so die neue Losung des Premiers, dafür rief er gleich am kommenden Tag alle Parteichefs der Oppositionsparteien zusammen, um eine „nationale Einheit“ für das weitere Vorgehen zu erreichen. Mit der Opposition einigte er sich am Montag auch auf einen neuen Vorschlag in den Verhandlungen mit Brüssel – und er opferte seinen streitbarsten Minister Yanis Varoufakis, den Mann, der die internationalen Geldgeber, aber auch nationale Kritiker, regelmäßig zur Weißglut trieb.

Tsipras ist nach der klaren Konfrontation vor der Abstimmung nun daran interessiert, möglichst schnell einen Kompromiss mit den Gläubigern zu schließen. Ihn drängt die Zeit, denn niemand weiß, wie lange die griechischen Banken ohne frisches Geld von der Europäischen Zentralbank noch durchhalten werden. Zwei bis drei Tage, so lauten die Schätzungen, höchstens vielleicht bis zum Wochenende, so lange wird das Bargeld noch reichen. Es wird schon überlegt, das tägliche Limit auf bis zu 20 Euro abzusenken. Von der Europäischen Zentralbank wurde vorerst keine Erleichterung der angespannten griechischen Situation erwartet.

Am Dienstag bereits will Tsipras in Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel die neuen Vorschläge auf einem extra einberufenen EU- Sondergipfel präsentieren. Wie genau diese aussehen werden, darüber ließ sich am Montag nur spekulieren. In der Woche vor dem Referendum hatte Tsipras Brüssel einen Last-Minute-Vorschlag unterbreitet. Darin hatte er sich mit fast allen Vorschlägen der Gläubiger einverstanden erklärt – mit wenigen Ausnahmen wie zum Beispiel einem reduzierten Steuersatz auf den griechischen Inseln –, aber das eigene Angebot mit einer Forderung nach Schuldenumstrukturierung verknüpft.

In diesem Punkt sieht sich Tsipras nun gestärkt: erstens durch die klare Ablehnung der harten Sparmaßnahmen durch die Griechen (was ihm mehr Rückendeckung im Abwehrkampf gibt) und zweitens durch ein Gutachten des Internationalen Währungsfonds, das einen Schuldenschnitt von bis zu 30 Prozent fordert. Darauf will Tsipras jetzt pochen. Die Absprachen mit den Oppositionsparteien geben ihm zusätzliches Gewicht, denn bisher hatten diese ihn regelmäßig offen kritisiert und sich Brüssel als Alternativkandidaten präsentiert. Auch das hat sich mit dem deutlichen Ausgang des Referendums verändert, nun hat man auch in Athen eingesehen, dass man sich mit Tsipras wohl auf längere Zeit arrangieren muss.

Die Frage ist nur, ob die Gläubiger nach dem Referendum, das anders ausgegangen ist, als sie gehofft und dessen Ja sie beworben hatten, zu Zugeständnissen bereit sind.

Angela Merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montagfrüh auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz im Kanzleramt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montagfrüh auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz im Kanzleramt.
© Fabrizio Bensch/Reuters

Es ist nicht überliefert, wie Angela Merkel reagiert hat, als die Griechen „Nein“ zu ihrer Krisenpolitik sagten. Aber weil glaubhaft belegt ist, dass die Kanzlerin schon bei harmloseren Anlässen in nicht ganz stubenreine Flüche ausgebrochen ist, kann man sich ihre Gemütslage ausmalen. Selbst ein „Ja“ aus Athen hätte schwierige Tage bedeutet. Das „Nein“ bedeutet extrem schwierige. Die mächtigste Frau Europas steht aus ihrer Sicht vor einer kaum lösbaren Aufgabe: Euro-Europa darf nicht auseinanderfliegen, linke und rechte Anti-Europäer dürfen nicht triumphieren – und deshalb darf Alexis Tsipras nicht auf voller Linie siegen.

Das läuft auf einen Kampf an mehreren Fronten hinaus. Noch am einfachsten ist für Merkel derzeit die innenpolitische. In der Union herrscht am Montag so etwas wie erschrockene Stille. Bloß Markus Söder fordert den „Grexit“, aber das kennt man ja vom bayerischen Finanzminister. Der Chef-Finanzpolitiker der Unionsfraktion im Bundestag, Eckardt Rehberg, schimpft auf Tsipras. Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel schlägt erneut harte Töne an: Athen müsse ein Angebot machen, das über die bisherigen Angebote hinausgehe. Ein Schuldenschnitt ohne Bedingungen komme nicht in Frage, Europas Regeln dürfe keiner in Frage stellen. Der SPD-Chef sendet aber eine zweite Botschaft, diesmal Richtung Merkel und der eigenen Partei. „Die Politik der Rettungsprogramme hat in Griechenland nicht funktioniert.“ Alles, was denkbar sei, müsse nun auf den Tisch: „Wir brauchen einen grundlegenden Neuanfang.“ Wie der aussehen könnte, sagt er nicht.

