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Trump-Unterstützer bei einer Wahlkampfveranstaltung in Iowa Anfang Februar.
© AFP/Mandel Ngan

Midterm Elections in den USA: Der Kampf um Amerikas Mittleren Westen

Die US-Demokraten hoffen auf die "Midterm Elections" am 6. November. Wer gewinnt, entscheidet sich in Bundesstaaten wie Iowa. Eine Reportage von der Basis.

„Welche Nummer war es noch mal?“, fragt Kathy. „1493“, sagt Holly. „Sie sind an Ihrem Ziel angekommen“, sagt Hollys iPhone. Kathy Johnston, eine kleine, resolute 75-Jährige, tritt auf die Bremse. Doch Haus Nummer 1493 ist nirgends zu sehen. Genau genommen sind ringsherum überhaupt keine Häuser zu sehen.

Seit Kathy Johnston eine Meile zuvor mit Schwung von der Landstraße auf einen Schotterweg abgebogen ist, rumpelt der silberne Kleinwagen zwischen Feldern hindurch. Der Mais steht hoch, die Blätter sind verdorrt, darüber der wolkenlos-endlose Spätsommerhimmel von Iowa. Es ist fünf Uhr am Nachmittag, das Autothermometer zeigt 82 Grad Fahrenheit, 28 Grad Celsius. Holly Parmer, 68, Kathy Johnstons Freundin, Beifahrerin und Kombattantin, schaut noch einmal auf das Smartphone. „Es sagt, es sei hier …“, sagt sie.

Holly Parmer und Kathy Johnston sind unterwegs, um an die Türen von Wählern der Demokratischen Partei zu klopfen, sie an die Kongresswahl am 6. November zu erinnern und für ihre Kandidaten zu werben. Allein, die Wähler sind an diesem Nachmittag in den Weiten des Staates im Mittleren Westen der USA schwer zu finden. Rechts von ihnen führt eine steil abschüssige Sandpiste in eine Senke. „Meinst du echt, das ist eine Zufahrt?“, fragt Kathy. „Da soll ich jetzt runter?“ „Du entscheidest“, sagt Holly, „du fährst.“

Kathy greift nach einem Brillenetui und tauscht ihre mit Strasssteinchen besetze Sonnenbrille gegen ein Modell mit Gleitsichtgläsern. „Let’s go.“ Das Auto holpert über Schlaglöcher und Steinbrocken abwärts, im Fußraum hüpfen weiße Turnschuhe und zwei Pickleball-Schläger auf und ab – vor ihrer Tour haben Holly und Kathy noch eine Runde Mini-Tennis gespielt. Dann, nach 500 Metern und einer Kurve, endet der Weg an einer Pferdekoppel. Erschrocken setzen die Tiere zur Flucht an. Aus sicherer Entfernung beobachten sie, wie sich die beiden Frauen aus dem Wagen schälen. „Hello-o!“, ruft Kathy und lacht, rau und unverwüstlich. „Wählt ihr die Demokraten?“

Ringen um offene Wahlkreise

Es ist der 17. September. Zu diesem Zeitpunkt sind es noch rund sieben Wochen, bis die Amerikaner das US-Abgeordnetenhaus neu wählen und außerdem ein Drittel ihrer Senatoren sowie an vielen Orten auch Gouverneure und Kommunalvertreter. Die Demokraten haben die Wahl zu einer Abstimmung über Donald Trump erklärt. Sie wollen das Abgeordnetenhaus von den Republikanern zurückgewinnen. Sie wollen Trump stellen und aufhalten, seine Steuererklärung endlich veröffentlichen, die Untersuchung der russischen Einmischung in die Wahl 2016 weitertreiben.

Sie wollen zeigen, dass sie wieder da sind und ein kraftvolles Signal für die Präsidentschaftswahl 2020 setzen. Mitte September sieht es dafür gut aus. Webseiten, Radio- und Fernsehsender bereiten die Nation gerade auf die Anhörung von Brett Kavanaugh vor, Trumps Kandidaten für das Verfassungsgericht. Mehrere Frauen werfen ihm versuchte Vergewaltigung und sexuellen Missbrauch vor. In den Umfragen führen die Demokraten mit weitem Abstand.

