EU und Griechenland: Ein Neubeginn muss her - jetzt
Die Griechen haben Nein gesagt. Europa aber muss eine andere Antwort finden. Denn anders als viele glauben, kann der Fall Griechenland auch für eine Wende zum Guten taugen. Ein Kommentar.
Es wird Zeit, und es ist Zeit für Politik. Die Griechen sagen Nein – was sagt Europa? Auch Nein? Das wäre das Ende der politischen Idee Europa. Darum muss dieser Tag der Tag X sein, der Tag eines Neubeginns. Aber eines wirklichen, umfassenden. Es darf sich jetzt keiner mehr in Papieren der vergangenen Monate und Wochen verlieren.
Der Vorsatz muss sein, nicht detaillistisch zu werden, wo es es ums Große, ums große Ganze geht. Wobei das Wort detaillistisch so zu verstehen ist: Europa darf keinem Staat bis ins Kleinste vorschreiben, nicht vorschreiben wollen, wie er die gemeinsam bestimmten Ziele erreicht. Hier ist sowieso ein Neubeginn nötig, denn in der Ablehnung solcher Eingriffe, die als Übergriffe, ja sogar als Diktat empfunden werden, treffen sich Links und Rechts in ganz Europa.
Treffen sich, als Beispiel, Griechen und Briten. Ein Grund, warum auch die Briten ein Referendum abhalten wollen, ist doch Europas Regelungswut auf allen Ebenen. Wer also die Briten nicht verlieren will, muss sich auf sie zubewegen und institutionelle Reformen vornehmen. Wer dafür sorgt, dass die EU sich zurücknimmt, kann sogar mehr Europa gewinnen. Und wenn Europa die Griechen nicht verlieren will, gilt dasselbe.
So muss der Ausgang des Referendums auf einer übergeordneten Ebene gedeutet werden. Weil sonst der Eindruck einer Bankrotterklärung bleibt. Dass es überhaupt dazu gekommen ist, zu dieser Situation, ist ja auch politisches Versagen. Denn Jahre schon geht das Griechenland-Drama, und keiner hat es verstanden, die Akte anders zu gestalten.
Reformen sind möglich und nötig
Jetzt ist der Tag X. Der Fall Griechenland kann für eine Wende zum Guten taugen.
Wenn das Signal ist: Europa ist reformfähig. Europa ist kein Moloch. Europa ist nicht die böse Fratze, die gezeichnet worden ist. Dafür sollten die Regierungen der Euro-Gruppe, die deutsche zuvorderst, aber auch die französische, jetzt noch einmal vorangehen. Alle Seiten müssen den Ton mäßigen, um Politik zu ermöglichen. Europa ist als Idee doch erst dann besiegt, wenn es sich wie ein Besiegter verhält. Das Format des Siegers ist, souverän zu handeln. Und nicht die Europäische Zentralbank das Geschäft erledigen zu lassen.
Und Politik ist möglich: Alexis Tsipras, der Athener Premier, hat als Erstes einmal ein Angebot unterbreitet, das nicht gering zu schätzen ist – sein Finanzminister Yanis Varoufakis geht. Er steht einer Einigung nicht mehr im Weg. So kann Bewegung in die Sache kommen. Die Sache, wohlgemerkt. Wer die Reden von Tspiras verfolgt hat, kann auf die Idee kommen, dass da noch mehr möglich ist.
Was, wenn der Tag X verstreicht?
Was jetzt möglich wäre? Die mündlichen Zusagen führender Politiker bis hin zum EU-Parlamentspräsidenten – keine weiteren Rentenkürzungen, keine höhere Mehrwertsteuer, Investitionshilfen – schriftlich zu fassen. Auf der einen Seite. Auf der anderen dann aber im Land, in Griechenland, endlich die Reformen anzupacken, die unverzichtbar sind, im Staatsapparat, bei den Steuerbehörden, den Katasterämtern, überall. Damit das Geld, das das Land zur Gesundung bekommen möchte, nicht versickert.
Und nennen wir es dann, der Politik geschuldet, nicht Schuldenschnitt, sondern Hilfe zur Entschuldung, wenn 27 Milliarden in den ESM überführt werden, in den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Das wäre ein Teil der „Hilfe zur Selbstbehauptung“, von der der deutsche Wirtschaftsminister und Vizekanzler sprach. Zumal jedes Geld, das fließt, als Wechsel auf die Zukunft besser angelegt ist. Ein „Grexit“ wäre ja nun mal eher keine Geldanlage. Außerdem käme zum Verlust von 80 Milliarden Euro allein für die Deutschen das politische Trauerspiel.
Geschieht das alles nicht, verstreicht der Tag X, ist er einer wie so viele andere davor, bekommt Griechenland nur noch Almosen. Und Europa? Verliert weltpolitisch an Achtung. Wer schon aus der Krise mit einem kleinen Land nicht herausfindet, der kann auch anderen den Weg nicht weisen.