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Auf dem Vormarsch. Irakische Einheiten konnten in den vergangenen Wochen die IS-Terrormiliz zurückdrängen.
© A. Lashkari/Reuters

"Islamischer Staat" im Irak: Der Kampf um Mossul - bis zur letzten Granate

Noch beherrscht der IS das irakische Mossul. Das soll sich durch eine Großoffensive bald ändern. Doch die Dschihadisten haben sich auf die Schlacht vorbereitet.

Wer in den Krieg zieht, rüstet oft schon vor dem eigentlichen Feldzug rhetorisch auf. Da macht auch Ashton Carter keine Ausnahme. Der „Islamische Staat“ (IS) sei ein „Haupttumor“, sagte der US-Verteidigungsminister jüngst in Washington. Dort traf sich die Koalition zur Bekämpfung der Terrormiliz. Und das Bündnis aus etwa 40 Staaten habe eine Strategie verabredet, „die dem IS jene dauerhafte Niederlage zufügen soll, die er verdient“. Ein zentraler Bestandteil des Planes: die Rückeroberung Mossuls.

Die irakische Stadt ist neben dem syrischen Rakka die letzte verbliebene Bastion der Dschihadisten. Seit zwei Jahren kontrolliert der IS – nicht zuletzt gestützt auf extreme Brutalität – die einstige multikulturelle Metropole. Und dort wurde das „Kalifat“ ausgerufen. Müssten die Fanatiker Mossul aufgeben, wäre das ein prestigereicher Erfolg für Iraks Ministerpräsident Haider al Abadi. Wie die Anti-IS-Allianz sieht der Premier die Zeit für gekommen, den immer wieder angekündigten Großangriff schon bald zu wagen.

Denn die „Gotteskrieger“ sind militärisch schon seit Monaten in Bedrängnis. Das von den Dschihadisten beherrschte Territorium ist geschrumpft. Die Chance, ihnen Mossul zu entreißen, scheint deshalb größer denn je. Das sieht auch der kurdisch-irakische Bürgermeister im 80 Kilometer entfernten Erbil so. „Die Bedrohung durch den IS hat signifikant abgenommen“, sagt Nihad Kodscha im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Er rechnet sogar damit, dass bis Ende 2016 nicht nur Mossul, sondern das ganze Land vom „Islamischen Staat“ befreit sein wird.

Planungen für die Zukunft

Doch Politiker und Militärs warnen: Gerade in Mossul steht ein schwieriger, weil langwieriger Kampf bevor. Und niemand wagt vorauszusagen, was danach kommt. Klar ist allerdings, dass das militärische Vorgehen dieses Mal mit politischen Überlegungen für die Zukunft einhergeht. Nach einer Befreiung Mossuls sollen Anarchie, Gewalt und Not so weit wie möglich vermieden, die verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen mit ihren oft unterschiedlichen Interessen in die Planungen einbezogen werden.

Im Moment stehen allerdings die Vorbereitungen zur Einnahme der zweitgrößten irakischen Stadt im Vordergrund. Nach Einschätzung amerikanischer Sicherheits- und Geheimdienstexperten muss die Regierung in Bagdad zwischen 20.000 und 30.000 Kämpfer aufbieten, um dem IS schlagkräftig begegnen zu können. Die Bodenoffensive wird wohl mit massiven Luftschlägen einhergehen. Diese Bombardements sollen beim Gegner Furcht und Schrecken verbreiten.

Ob diese Rechnung aufgeht, ist jedoch ungewiss. Beobachter gehen davon aus, dass der „Islamische Staat“ in Mossul auf bis zu 10.000 Dschihadisten zurückgreifen kann – eine veritable Streitmacht. Und die Führung um „Kalif“ Abu Bakr al Baghdadi hatte genügend Zeit, sich auf eine Abwehrschlacht vorzubereiten. Unklar ist aber dennoch, wie die Extremisten auf einen Angriff reagieren. Zwei Szenarien sind denkbar. Die Fanatiker könnten sich relativ rasch zurückziehen und versuchen unterzutauchen. Auch mit der Absicht, sich an einem anderen Ort wieder zu sammeln.

Menschliche Schutzschilde

Als wahrscheinlicher gilt, dass die Extremisten die Verteidigung Mossuls als eine Art von religiösem Endkampf sehen. Das hieße, sie würden „bis zum letzten Mann und zur letzten Patrone“ kämpfen, wie es ein hochrangiger irakischer Offizier formulierte. Für die etwa eine Million Einwohner hätte dies fatale Folgen. Sie litten nicht nur unter einem vermutlich blutigen Häuserkampf, sondern könnten auch als menschliche Schutzschilde missbraucht oder vom IS rekrutiert werden. Das war in der vor gut einem Monat befreiten Stadt Falludscha der Fall. Wer sich weigerte, zu den Waffen zu greifen, wurde hingerichtet. Kein Wunder, dass einige hundert Bewohner Mossuls in den vergangenen Wochen bereits geflohen sind.

Hilfsorganisationen gehen ohnehin davon aus, dass die anstehende Schlacht sehr viele Menschen heimatlos machen wird. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen rechnet in der Region mit weit mehr als 400 000 neuen Schutzsuchenden. Sie alle benötigen eine Unterkunft, Lebensmittel, Trinkwasser und medizinische Versorgung. Erbils Bürgermeister Kodscha geht von einer halben Million Menschen auf der Flucht aus. Derzeit suchten 150 bis 200 Frauen, Kinder und Männer pro Tag Schutz im Kurdengebiet. Auch um diesen Hilfseinsatz wenigstens ansatzweise managen zu können, haben Länder wie die USA, Kanada, Japan, Kuwait und Deutschland soeben bei einem Treffen in Washington zwei Milliarden US-Dollar zugesagt.

Angst vor den schiitischen Milizen

Doch die geplante Rückeroberung Mossuls ist nicht allein auf der humanitären Ebene eine immense Herausforderung. Genauso wichtig wird es sein, eine stabile Nachkriegsordnung zu schaffen. Schon heute wird darum gerungen, wer künftig das Sagen in der Stadt haben soll. Die überwiegend sunnitische Bevölkerung fürchtet mittelfristig vor allem eine schiitische Dominanz – und kurzfristig die Rache der mit Bagdad verbündeten Milizen.

Nach übereinstimmenden Berichten haben diese schon nach der Eroberung Falludschas vermeintliche IS-Sympathisanten verschleppt, gefoltert und ermordet. Das Misstrauen unter Sunniten ist entsprechend groß. Und der „Islamische Staat“ setzt alles daran, die ohnehin große Kluft zwischen den religiösen Gruppen noch zu vertiefen – wenn möglich im ganzen Land.

Hinzu kommt: Auch die Kurden wollen als einstmals größte Bevölkerungsgruppe über die Zukunft Mossuls mitentscheiden. Sie sind bereit, sich an der Militäroffensive zu beteiligen, machen dies aber von entsprechenden Zusagen abhängig. Wer herrscht danach, lautet also die entscheidende Frage. Dabei ist der IS noch gar nicht besiegt.

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