Manche hoffen sogar auf eine „blaue Welle“, einen Erdrutschsieg, und die Mehrheit im Senat. Wenn die Demokraten die Mehrheit im Abgeordnetenhaus tatsächlich zurückerlangen wollen, müssen sie mindestens 24 Sitze hinzugewinnen.

Mittlerweile scheint das schwieriger geworden zu sein. Brett Kavanaugh hat sich zwar in den Augen vieler Demokraten in der Anhörung diskreditiert, die republikanischen Wähler aber scheint das Trauerspiel um seine Befragung mobilisiert zu haben. Das Analyseportal „Real Clear Politics“ wertet in der Woche, in der Kathy und Holly durch die Maisfelder Iowas kurven, um die 40 Rennen um Abgeordnetensitze als „toss-up“ – als offen –, in der vergangenen Woche waren es nur noch um die 30.

Diese Wahlkreise sind „Wechselkandidaten“, in denen die Menschen mal mehrheitlich demokratisch, mal republikanisch wählen, und von denen viele bei der Präsidentschaftswahl 2016 an Donald Trump fielen. Der erste Wahlkreis von Iowa – IA-01 –, in dem Holly und Kathy an diesem späten Nachmittag unterwegs sind, ist einer dieser wichtigen offenen Bezirke in diesem Bundesstaat – und Iowa ist einer der wichtigsten Staaten für die amerikanische Politik (lesen Sie hier ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Christopher Larimer von der University of Northern Iowa zu den Besonderheiten der Politik in diesem Bundesstaat).

Freiwillige ziehen von Tür zu Tür

Hier beginnen traditionell die Vorwahlkämpfe der Parteien zur Präsidentschaftswahl, wer sich hier gut schlägt, kann weit kommen. Der Staat – im Osten begrenzt vom Mississippi, im Westen vom Missouri, ist fast halb so groß wie Deutschland. Doch hier leben nur etwas mehr als drei Millionen Menschen. Dennoch ist er das politische Orakel der USA. Kathy und Holly wollen, dass ihr Wahlkreis kippt – und mit ihm das Land. Andere wollen so etwas verhindern. Mit denselben Mitteln.

Kollin Crompton sitzt im Auto, schließt das Seitenfenster, mit der rechten Hand öffnet er eine App auf seinem iPhone. Rote Punkte drängen sich auf einer Karte, es sind die Adressen von Wählern, die sich für die republikanische Partei registriert haben. Crompton tippt einen der Punkte an, dann greift er nach einem Bündel Flyer im Fach über dem Autoradio. Dabei fällt ein Stapel Aufkleber in den Fußraum. Der rote Elefant der Republikaner regnet auf leere Wasserflaschen und Skittles-Verpackungen, flattert in ein Megafon und in ein ausgetretenes Paar Mokassins.

Ein Samstagvormittag Ende September in Urbandale, einem Vorort der Landeshauptstadt Des Moines, im dritten Wahlkreis von Iowa. Wie in IA-01 wird auch das Rennen in IA-03 als „offen“ gewertet. Hier tritt die demokratische Geschäftsfrau Cindy Aixne gegen den republikanischen Wahlkreisverteidiger David Young an. Das Rennen ist deutlich knapper als dort, wo Holly und Kathy umherfahren. Laut einer Umfrage der „New York Times“ von Ende September, der jüngsten verfügbaren, hat Aixne die Nase vorn, mit 44 zu 43 Prozent Zustimmung.

Kollin Crompton ist 21 Jahre alt, er studiert Kommunikationswissenschaften in Des Moines und ist an diesem Samstag nicht nur der Abgeordnetenhauswahlen wegen unterwegs, er wirbt gleichzeitig für die amtierende republikanische Gouverneurin Kim Reynolds, seine Chefin. Crompton ist ihr „Field Director“. Er koordiniert die Freiwilligen, die Wähler anrufen, Veranstaltungen organisieren und von Tür zu Tür ziehen. An den Wochenenden macht er selbst mit.