Vorläufig komplizierter ist für die Kanzlerin die zweite, internationale Front. Bis Ende letzter Woche waren alle Euro-Staaten beieinander in der Abwehr der griechischen Forderungen. Spätestens seit dem „Nein“ am Sonntagabend streben sie sachte auseinander. Während die EU-Kommission, Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem und kleinere Euro-Staaten wie Slowenien und die Balten darauf bestehen, dass das Referendum nichts an den Euro-Regeln ändere, plädiert etwa der Italiener Matteo Renzo für Flexibilität. „Wenn wir Gefangene von Regelungen und Bürokratie bleiben, ist Europa am Ende“, warnte der Regierungschef.

Wenn Merkel am Dienstag zum Euro-Gipfel nach Brüssel fährt, muss ihr erstes Ziel also sein, auf Seiten der Gläubiger-Staaten wieder eine einheitliche Linie herzustellen. Dabei müsse der Konsens erhalten bleiben, dass es Solidarität in Europa nicht ohne Gegenleistung gebe, heißt es in Berlin: „Die Bundeskanzlerin kann keine Regeln brechen.“ Schon deshalb nicht, weil der Bundestag bei einem neuen Hilfspaket nach den Regeln des Rettungsfonds ESM zwei Mal zustimmen muss: Finanzminister Wolfgang Schäuble darf ohne Parlamentsvotum gar nicht erst anfangen zu verhandeln – und er müsste ein Verhandlungsergebnis im Reichstag absegnen lassen, noch bevor er in Brüssel unterschreiben darf.

Immerhin – dass verhandelt werden soll, scheint fester Wille aller Beteiligten. Die Initiative aber, darin sind sich europaweit die Verantwortlichen einig, muss von Athen ausgehen. Tsipras hat am Nachmittag mit Merkel telefoniert. Er hat ihr dabei nach griechischen Angaben zugesagt, zum Gipfel ein neues Angebot mitzubringen. In Berlin wird das freilich nach allem, was sie mit dem Griechen erlebt haben, mit Skepsis betrachtet. Auch der Rauswurf seines Finanzministers Varoufakis gilt hier nicht als Zeichen echten Entgegenkommens.

Die Skepsis rührt nicht zuletzt aus dem Beifall, den der Chef der linken Syriza- Bewegung von Gesinnungsfreunden einheimst. Von der argentinischen Präsidentin Cristina Kirchner über den venezuelanisch Kollegen Nicolas Maduro bis zur linken und rechten Opposition in den Euro-Ländern wird Tsipras als Held gefeiert. Sein spanisches Gegenstück, Podemos-Chef Pablo Iglesias, hat bei Twitter sein Avatar-Bild durch ein Doppelporträt Arm in Arm mit dem Athener Vorbild ersetzt.

Bleibt das vielleicht schwierigste Problem der nächsten Tage: die immer kritischere Lage in Griechenland selbst. Dass viele der „Nein“- Stimmen kein „Nein“ zu Europa oder zum Euro waren, sondern ein Hilferuf, ist in Berlin den meisten klar. Demokratie bedeutet zwar auch, dass Wähler für die Folgen ihres Abstimmungsverhaltens haften müssen. Aber Europa hat einen Ruf als Kontinent der Humanität zu verlieren. Zumal alle wissen: Die gleiche „Bild“-Zeitung, die seit Wochen gegen „Pleite-Griechen“ geifert, würde nach einem „Grexit“ Krokodilstränen über Suppenküchen- Elend heulen. Wenn es zu Engpässen in der Versorgung kommt, muss Europa rasch einspringen. Für Merkel, sagt ein Regierungsvertreter, könne das alles nur heißen: „Klar in der Haltung, aber nicht hartherzig.“

Francois Hollande

Frankreichs Präsident Francois Hollande.
Frankreichs Präsident Francois Hollande.
© Stephane de Sakutin/AFP

Während François Hollande am Sonntagabend in seinem Arbeitszimmer im Elysée-Palast die Nachrichten aus Griechenland verfolgte, versammelten sich in der französischen Hauptstadt hunderte Menschen auf der Place de la République. Sie hatten griechische Fahnen mitgebracht, und sie waren gekommen, um das Ergebnis des Referendums zu feiern. Unter ihnen war auch der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon. In seiner Rede lobte er den „enormen Mut des griechischen Volkes“. Die Griechen hätten „trotz eines massiven Einsatzes von Desinformations-Waffen“ mit ihrem Votum zu einem Zeitpunkt standgehalten, zu dem „kein Geld mehr im Umlauf ist, keine Waren mehr in den Läden sind“, erklärte Mélenchon.

