Das "Nein" in Griechenland: Wie geht es weiter nach dem "Oxi"?
Die griechischen Wähler haben mit großer Mehrheit gegen die Sparpläne aus Brüssel gestimmt. Aber was folgt nun? Und können die Banken im Land kommende Woche wieder öffnen? Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Noch am Samstag vor dem Referendum hatte ein Kommentator einer griechischen Zeitung geschrieben: „Egal ob ,Ja’ oder ,Nein’ gewinnt, das schlechteste Ergebnis wäre ein knappes Ergebnis.“ Denn, so die Schlussfolgerung, in beiden Fällen sei dann mindestens die Hälfte der Griechen unglücklich und arbeite gegen alle weiteren Beschlüsse. Diese Befürchtung traf nicht ein. Die Griechen entschieden sich mit über 60 Prozent deutlich für „Nein“, lehnten damit die letzten Gläubigervorschläge ab und stärkten ihrem Regierungschef Alexis Tsipras den Rücken.
Ein Ergebnis, das viele überraschte, denn nach den Debatten vor der Abstimmung war zumindest ein knappes Ergebnis erwartet worden. Die griechische Bevölkerung wirkte in den vergangenen Tagen tief gespalten: in der Haltung zu ihrer eigenen Regierung und in der Haltung zu den Kreditgebern aus Brüssel. Zugespitzt hatte sich die Situation zusätzlich durch den drohenden Staatsbankrott und die geschlossenen Banken.
Was bedeutet diese Entscheidung?
In Griechenland betonte Tsipras in seiner mitternächtlichen, die Euro-Mitgliedschaft Griechenlands habe nie zur Debatte gestanden. Das Referendum sei genau so zu verstehen, wie auch die Frage formuliert gewesen sei: für oder gegen einen konkreten Verhandlungsvorschlag – der bisher keinen Schuldenschnitt beinhaltet habe und der jetzt neu verhandelt werde. Noch am Montag wolle man damit beginnen. Alexis Tsipras rief in seiner TV-Ansprache nach Bekanntwerden des Ergebnisses alle Parteichefs seines Landes zu Beratungen zusammen. Nicht mit von der Partie wird Antonis Samaras sein, bisheriger Vorsitzender der konservativen "Nea Dimokratia". Er trat noch am Abend zurück.
Allerdings gibt es dabei einige Schwierigkeiten. Zahlreiche EU-Politiker, darunter Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, hatten die Abstimmung in Griechenland zum Votum pro-contra Euro erklärt. Ob diese Seite – die wohl auch gehofft hatte, bei einem Sieg für „Ja“ die schwierigen Verhandlungspartner Tsipras und Yanis Varoufakis loszuwerden – nun einfach so an den Verhandlungstisch zurückkehrt, ist nicht klar. Möglicherweise erleichtert jetzt der Rücktritt von Yanis Varoufakis vom Montag die Gespräche in Brüssel zumindest atmosphärisch. Bundeskanzlerin Angela Merkel jedenfalls wird sich an diesem Montag mit Frankreichs Präsidenten François Hollande treffen, um den Ausgang des griechischen Referendums zu beraten. Am späten Abend erklärte die Bundesregierung, Merkel und Hollande seien für einen EU-Sondergipfel am Dienstag. Zuvor wollen sich die Finanz-Staatssekretäre der Euro-Gruppe am Montag treffen.
Offiziell ist das bisherige Kreditprogramm am 30. Juni ausgelaufen – und für Verhandlungen über ein neues Abkommen müsste zum Beispiel der Bundestag ein neues Mandat erteilen. Auch ist nicht klar, auf welcher Grundlage nun verhandelt werden soll. Tsipras hatte selbst kurz vor der Abstimmung noch einen Vorschlag gemacht, der in vielen Punkten den Forderungen der Gläubiger entsprach. Doch für diese Forderungen gab es von den Griechen jetzt ein „Nein“. In Griechenland heißt es, Tsipras habe nun zwei Trümpfe: das „Nein“ der Griechen und die Forderung des Internationalen Währungsfonds (IWF), der einen Schuldenschnitt für Griechenland von rund 30 Prozent fordert. Dieses Gutachten war erst nach der Ankündigung des Referendums veröffentlicht worden und wird von griechischer Seite nun als Bestätigung der eigenen Position gewertet.
Wie steht es um die griechischen Banken?