Treffen mit der Wählerschaft

Crompton geht im Laufschritt eine Vorstadtstraße hinunter, den Blick auf dem Smartphone. Gepflegte Vorgärten reihen sich aneinander. Zwischen Bürgersteig und Straße steht ein verlassener Rasenmäher im Gras. Die Sonne scheint, Grillen zirpen. In manchen Fenstern hängen schon Halloween-Skelette.

Die erste Tür, zu der die App Crompton dirigiert, öffnet sich einen Spalt weit, eine ältere Dame im rosa Morgenmantel schaut hindurch, Lockenwickler im Haar. „Unterstützen Sie David Young und Kim Reynolds?“, fragt Crompton, etwas außer Atem. „Ja natürlich“, sagt die Dame. „Awesome“, großartig, sagt Crompton. „Irgendwelche Themen, die Sie besonders interessieren?“, fragt er. „Nein“, sagt die Dame. „Ich stimme einfach allem zu, was sie sagen.“

Crompton streckt ihr einen Flyer hin, doch die Dame öffnet die Tür nicht weiter. „Ich leg’s mal hier hin“, sagt er, legt das Blatt auf die Eingangsstufen und hat den Daumen auch schon wieder auf dem Smartphonebildschirm. Er speichert die Wahlabsicht der Frau in seiner App.

Ein paar Türen weiter sagt ein Mann in karierten Schlafanzughosen, er habe von der Wahl noch gar nicht gehört. Eine Frau im Tennis-Outfit beklagt sich, die Demokraten seien „cry babies“ – Heulsusen. „Alles dreht sich um Gender und so, als gäb’s sonst nichts.“

Ein paar Häuser weiter wirft ein Mann in seinem Garten einem Golden Retriever einen Ball zu. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „March for life“, einer Demonstration gegen Abtreibungen. Ja, er werde die Republikaner wählen, sagt er, „das Leben ist schließlich das Wichtigste“. – „Für mich auch“, sagt Crompton.

Trump ist hier weit entfernt

Kathy Johnston und Holly Parmer gehen in den USA für die Demokraten von Tür zu Tür.
Kathy Johnston und Holly Parmer gehen in den USA für die Demokraten von Tür zu Tür.
© Anna Sauerbrey

Im Wahlkreis IA-01 haben Kathy und Holly es irgendwie geschafft, das Auto aus der Senke zurück auf den Feldweg zu steuern und setzen die Suche nach der unauffindbaren Hausnummer fort. Die Fahrt geht durch ein kleines Waldstück, dahinter finden sie eine Farm. Nummer 1493!

Eine Katze huscht in eine Scheune, massige Rinder grasen. Auf den Stufen zum Wohnhaus stehen Blumenkübel. Eine große blonde Frau in Jogginghosen öffnet. „Hi“, sagt Kathy, „schön haben Sie’s hier. Und Sie haben keinen Hund. Das ist immer gut für uns.“ – „Ich bin mehr so der Katzentyp“, sagt die Frau. – „Wir kommen für die Jackson County Democrats“, sagt Holly, „Sie sind als Demokratin registriert?“ Die Frau stutzt. „Nein. Eigentlich für die Republikaner.“

„Oh“, sagt Holly. „Werden Sie denn wählen gehen?“ – „Nein. Ich hasse die Politik. Es ist alles so polarisiert. Und ich streite nicht gern.“ – „Hey“, sagt sie noch, als Holly sich schon zum Gehen wendet. „Sind Sie nicht die Frau von Jack?“ Ja. „Grüßen Sie ihn. Er hat uns jahrzehntelang die Post gebracht.“

Für die Aktiven, wie Holly, Kathy und Kollin Crompton, ist die Schicksalswahl in diesen Tagen Hauptlebensinhalt. Für viele andere offenbar ein Randereignis oder eines, das sie bewusst ignorieren. Die Wahlbeteiligung ist bei den Kongresswahlen traditionell gering, nur rund 40 Prozent der US-Amerikaner haben sich in den vergangenen Jahren daran beteiligt. Und auch Donald Trump, auf den die ganze Welt zu starren scheint wie die Maus auf die Schlange, ist hier in der Agrarwüste von Iowa seltsam weit entfernt.

