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Die Bedingungen für die Flüchtlinge in den improvisierten Camps sind äußerst schwierig.
© AFP

Kampf gegen IS im Irak: Geflohen aus Falludscha - aus der Hölle ins Elend

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" ist im Irak auf dem Rückzug. Doch die Schlacht um Falludscha hat Zehntausende zu Flüchtlingen gemacht.

Die Temperatur – mit bis zu 48 Grad unerträglich. Das Trinkwasser? Geht dramatisch schnell zur Neige. Auch die Lebensmittelvorräte sind so gut wie aufgebraucht. Ganz zu schweigen von den hygienischen Verhältnissen. In den improvisierten Lagern steht oft nur eine Latrine für hunderte Menschen zur Verfügung. Die Not und das Elend um Falludscha sind offenkundig. Die Schlacht um die Stadt zwischen irakischen Regierungseinheiten und der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) droht Hilfsorganisationen zufolge sogar zu einer humanitären Katastrophe zu werden.

Sogar die Grundversorgung der Menschen, die in den vergangenen Wochen aus der immer noch umkämpften IS-Bastion geflohen sind, sei kaum noch gewährleistet, heißt es bei den Vereinten Nationen. Denn der Andrang der Schutzsuchenden – die Zahlen schwanken zwischen 50.000 und 80.000 – ist immens. "Das führt auch dazu, dass sich zwei oder drei Familien oft ein Zelt teilen müssen", berichtet Ghassan Abu Shaer, Nothilfekoordinator von Ärzte ohne Grenzen. Wenn es überhaupt eine Unterkunft gibt. Viele Geflüchtete müssen unter freiem Himmel campieren, der sengenden Sonne schutzlos ausgeliefert. "Dabei sind die Menschen bereits total erschöpft, haben Infektionen. Aber die wenigen funktionierenden Kliniken sind überlastet", sagt Ghassan Abu Shaer.

Vor zweieinhalb Jahren eroberte der IS die strategisch wichtige Stadt

"Stadt der Minarette und Moscheen" nennen die Iraker Falludscha. Der Ort gilt seit jeher als religiöses Zentrum der sunnitischen Minderheit. Es gibt aber auch weniger schmeichelhafte Beinamen. Zum Beispiel "Widerstandsnest" oder "Kopf der Schlange". Unter anderem, weil die 50 Kilometer von Bagdad entfernte Stadt am Euphrat einst ein Zentrum der Terrorgruppe Al Qaida war. Nun stehen regierungstreue Truppen – verstärkt durch schiitische Milizen, die für ihren Hass auf Sunniten und ihre Gnadenlosigkeit berüchtigt sind – kurz davor, Falludscha vom IS zu "befreien".

Vor zweieinhalb Jahren hatte der IS die strategisch wichtige Stadt eingenommen und dort ein religiös verbrämtes Schreckensregiment errichtet. Als schließlich der Kampf um Falludscha begann, nahmen die bärtigen Fanatiker Einwohner als Geisel, machten sie zu menschlichen Schutzschilden. Wer nicht für den IS zur Waffe greifen wollte, soll Augenzeugen zufolge getötet worden sein. Außerdem wird vermutet, dass überall Minen und Sprengsätze gelegt wurden. Um dieser mörderischen Falle zu entkommen, verließen aberhunderte Familien Falludscha und riskierten dabei ihr Leben. Die Dschihadisten machten offenbar Jagd auf alle, die zu fliehen versuchten.

Mit einer Großoffensive soll der IS vollständig aus Falludscha vertrieben werden.
Mit einer Großoffensive soll der IS vollständig aus Falludscha vertrieben werden.
© REUTERS

Doch selbst diese Gefahr konnte die Menschen nicht von der Flucht abhalten. Nun hausen sie in eilig errichteten Flüchtlingscamps. Und oft gibt es nicht einmal die erhoffte Sicherheit. Denn die schiitischen Milizen scheinen in jedem Schutzsuchenden einen potenziellen IS-Unterstützer zu sehen. Familien werden getrennt, die Männer zum Verhör gebracht. Schlimmer noch: Berichte über Racheaktionen häufen sich. Sunniten sollen verschleppt, misshandelt und erschossen worden sein. Die Angst vor gewalttätigen Übergriffen wiederum treibt viele Sunniten zurück in die Hände des IS.

In Mossul droht eine ähnliche Katastrophe

Das alles könnte sich in Mossul wiederholen – in einer wesentlich größeren Dimension. Die Regierung in Bagdad bereitet derzeit Mossuls Rückeroberung vor. Iraks zweitgrößte Stadt war im Juni 2014 in die Hände des IS gefallen. Damals hatten irakische Einheiten umgehend die Flucht ergriffen, als die "Gotteskrieger" vorrückten. Dabei ließen die Soldaten moderne Waffen ebenso zurück wie eine Filiale der Staatsbank mit einer halben Milliarde Dollar. In den folgenden Monaten entwickelte sich die einstige Millionen-Metropole zur De-facto-Hauptstadt des IS im Irak. In Mossul rief Abu Bakr al Baghdadi das "Kalifat" aus und errichtete dort ein auf der Scharia beruhendes Terrorregime. Dem soll nun durch eine Großoffensive irakischer Truppen einschließlich kurdischer Einheiten ein Ende bereitet werden.

Aber schon jetzt warnen Hilfsorganisationen vor verheerenden Folgen. Der Angriff könnte Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende heimatlos machen. Dabei gibt es schon großes Elend rund um Mossul. Viele Menschen entkamen dem IS in den vergangenen Monaten zwar. Doch sie können kaum ausreichend versorgt werden. Die behelfsmäßigen Lager sind bereits überfüllt. Und: Die Rückeroberung könnte auf sich warten lassen. Denn der IS hatte monatelang Zeit, um sich auf die Schlacht vorzubereiten. Für die Menschen heißt das nichts Gutes. Die einen werden als Geiseln in der Stadt zurückbleiben müssen. Die anderen wird der Kampf zu Flüchtlingen machen.

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