Nun darf bezweifelt werden, dass Frankreichs Staatschef von der Solidaritäts-Adresse des Pariser Linkspolitikers große Notiz genommen hätte. Aber der Sozialist François Hollande kennt sehr wohl die Stimmung im eigenen Lande, die Leute wie Jean-Luc Mélenchon auch irgendwie verkörpern: Anders als in Deutschland wünscht sich eine Mehrheit der Franzosen, dass Griechenland im Euro bleibt. An dieser Haltung hat auch der für viele Außenstehende kaum nachvollziehbare Kurs des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras nichts geändert. Unmittelbar vor dem Referendum veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut CSA eine Umfrage, der zufolge nur 38 Prozent der Franzosen für den „Grexit“ sind. Eine Mehrheit von 54 Prozent wünscht sich hingegen, dass Griechenland nicht zur Drachme zurückkehren muss. Hinzu kommt, dass die Franzosen selber auch ein Volk sind, das gelegentlich schon einmal „Nein“ sagt – im Jahr 2005 wurde hier die EU-Verfassung per Referendum abgelehnt.

Aus diesen Gründen findet Tsipras grundsätzlich eher in Paris ein offenes Ohr als in Berlin. Eine Stunde nach Bekanntgabe der ersten Teilergebnisse telefonierte der griechische Regierungschef am Sonntagabend mit Hollande. Bei dem Gespräch ging es nach Angaben des griechischen Staatssenders ERT darum, wie die Gespräche zwischen der Regierung in Athen und den Gläubigern wieder neu belebt werden können.

Falls sich Hollande gegenüber Tsipras im Schuldenstreit kompromissbereit geben sollte, dürfte er bei den Sozialisten kaum auf Widerstand treffen. Die konservativen Republikaner von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy versuchen hingegen, mit der Schuldenkrise in Hellas politisch zu punkten. Die Oppositionspartei wirft dem Staatschef vor, zu nachgiebig gegenüber der Links-Rechts-Regierung in Athen aufzutreten. Der ehemalige Premierminister Alain Juppé, der mit Sarkozy um die Präsidentschaftskandidatur für das Jahr 2017 konkurriert, appellierte an die EU, einen „Grexit“ zu organisieren – „ohne Drama“.

Als Tsipras im Januar Regierungschef in Athen wurde, hat sich Hollande möglicherweise eine Zeit lang darauf eingestellt, die Rolle des Vermittlers zwischen den Griechen und den eher auf Haushaltskonsolidierung bedachten Staaten wie Deutschland spielen zu können. Allerdings zeigte sich schnell, dass das Griechen-freundliche Lager im Süden der Euro-Zone kleiner war als gedacht. In den Regierungszentralen in Spanien und Portugal, wo es in der Zeit unter dem Euro-Rettungsschirm harte Einschnitte gab, dachte man zumindest bis zum Referendum gar nicht daran, Tsipras übermäßig entgegenzukommen. Am Montag sprach sich dann allerdings Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos für Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket aus.

In dieser unübersichtlichen Ausgangslage hat Hollande nun die Initiative übernommen und Merkel für diesen Montagabend nach Paris eingeladen. Hollandes Ziel: Griechenland soll in der Euro-Zone gehalten werden – wenn auch nicht um jeden Preis. Dass Hollande und Merkel in der Causa Griechenland nicht ganz auf einer Linie sind, hatte sich bereits in der vergangenen Woche im politischen Niemandsland zwischen dem Auslaufen des zweiten Hilfsprogramms für Griechenland und dem Referendum gezeigt. Während die Kanzlerin betonte, dass vor neuen Verhandlungen erst einmal die Volksabstimmung abgewartet werden müsse, drückte Hollande aufs Tempo. In Lyon mahnte der französische Staatschef, dass es im Schuldenstreit eine rasche Lösung geben müsse. „Die Einigung brauchen wir sofort“, forderte Hollande.

Ganz so eng wie Tsipras sich das wünscht, scheint der Telefondraht in den Elysée-Palast übrigens doch nicht zu sein. Am Montagmittag verkündete ein Vertreter des Präsidialamtes in Athen, dass der griechische Staatschef Prokopis Pavlopoulos und der Chef des Linksbündnisses Syriza mit Hollande telefoniert hätten. 20 Minuten später kam ein Dementi aus Paris: François Hollande habe an diesem Morgen gar nicht mit Tsipras gesprochen, hieß es aus dem Büro des französischen Staatschefs.

