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Er streckt die Arme aus, jeden und jede will er erreichen – das ist Beto O’Rourkes vielleicht wichtigste Botschaft.
© Loren Elliott/ AFP

Demokrat Beto O'Rourke: Der Mann, der Trump nervös macht

Ex-Punkrocker, Skateboardfahrer – der Demokrat Beto O'Rourke könnte bei den Halbzeitwahlen einen Senatssitz in Washington erringen. Und zwingt damit Donald Trump, für seinen einstigen Gegner zu werben.

Er steht eigentlich selten nur da und hält eine Rede. Vielmehr tänzelt er, von einer Seite der Bühne auf die andere, wie ein Boxer bleibt er immer in Bewegung, man weiß ja auch nie, woher der nächste Schlag kommt. Immer wieder geht er in die Knie, dreht sich, richtet sich auf. Streckt die Arme weit aus, jeden und jede will er erreichen, elektrisieren, miteinbeziehen – das ist Beto O'Rourkes vielleicht wichtigste politische Botschaft in diesen polarisierten Zeiten.

20 Monate lang hat der Abgeordnete aus El Paso, der nach sechs Jahren im US-Repräsentantenhaus nun Senator werden will, dies im Wahlkampf durchgehalten. Er hat seinen Gegner, den konservativen Senator Ted Cruz, nicht verteufelt, ja, meist hat er noch nicht einmal dessen Namen erwähnt. Und dann, in der zweiten TV-Debatte vor einer Woche, als die Umfragen die Hoffnungen auf einen Sensationserfolg bei den Wahlen am 6. November dämpften, hat er auf einmal seine Strategie geändert und seinen Gegner angegriffen, mürbe von all den Attacken der anderen. Da hat er sich sogar der derben Sprache Donald Trumps bedient und Cruz den "Lyin' Ted", den verlogenen Ted genannt, einen Spitznamen, den Trump seinem damaligen Konkurrenten im Präsidentschaftswahlkampf 2016 verpasst hatte. Es war ein völlig anderer Beto O'Rourke, der im Fernsehstudio.

Alle zwei Jahre werden in den USA das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel aller Senatoren neu gewählt. Die sogenannten "Midterms" markieren die Halbzeit jeder Präsidentschaft und sind mehr als ein Stimmungsbild. Erringen die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus oder gar in beiden Häusern des Kongresses, können sie politische Projekte und Entscheidungen der Regierung und der Republikaner blockieren.

Bei weißen Wählern liegt sein Kontrahent klar vorne

Würde der 46-jährige Beto O'Rourke tatsächlich den ein Jahr älteren Ted Cruz bezwingen und für Texas in den Senat in Washington einziehen, wäre das eine Revolution. Er wäre der erste Demokrat seit 30 Jahren, dem das gelingt. Texas ist konservativ, bei weißen Wählern liegt Cruz Umfragen zufolge weit vorne. Andererseits bevorzugen 62 Prozent der Latinos Beto O'Rourke, der eigentlich mit Vornamen Robert Francis heißt, aber seit seiner Kindheit nur mit dem mexikanischen Spitznamen Beto gerufen wird. Ein Fakt, über den sich Trump und Cruz gerne lustig machen, sie unterstellen ihm, dass er nur behaupte, einen spanischen Namen zu haben, um sich bei dieser wichtigen Wählergruppe beliebt zu machen.

Ihm selbst scheint der Strategiewechsel, seine Attacke in der Fernsehdebatte dann doch nicht wirklich gefallen zu haben, bereits eine Woche später klingt er wieder ganz anders. Er sagt, was er will – nicht, was er nicht will. Wie einst Barack Obama, mit dem manche den drahtigen, hochaufgeschossenen Demokraten bereits vergleichen, wirbt er mit der Hoffnung auf Wandel, nicht mit Angst.

Am Samstagabend steht er vor einem dramatischen Sonnenuntergang auf einem Parkplatz im Westen von Dallas, einer Gegend, wo besonders viele Latinos wohnen, potenziell zögerliche Wähler, die er an die Urnen bringen will. Die Stimmung ist fröhlich gelöst. Mehrere hundert Leute sind gekommen, Junge, Alte, viele Frauen und Latinos, um seiner Version von Texas zu lauschen. Es ist ein Texas, das keine neuen Mauern baut, weder im Inneren noch im Äußeren, ein Texas, das den "Dreamern", jenen Migranten aus Lateinamerika, die als Kinder illegal ins Land kamen, eine Bleibeperspektive gibt. Ein Texas, das seine Lehrer so bezahlt, dass sie keinen weiteren Job brauchen, ein Texas, das den Besitz von Waffen nicht verbietet, aber ihn reguliert.