Die griechische Regierung hat die Wiedereröffnung der Banken und das Ende der Kapitalkontrollen mit einem Kompromiss mit Brüssel verknüpft. Dieser Deal „könnte innerhalb von 48 Stunden“ geschlossen werden, sagte Finanzminister Varoufakis. Da eine solche Zeitspanne allerdings allein schon aus Terminplangründen (Treffen Merkel/Hollande in Paris) unwahrscheinlich ist, werden die Banken wohl vorerst weiter geschlossen bleiben. Die griechischen Banken haben am Sonntag einen neuen Antrag an die Europäische Zentralbank (EZB) gestellt, die Notkredite zu erhöhen. Mit diesen haben die Banken in den vergangenen Monaten die immensen Abhebungen ausgeglichen. Die EZB könnte am Montag entscheiden, das Notkredite-Level für Athen zu erhöhen, um damit die Situation der Banken zu erleichtern. Experten halten es zumindest nicht für wahrscheinlich, dass die EZB alle Gelder kappt und eine Rückzahlung bisheriger Kredite verlangt. Sie wird das Level nach diesen Einschätzungen wohl am ehesten unverändert bei 90 Milliarden Euro halten und damit weiter Druck auf die Banken ausüben – ohne ihnen direkt den Hahn abzudrehen.
Bereits in den vergangenen Tagen war an griechischen Bankautomaten das Bargeld knapp geworden. Es halten sich Gerüchte über einen möglichen Bail-In im Falle eines Bankrotts, das heißt, einen Rückgriff der Banken auf die Spareinlagen ihrer Kunden. Diese Gerüchte wurden sowohl von der Regierung als auch von den obersten griechischen Bankern als haltlos zurückgewiesen. Auch in Griechenland gibt es einen Einlagensicherungsfonds für Guthaben bis zu 100 000 Euro. Den Gerüchten zufolge verfügt dieser allerdings in der Realität nicht über genug Liquidität, um alle Guthaben zu garantieren. Die kommende Woche wird zeigen, wie es um den Bankensektor tatsächlich steht. Sollte das Geld ausgehen, könnte die griechische Regierung gezwungen sein, eine Art Parallelwährung auszugeben, um Renten und Gehälter zu zahlen. Diese wäre dann wohl deutlich weniger wert als die Euros, die von der EZB autorisiert sind.
Wie reagiert Brüssel?
Zurückhaltung war angesagt am Sonntagabend in Brüssel, obwohl es bei dem Referendum auch um Europas Zukunft ging: Kommissionschef Jean-Claude Juncker ließ verbreiten, er werde sich erst am Dienstag im Europaparlament äußern. Dem EU-Ratsvorsitzenden Donald Tusk, der im Namen der Staats- und Regierungschefs spricht, war ebenfalls empfohlen worden, „weder ein offizielles Statement abzugeben, noch bereits ein Gipfeltreffen für die nächsten Tage anzusetzen“, wie einer seiner Mitarbeiter berichtete. Wichtig sei, dass in Griechenland selbst geklärt werde, ob das unterlegene Lager den Ausgang des Referendums anerkenne oder möglicherweise vor Gericht ziehe.
Ob es bei der Ansage bleibt, dass die EU ein „Nein“ als Wunsch der Griechen nach einem Ausscheiden aus der Währungsunion oder gar der gesamten Europäischen Union interpretiert, ist offen. Vergangene Woche hatten sich Merkel, Juncker, EU-Parlamentschef Martin Schulz (SPD), Euro-Gruppenchef Jeroen Dijsselbloem mehr oder weniger klar in diesem Sinne geäußert. Tusk wiederum hatte am Freitag eine Abkehr von dieser Sichtweise angedeutet. „Es ist sehr klar, dass das Referendum nicht darum geht“, sagte der Pole, „ob man in der Euro-Zone bleibt oder nicht.“
Wie jedoch eine Verhandlungslösung mit der nun gestärkten Athener Regierung aussehen könnte, die den Euro-Partner noch am Wochenende etwa „Terrorismus“ unterstellte, ist unklar. Erst am Mittwoch hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) gesagt, es sei „einseitig Vertrauen zerstört worden“.
Die französische Regierung erklärte sich zu Gesprächen bereit. Wirtschaftsminister Emmanuel Macron sagte, es müsse ein Kompromiss gefunden werden, und man dürfe sich nicht nur hinter den Notfallmaßnahmen der Europäischen Zentralbank verstecken.