Das griechische Volk

Was wird die Zukunft ihnen bringen? Straßenszene am Montag in der griechischen Hauptstadt Athen.
Was wird die Zukunft ihnen bringen? Straßenszene am Montag in der griechischen Hauptstadt Athen.
© Jean-Paul Pelissier/Reuters

Sie hatten mit dem Schlimmsten gerechnet, doch in Athen sind die Lichter auch nach Mitternacht nicht ausgegangen. Die Akropolis oben auf ihrem Felsen blieb hell erleuchtet – und strahlte so etwas wie majestätische Ruhe aus. Nach den ersten Hochrechnungen waren die Athener am Sonntagabend zum Syntagmaplatz im Zentrum geströmt. Erst Dutzende, dann Hunderte, Tausende, für den Verkehr war bald kein Durchkommen mehr. Die Syriza-Anhänger freuten sich über das klare „Oxi“, schwenkten griechische Fahnen, tanzten ausgelassen Sirtaki.

Und am Tag danach? Von Katerstimmung keine Spur. Auch am Montag ist in den Straßen kein Triumphgefühl, dafür aber so etwas wie ein stiller Stolz zu spüren. Die Menschen glauben, das einzig Richtige getan zu haben. Auch wenn die meisten erwarten, dass die Zeiten erst einmal noch härter werden. Der Wiener Consultant, der sich bei der Feier unter die Menge gemischt hatte, scheint diese Befürchtung zu bestätigen. Für ihn stehe bereits fest, dass er seinen Kunden empfehlen werde, ihre Betriebe in Griechenland „dichtzumachen, so schnell es geht“, und ihre „insgesamt 20 000 Arbeitsplätze nach Vietnam“ zu verlagern.

Aber am nächsten Morgen fühlt sich alles noch nach Alltag an. Die Geschäfte sind geöffnet, der Bäcker, der Fleischer, der Supermarkt. In Kesariani, dem als besonders links geltenden Athener Viertel, gibt es frische Milch, Obst, Klopapier – und Wechselgeld bis auf den letzten Cent. Niemand scheint das Nein zu bedauern. Im Fernsehen heißt es, dass es keinen einzigen Wahlbezirk gab, in dem sich die Mehrheit für ein Ja aussprach. Das hat es noch bei keiner Wahl gegeben. Bäcker Michalis an der Hauptstraße von Kesariani sagt: „Eigentlich haben alle Griechen Nein gesagt.“ Selbst der orthodoxe Priester Georgios mit dem langen grauen Bart hat Nein angekreuzt, obwohl die Kirche für Ja geworben hatte.

Maria Theodoraki bereut ihr „Oxi“ ebenfalls nicht. Die 75-Jährige hat sich im Tante-Emma-Laden auf den Stuhl an der Kasse fallen lassen. „Ich habe sehr, sehr viel Angst“, sagt sie. „Drei Familien leben inzwischen von meiner Rente.“ Dabei haben, wenn überhaupt, vor allem die Alten Ja angekreuzt, das zeigen Wahlanalysen. 67 Prozent der 18- bis 35-Jährigen haben demnach gegen die Vorschläge der Gläubiger gestimmt, bei den Alten dagegen waren es gerade mal 37 Prozent. Für Maria Theodoraki allerdings zählen solche Statistiken nicht. Der Sohn habe bis vor einem Jahr bei Siemens gearbeitet, jetzt bringt sie auch ihn, seine Frau und die drei Kinder durch. „Was, wenn die Regierung auch noch meine Rente kürzt?“, fragt sie. „Wir haben zum ersten Mal unsere Telefon- und Stromrechnung nicht rechtzeitig bezahlt.“

Ladeninhaberin Irene Kosmidou sagt: „Ich fühle mich nicht anders als gestern, ich habe keine Angst.“ Sie und ihr Mann Aristides haben mit Doppel-Nein gestimmt, für das die Kommunisten geworben haben; ihre Stimmzettel waren also nicht gültig. „Wir werden keine rasche Lösung bekommen. Nicht in einem und nicht in zwei Monaten“, sagt der Einzelhändler. Dass sich für die Gespräche mit der EU durch den Rücktritt ihres Finanzministers etwas ändern wird, glauben sie nicht. „Sie werden einen neuen Varoufakis finden.“

Einige Banken haben ihre Angestellten für Montag in Urlaub geschickt, aber an den Automaten in Kesariani gibt es auch mittags noch Geld. Anthi Nilonopoulou, 22, steht jeden Tag hier an. „Mein Nein wird jetzt nichts ändern, aber in Zukunft“, sagt sie. Natürlich habe sie ein wenig Angst davor, dass es bald kein Bargeld mehr geben könnte. Ein Ja hätte es ihrer Meinung nach aber noch schlimmer gemacht. „Ich habe Finanzwissenschaft studiert, suche seit drei Monaten vergeblich einen Job.“ Sie überlegt, nach Schweden auszuwandern. Aber wie soll das gehen? Ohne Geld.

Hinter ihr in der Schlange wartet eine kräftig geschminkte Blondine. Sie hat Ja gesagt, ist sichtlich angespannt. Sie sei Mutter zweier Kinder und könne seit Sonntagabend immer nur eines denken: „Was werden wird, ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.“

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