Texas ist fast zweimal so groß wie Deutschland

Auch wenn seine politischen Gegner das Gegenteil behaupten: Beto O'Rourke ist ein moderater Demokrat, der früher zwar in einer Punkband spielte, Skateboard fahren kann und Marihuana liberalisieren will, aber er ist keiner der Linken in der Partei, die in vielen Staaten Überraschungserfolge eingefahren haben. Das macht ihn attraktiv auch für Wähler wie Greg Dobbs, der bei der letzten Wahl noch für die Republikaner gestimmt hat. "Beto will alle einbeziehen, er will nicht spalten, das gefällt mir", sagt der 48-Jährige, der ein kleines Gärtnereiunternehmen in der Gegend führt. Seine beiden Schwestern haben ihn mitgeschleppt, "die sind verrückt nach Beto", sagt er und lacht. Julie, die Jüngere, hat das Down-Syndrom, und bei einem der vielen anderen Beto-Auftritte ist sie schon einmal ganz nahe an ihr Idol gekommen. Das klappt auch an diesem Abend, es gibt ein Selfie, und Julie ist stolz darauf, dass ihr Beto sie gleich wiedererkennt. Die Leute mögen, dass er so nahbar wirkt und immer Zeit für Smalltalk und Fotos hat.

Unermüdlich ist der Kandidat auf den Straßen von Texas unterwegs, alle 254 Bezirke von Texas hat er besucht. Und Texas ist groß, fast zweimal so groß wie Deutschland. Man kann zehn Stunden lang über die staubigen Highways fahren und ist immer noch im gleichen Staat.

An diesem Samstag ist es bereits sein vierter Auftritt, man glaubt, es seiner Stimme anzuhören, auch wenn er immer noch kraftvoll sprechen kann, selbst, als das Mikrofon zeitweise nicht funktioniert wie es soll. Er spricht einfach noch lauter, bis die Technik wieder ohne Scheppern arbeitet. "Beto, du bist so stark", ruft eine Frau ihm zu. Auch sie erkennt er wieder, eine der Mütter, die sich für eine Verschärfung des Waffenrechts einsetzen.

Dieser Staat ist für Trump enorm wichtig

Dass das alles auch anstrengend ist, sieht man an den dunklen Flecken auf seinem hellblauen Hemd, das er fest in seine Khakihose gesteckt hat. Er ist meist lässig elegant gekleidet, braune Wildlederschuhe, keine Krawatte. Und er lässt die Menschen an seinem Alltagsleben teilhaben, das ist sein Markenzeichen, auch wenn das manchmal sehr viel der Intimität sein kann, zum Beispiel, wenn er seine verschwitzten Hemden, Socken und Shorts im Waschsalon während einer "Facebook Live"-Sendung in die Trommel stopft – "alle Farben zusammen, das ist kein Problem", behauptet er. Seine Frau Amy, die ihn trotz der beiden kleinen Kinder häufig im Wahlkampf begleitet, hört man im Hintergrund lachen.

Einst schimpfte Donald Trump Ted Cruz (rechts) einen Lügner, jetzt unterstützt er den früheren Rivalen im Wahlkampf in Houston.
Einst schimpfte Donald Trump Ted Cruz (rechts) einen Lügner, jetzt unterstützt er den früheren Rivalen im Wahlkampf in Houston.
© Trusk Smith/ imago/UPI Photo

Weil dieser Mann dem Amtsinhaber gefährlich nahe gekommen ist, ist der US-Präsident diese Woche höchstpersönlich in das Senatsrennen eingestiegen. Dass er Ende August überraschend ankündigte, seinem einstigen Rivalen Cruz "im größten Stadion von Texas" zu Hilfe zu eilen, war ein klares Zeichen dafür, wie knapp das Rennen geworden ist. Und wie sehr die republikanischen Strategen eine Niederlage fürchten.

Bisher haben die Republikaner eine klare Mehrheit in beiden Kongresskammern, die Demokraten sind wild entschlossen, das binnen zwei Wochen zu ändern. Das Feindbild Trump motiviert. Im Repräsentantenhaus könnte der Machtwechsel klappen, im Senat wird es eher schwierig. Die Demokraten müssten dort alle zur Wahl stehenden Sitze verteidigen und zwei weitere dazugewinnen. Auch daher ist Texas für Trump enorm wichtig – dieser Senatssitz galt eigentlich nicht als wackelig. Eigentlich. Beto O'Rourke, der auf Geld von großen Lobbygruppen verzichtet, hat die unglaubliche Summe von 61 Millionen Dollar für seinen Wahlkampf aufgebracht, fast doppelt so viel wie sein Gegner. Das kann die Republikaner nicht kalt lassen.