Fokus auf die Arbeiterklasse

Die Leute in Iowa würden sich bei dieser Wahl eher nach regionalen Themen entscheiden, Themen, die sie direkt beträfen, sagt Norm Sterzenbach. Trump spiele eine untergeordnete Rolle. Sterzenbach sitzt im zweiten Stock eines neuen Bürogebäudes mit Treppen aus Beton, Glas und Stahl in Iowas Hauptstadt Des Moines. „GPS Impact“ heißt seine Politikberatungsfirma, er arbeitet für demokratische Kandidaten.

Norm Sterzenbach stammt aus einer alten Demokratenfamilie. Sein Vater, Norm Sterzenbach senior, war eine führende Figur in der „Iowa Brotherhood of Electrical Workers“, der Gewerkschaft der Elektroindustrie. Sterzenbach der Jüngere, ein drahtiger Mann mit energischem Blick, war selbst Generalsekretär der Partei in Iowa. In diesem Wahlkampf gestaltet GPS Impact unter anderem die Social-Media-Kampagne von Abby Finkenauer, einer jungen Politikerin, die den ersten Wahlkreis für die Demokraten zurückgewinnen will.

In Iowa haben die politischen Berater verstanden, dass Trump allein sie nicht zurück an die Macht bringt. Die Kampagne, die Sterzenbach für Finkenauer entworfen hat, setzt darauf, „blue collar workers“, die Arbeiterklasse, zurückzugewinnen. In Finkenauers Wahlwerbevideos sieht man ihren Vater als Schweißer arbeiten. Funken sprühen.

„Es wird ein gutes Jahr für die Demokraten“, sagt Sterzenbach. „Jetzt wählen zu gehen, ist doch das Einzige, was wir gerade machen können, um ein Zeichen zu setzen.“ An eine blaue Welle indes glaubt er schon im September, also vor dem Knick in den Umfragen nach der Anhörung von Brett Kavanaugh, nicht.

Republikaner rechnen mit verlorenen Sitzen

Ein paar Kilometer entfernt erhält man von Nick Ryan eine ähnliche Auskunft. Nein, sagt auch er, Donald Trump spiele bei den Midterms in Iowa keine große Rolle. Ryan ist ebenfalls politischer Berater, allerdings auf der anderen Seite. Seine Firma arbeitet für republikanische „PACs“, „Political Action Committees“, also Verbünde von Geldgebern, die einzelne Kandidaten unterstützen. Im Kongresswahlkampf 2018 berät Ryan PACs für Kandidaten in Kalifornien und Florida, aber auch im dritten Wahlbezirk von Iowa.

Ryans Wangen glühen, während er spricht, er trägt ein Trikot. „Shot some balls“, entschuldigt er seine Garderobe zur Begrüßung – in der Mittagspause hat er mit einem seiner Mitarbeiter Basketball gespielt. Die Büros seiner Firma sind in einem Gewerbegebiet nahe Des Moines angesiedelt und gruppieren sich um eine große Basketball-Halle.

Ja, klar, sagt Ryan, die Halle gehöre dem Unternehmen. „Hab das vor ein paar Jahren hier so bauen lassen.“ Mit Politikberatung und politischen Kampagnen kann man in Iowas Landeshauptstadt und überhaupt in den Vereinigten Staaten viel Geld verdienen – und Nick Ryan ist ähnlich gut im Geschäft wie sein Kollege Sterzenbach.

Bei Ryan bekommen die Republikaner für ihr Geld begründeten Optimismus. „Ich vermute“, sagt er, „dass wir Sitze verlieren werden. Dass wir unsere Mehrheit verlieren ist aber noch nicht ausgemacht.“ Die Demokraten, meint Ryan, hofften, Trump würde die Republikaner nach unten ziehen. „Aber die Wähler mögen ihn noch. Alles an ihm ist so intensiv, so persönlich. Man darf ihn nicht unterschätzen. Ich glaube deshalb nicht, dass es ein Jahr für eine blaue Welle ist.“

Streit um die medizinische Versorgung

Kollin Crompton verteilt Flugblätter für die Republikaner.
Kollin Crompton verteilt Flugblätter für die Republikaner.
© Anna Sauerbrey

Holly und Kathy beschließen, dass sie an diesem Tag lieber noch ein paar Adressen in der Stadt abklappern. Die Fahrt geht durch ein Wohnviertel mit kleinen Holzhäusern. An vielen blättert die Farbe. Vor einem Garagentor stapeln sich ausrangierte Sofas. Auf den Veranden bedeckt erstes Herbstlaub verblichene Gartenstühle.