Da sich die Lage geändert hat, ist Trump also am Montagabend nach Houston geflogen, um für sich, seine Politik und auch für seinen einstigen Widersacher Cruz zu werben. Denn der habe ihm seit seiner Wahl "mehr als jeder andere" geholfen, sagt er bei seiner Rede: bei der Nominierung des Supreme-Court-Richters Brett Kavanaugh, bei seiner großen Steuerreform und Themen wie Migration, Gesundheitspolitik und Deregulierung.

Sie stammen aus Mexiko – und befürworten die Mauer

Salvador, Kaetlyn und Jenni Salinas, deren Eltern aus Mexiko in die USA einwanderten, verehren den Präsidenten und befürworten die Mauer.
Salvador, Kaetlyn und Jenni Salinas, deren Eltern aus Mexiko in die USA einwanderten, verehren den Präsidenten und befürworten die Mauer.
© Juliane Schäuble

Die "Toyota Arena", in der sonst die "Houston Rockets" Basketball spielen, ist rappelvoll mit Trump-Anhängern, die Halle leuchtet rot bis unter die Decke. Rot ist die Farbe der US-Republikaner und ganz besonders auch die Farbe der Trump-Anhänger. 18.000 Menschen passen in die Arena, deutlich mehr als in die Halle, in der Trump eigentlich reden sollte. Aber es ist bei weitem nicht das "größte Stadion" von Texas, wie es der Präsident großspurig angekündigt hatte. Dennoch: 100.000 Fans sollen sich angemeldet haben, weil die Arena voll ist, stehen draußen Tausende, vielleicht Zehntausende vor Leinwänden und verfolgen die Show. Bereits am Vortag haben sich manche angestellt, heißt es. An Dutzenden Ständen decken sie sich ein mit Trump-Devotionalien aller Art, das Käppi ist ab fünf Dollar zu haben, das Shirt für 25.

Trumps Publikum ist ebenfalls bunt gemischt, allerdings uniformierter gekleidet. Fast alle tragen T-Shirts und Schilder mit Slogans wie "Make America great again", "Finish the wall" oder "We create jobs not mobs", ein neuer Satz von Trump in Anspielung auf wütende Demokraten. Auch viele Frauen sind dabei, manche mit pinkfarbenen "Women for Trump"-Shirts, die die These widerlegen sollen, dass die meisten Frauen, vor allem die mit College-Abschluss, den Präsidenten nicht leiden können.

Und auch Latinos sind in der Menge, "Latinos for Trump" verkünden stolz die T-Shirts von Salvador und Jenni Salinas, die mit ihrer sichtlich desinteressierten Tochter Kaetlyn einen Platz unten in der ersten Reihe der Arena ergattert haben. Jenni ist die Vorsitzende der texanischen Sektion von "Latinos for Trump", und sie findet es ganz und gar nicht komisch, als von mexikanischen Eltern abstammende Amerikanerin für Trump und Cruz zu stimmen. "Meine Eltern sind legal nach Amerika gekommen. Es kann doch nicht sein, dass einfach jeder hierher kommen kann, der das möchte", sagt sie empört. "Wir kennen die Lage: Da sind viele Drogendealer und andere Kriminelle dabei, wir müssen unsere Kinder schützen, daher brauchen wir die Mauer."

Journalisten beschimpfen, Hillary Clinton einsperren

Trumps Rhetorik verfängt offensichtlich, und darum hat er sie angesichts der menschlichen Karawane, die gerade aus Honduras kommend vor laufenden Kameras in Richtung USA marschiert, auch gerade mal wieder extrem verschärft. An diesem Abend behauptet er nicht nur, dass unter den Marschierenden neben Kriminellen und Gangmitgliedern auch viele "aus dem Nahen Osten" seien, für ihn offenbar ein Synonym für potenzielle Terroristen, sondern er nennt sich auch stolz einen "Nationalisten", das sei zwar ein Wort, das man nicht verwende dürfe, aber er tue es gerne. Und alle anderen sollten das auch. Was andernorts für Irritationen sorgen würde, wird hier in der Basketballarena von Houston als Kampfansage an die politische Korrektheit mit Gejohle und Applaus gefeiert. Keiner stutzt, keiner zögert.