Vor einem Haus steht ein Mast mit „Donald Trump“-Fahne. Kathy und Holly lassen es links liegen, obwohl die Adresse auf ihrer Liste steht. Ein gebeugter älterer Mann sagt, er habe noch nie bei den „mids“, gewählt, „aber dieses Mal bin ich dabei“. An einer anderen Tür umarmt eine junge Frau Holly und Kathy stürmisch und ruft: „Hey, wo gibt’s eure coolen T-Shirts?“

Dann, nach einer Stunde, halten Holly und Kathy vor einem einfachen, aber gepflegten Haus. Auf die Veranda führt eine Holzrampe. Die Tür steht einen Spalt offen, man kann ins Wohnzimmer sehen. Der Boden ist mit Decken und Schlafsäcken bedeckt. Holly drückt auf die Klingel und ein Mann um die 50 erscheint, Basecap, selbsttönende Sonnenbrille, Dreitagebart, aber nicht die absichtliche Sorte. „Sind Sie für die Demokraten registriert?“, fragt Holly. „Aber jede Wette“, antwortet der Mann und bittet um ein Formular zur Anforderung von Briefwahlunterlagen für seinen Sohn: „Cal, komm mal raus“, ruft er über seine Schulter.

Eine Weile passiert nichts. „Diese Wahlen sind besonders wichtig“, sagt Kathy. – „So was von“, sagt der Mann, „da darf ich gar nicht erst anfangen.“ Da tritt Cal auf die Terrasse. Er ist Anfang 20 und barfuß. Seine Arme baumeln wie leblos neben seinem Oberkörper, sein Haar sieht aus, als müsste es mal wieder gewaschen werden. Kathy reicht ihm einen Zettel und einen Stift. Er legt das Blatt auf der Verandabrüstung ab und malt langsam Buchstaben darauf. Seine Hand zittert.

Privatisierung im Gesundheitssystem

„Hab zwei Jungs mit besonderen Bedürfnissen“, erklärt der Mann. „Seit sie Medicaid privatisiert haben, haben wir nur Ärger.“ Medicaid ist ein staatliches Hilfsprogramm für Schwerst- und Chronischkranke. Kim Reynolds, die Chefin des republikanischen Aktivisten Kollin Crompton, hat das Programm in dieser Legislaturperiode privatisiert.

„Cal hier“, sagt der Vater und nickt zu seinem Sohn herüber, „kriegt jetzt plötzlich Rechnungen. Kann er gar nicht mit umgehen. Mein anderer Sohn ist mehrfach schwerstbehindert. Sitzt im Rollstuhl, hat epileptische Anfälle. Sie haben mich gezwungen, ihn wieder über mich zu versichern – musste deshalb zur Personalabteilung in meinem Unternehmen, war mir sehr unangenehm. Und die Öffnungszeiten der Tagespflege werden auch immer kürzer. Lohnt schon gar nicht mehr, ihn hinzufahren. Jetzt spielt er den ganzen Tag iPad.“ Sein Unterkiefer zittert. Er schaut Kathy und Holly an, voller Erwartung auf ein großes Versprechen. Kathy und Holly schweigen.

„Eine meiner Töchter hat auch eine Behinderung“, sagt Holly schließlich. „Wir haben seit der Privatisierung Ärger mit dem Bus, der sie morgens abholt und zur Arbeit bringt.“ – „Ich hab ja gesagt, ich darf gar nicht erst anfangen“, sagt der Mann und holt tief Luft. „Wollen Sie vielleicht auch ein paar Schilder mit den Namen der Kandidaten für Ihren Vorgarten?“, fragt Kathy. „Klar.“