Mit dröhnenden Gassenhauern wie Sinatras "My Way", dem Rolling-Stones-Hit "You Can't Always Get What You Want" und "Dream On" von Aerosmith wird die Menge in Stimmung gebracht, Laola-Wellen schwappen durch die Halle, Schilder werden geschwenkt, und das alles schon lange, bevor Trump endlich die Bühne betritt. Die Inhalte sind erprobt: die Mega-Erfolge durch seine Steuerreform, die er durch weitere zehn Prozent Steuersenkungen für die Mittelklasse ergänzen will. Wo das Geld dafür herkommen soll, sagt er nicht. Seine "wunderschöne Mauer", die das Land und vor allem Texas brauche, um sich gegen die hereindrängenden Flüchtlinge zu schützen. Die "Globalisten", die nur wollten, dass es der Welt gut gehe, aber nicht ihrem eigenen Land. Und natürlich immer wieder die Fake-News-Medien, die "linken Journalisten", die unten auf dem Spielfeld in einem Viereck angeordnet sind und sich dadurch von allen Seiten gleichzeitig wunderbar beschimpfen lassen.

Die Anhänger in der "Toyota Arena" in Houston lieben Donald Trump, weil er "kein Politiker ist" und "hält, was er verspricht".
Die Anhänger in der "Toyota Arena" in Houston lieben Donald Trump, weil er "kein Politiker ist" und "hält, was er verspricht".
© Juliane Schäuble

Immer, wenn die Stimmung etwas abzukühlen droht, zieht er diese Karte – "Schaut sie euch an!" – oder erwähnt besonders unbeliebte Demokratinnen wie die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, "Sperr sie ein". Oder die eventuell zukünftige Kandidatin und derzeitige Senatorin aus Massachusetts, Elisabeth Warren, mit der er sich einen bizarren öffentlichen Schlagabtausch über ihre angebliche indianische Abstammung liefert. Das Rezept geht auf, die Menge erregt und freut sich, und dass kurz vor Ende ein paar der Zuhörer vorzeitig den Raum verlassen, liegt bestimmt nur daran, dass sie dem erwartbaren Stau entgehen wollen.

40 Prozent der Bevölkerung sind Latinos

Beto O'Rourkes Veranstaltungen sind da pures Kontrastprogramm, Gigantismus sucht man hier vergebens. Auch wenn die "Cowboys Dancehall" in San Antonio am Dienstagabend mehr als gut gefüllt ist. Die Ordner schätzen, dass sie mindestens 2500 Leute in die Halle reingelassen haben. Es gibt Bier, Schnaps und billigen Wein. Auf dem Programm stehen drei heimische Bands, unter anderem Intocable, die bereits einen Latin Grammy gewonnen haben und mitreißende mexikanische Musik spielen. Der eigentliche Höhepunkt aber ist der Kandidat Beto. Für ihn sind sie gekommen, ihn wollen sie hören, an diesem Abend sind es besonders viele Latinas und Latinos. Auch jeder Zweite von ihnen trägt Cowboystiefel, manche zudem den Hut dazu.

In San Antonio kann man sehen, wie die Einwanderer aus dem Süden die USA bereits verändert haben. Auf den Straßen dröhnen die in Texas besonders beliebten Riesentrucks mit den gigantischen Stoßdämpfern, aber hinter dem Steuer finden sich fast schon mehr hispanisch aussehende Gesichter. Latinos stellen laut dem Zensus von 2010 bereits 40 Prozent der Bevölkerung. Acht Jahre später wird das eher noch zugenommen haben.

O'Rourke spricht an diesem Dienstagabend auch ein paar Sätze auf Spanisch, das er perfekt beherrscht. Die Menge dankt es mit ohrenbetäubender Begeisterung. Noch liegt er in den Umfragen zwischen vier und sieben Prozentpunkten hinter Ted Cruz. Doch wenn sein Kalkül aufgeht und die Latinos viel zahlreicher zur Wahl gehen als bisher, hat er eine wirkliche Chance. Die will er nutzen. Seit Montag können die Wähler in Texas bereits ihre Stimme abgeben, und vieles deutet auf eine ungewöhnlich hohe Beteiligung hin. Daher will O'Rourke bis zur allerletzten Minute alles geben, um am besten jeden einzelnen Wähler an allen Orten von Texas von sich und seiner Politik zu überzeugen. "Ich will nicht am 7. November aufwachen und feststellen, dass ich nicht alles gegeben habe", ruft er seinen Anhängern zu. Und dass sie seinem Beispiel folgen sollen. Denn: "It's the election of a lifetime", eine historische Wahl.

Nur seine Stimme droht am Dienstag schon schlappzumachen. Auch wenn das nicht sein darf. Denn noch sind es zwei Wochen bis zur Wahl. Bis zu einer möglichen Revolution. Er ist bereit dafür. Texas auch?

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