Für den Studenten Kollin Crompton war die Privatisierung von Medicaid ein wichtiger Schritt. Der Staat, findet er, hat bei der Gesundheitsversorgung nichts zu suchen. Er ist überzeugt, dass private Firmen das besser organisieren können, dass es Wettbewerb braucht. Kürzlich habe er mit einem demokratischen Freund darüber diskutiert. „Am Ende sagte er: Du willst also, dass alle diese Leute sterben? Was soll man da noch sagen?“

Der langsame Rhythmus im Mittleren Westen

Bei der Präsidentschaftswahl 2016 durfte Crompton zum ersten Mal wählen. Trump zu wählen, sei ihm schwergefallen, sehr schwer. Am Ende hat er es dennoch getan. Hillary Clinton stehe gegen alle Werte, mit denen er aufgewachsen sei. „Nun ja“, sagt er und klingt plötzlich bitter. „Und jetzt sind wir, wo wir sind.“

Crompton stammt aus einer katholischen Familie in Council Bluffs, einer Kleinstadt an der Grenze zwischen Iowa und Nebraska. Am Ende der Straße, in der er wohnte, liegt eine Abtreibungsklinik. Er sagt, die Gespräche darüber, die Proteste dagegen hätten ihn geprägt. Sein Großvater war General bei der Air Force, „ No, Sir!“ und „Yes, Sir!“, damit sei er aufgewachsen.

Auch in der Nachbarschaft wohnten viele Soldaten, erzählt Crompton. Väter oder Mütter seiner Freunde waren oft plötzlich monatelang weg, weil sie im Irak dienten. „Ich wollte wissen, worum es in diesem Krieg geht. Deshalb habe ich angefangen, mich für Politik zu interessieren. Heute bin ich ein Junkie.“

Nach dem Studium will er vielleicht nach Washington ziehen. Es würde ihm schwerfallen. Crompton sagt, er liebe den Mittleren Westen. Den langsamen Rhythmus des Lebens. Den Gemeinschaftssinn. Dass hier jeder sagt, was er denkt.

16.000 Anrufe in einem Wahlkampf

Und dann ist Trump plötzlich doch da, an diesem friedlichen Vorortvormittag voller Menschen in Schlafanzügen. Im nächsten Vorgarten, den Kollin Crompton ansteuert, stutzt ein bärtiger Mann in Arbeitshose grimmig mit einer Kettensäge Büsche zurecht. Als er hört, dass Crompton für Kim Reynolds arbeitet, hellt sich sein Gesicht auf. Er schaltet die Säge aus.

Klar werde er Reynolds wählen. „Sie unterstützt Trump, also unterstütze ich sie. Wir müssen bei dieser Wahl alle unseren Arsch hochkriegen und zur Urne gehen, für Donald Trump, für unseren Präsidenten. Das ist unsere verdammte Pflicht.“

Crompton fährt zurück ins „Victory Office“, in das Wahlkampfbüro von Kim Reynolds in einem Einkaufszentrum in Urbandale. Wahlkampfmaterial stapelt sich auf Tischen, die Mülleimer quellen über mit Fast-Food-Verpackungen, ein paar junge Leute arbeiten an Computern.

Hinter dem Tresen im Eingangsbereich sitzt ein älterer Herr mit weißem Schnurrbart und einer großen, goldumrandeten Brille und telefoniert Wähler ab. „Hey, Mister Condo. Wie geht’s den Ohio State Buckeyes?“, erkundigt sich Crompton. Die State Buckeyes sind Condos College-Footballteam. Und: Condo ist ein Veteran des Basiswahlkampfs.

Seit 1986 unterstützt er die Republikaner als Freiwilliger. Der pensionierte Gerichtsvollzieher hat in diesem Wahlkampf schon 16.000 Personen angerufen. Jetzt macht er eine kurze Pause, um Crompton seine Methode darzulegen, „die Zuckerguss-Methode“: „Ich bediene mich einer gewissen Ausdrucksweise, ich spreche die Leute immer mit Mr. oder Mrs. an. Wenn man den Leuten mit Respekt begegnet, werden sie dir auch mit Respekt begegnen. Ich bin professionell. Manchmal bin ich humorvoll.“ Er macht eine bedeutungsvolle Pause. „Aber am Ende kommt es gar nicht darauf an, was ich sage. Sondern was die Leute hören.“

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