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Angst vor dem Kontrollverlust. Von links: Die Senatoren Mike Lee, John Cornyn, Lindsey Graham, Orrin Hatch und Chuck Grassley bei der Anhörung von Christine Blasey Ford in Washington.
© Gabriella Demczuk/Reuters

Streit um Kavanaugh-Berufung: Die Immunität des weißen Mannes

Wie viel kann #MeToo verändern? Gedanken zum Streit über die Berufung des US-Richters Brett Kavanaugh.

Am Donnerstag hat der Justizausschuss des Senats der Vereinigten Staaten Christine Blasey Ford und Brett Kavanaugh angehört. Christine Blasey Ford ist eine Psychologieprofessorin, die in Kalifornien lebt. Brett Kavanaugh ist Donald Trumps Kandidat für das höchste Richteramt. Blasey Ford wirft Kavanaugh vor, in den 80er Jahren versucht zu haben, sie zu vergewaltigen, als beide noch in Maryland zur High-School gingen. Kavanaugh bestreitet die Vorwürfe. Der Ausschuss empfahl am Freitag nach der Anhörung dem Senat die Bestätigung des Kandidaten – unter der Bedingung einer Untersuchung des Falls durch das FBI, die Donald Trump umgehend anordnete.

Was sich so nüchtern zusammenfassen lässt, ist ein politisches und gesellschaftliches Drama historischen Ausmaßes. Zwei Kämpfe haben sich in den letzten Wochen überlagert, gegenseitig verstärkt und kulminierten am Donnerstag in der Kavanaugh-Anhörung: das Ringen um das Erbe der #MeToo-Bewegung, deren Beginn sich in diesen Tagen jährt, und der lähmende politische Lagerkampf zwischen Demokraten und Republikanern. Es ist das Ringen der Vereinigten Staaten mit sich selbst und um die politische und gesellschaftliche Realität: Wie zivilisiert oder wie anarchisch sind die USA?

Beides, der politische Lagerkampf und die daraus resultierende Trump-Präsidentschaft sowie die feministische Bewegung #MeToo stehen für die Erkenntnis, dass sicher geglaubte zivilisatorische Fortschritte nur Scheinsiege waren. Die massive sexuelle Gewalt, von der im vergangenen Jahr so viele Frauen erzählt haben, fand in einem Land statt, das wie kein anderes auf politisch korrekte Sprache achtet, in dem ein Heer von Anwälten jederzeit bereit ist, Frauen in Zivilklagen zu vertreten. Gleichzeitig regiert plötzlich ein stammelnder Narzisst ohne Affektkontrolle. Seine Berater halten ihn nur mühsam von seinen wahnsinnigsten Ideen ab, folgt man der Recherche des Journalisten Bob Woodward.

Eine dünne Schicht der Zivilisation

Donald Trump ist ein misogyner Präsident, der sich wie wohl kaum ein anderer öffentlich abfällig über Frauen geäußert hat. Die zivilisatorische Schicht über dem Brodeln von Gewalt, Irrationalität und politischen Extremen scheint plötzlich dünn, brüchig, ja durchlässig.

Die Anhörung am Donnerstagabend geriet zu einem Symbol für dieses Gefühl. Sie war auf seltsame Weise quälend, ja nahezu unerträglich. Alle Beteiligten rangen um ihre Haltung: Christine Blasey Ford unterdrückte Tränen. Brett Kavanaughs Gesicht zuckte und arbeitete. Der republikanische Senator Lindsey Graham ließ seiner Wut freien Lauf. Immer wieder traten Wut und Tränen kurz an die Oberfläche. Es waren acht Stunden des andauernden Nahezu-Berstens.

Der Hass in den Mundwinkeln stand dabei in krassem Kontrast zum Setting: ein enger, fensterloser Raum, in dem sich alle an Redezeiten und Protokollgepflogenheiten hielten. Etwas ungeheuer Ursprüngliches wurde nur mühsam durch die Zwänge institutioneller und gesellschaftlicher Gepflogenheiten zusammengehalten. Gleichzeitig ließ gerade der Zwang der Institution die Konflikte grell und explosiv erscheinen und weckte eine in sich widersprüchliche klaustrophobe Angst vor dem Kontrollverlust.

Auch die Erzählung Blasey Fords selbst steht für den Zweifel an der Realität des Zivilisierten. Die Szenen, die sie beschreibt, tragen sich in den wohlhabenden Vororten Washingtons zu, an teuren Privatschulen, an denen die zukünftige Elite des Landes ausgebildet wird. Es ist eine Welt, in der Häuser von großen, perfekt gepflegten Rasenflächen umgeben sind. Hinter dieser bürgerlichen Fassaden lässt die Anhörung nun entgrenzte Partys und bierdunstige Gewaltszenen aufscheinen – und eine männliche Elite, die sich im High-School-Jahrbuch gegenseitig prahlerisch daran erinnert, zu den „Alumnen“ eines bestimmten Mädchens gehört zu haben.

Auch Progressive sind verbittert

Nach dieser Anhörung fragen sich nun viele: Hat sich seither etwas geändert? Wie viel kann #MeToo verändern? Kann überhaupt eine faire Auseinandersetzung gelingen in diesem polarisierten Land? „Sie wollen einen fairen Prozess?“, fragte der Senator Lindsey Graham Brett Kavanaugh sarkastisch. „Dann sind Sie zum falschen Zeitpunkt in die falsche Stadt gekommen.“ Auch progressive Stimmen sind nach der Anhörung verbittert. Im „New Yorker“ schrieb die Journalistin Doreen St. Félix: Auch das nächste Jahr werde „ein Jahr der Männer“.

Tatsächlich zeigt Brett Kavanaugh, wie tief das Gefühl der Immunität mancher weißen Männer wurzelt. Über weite Strecken unterdrückte Kavanaugh nur mühsam die Wut eines privilegierten Mannes, dessen Lebenswerk unter seinen Fingern zerbröckelt, eine überraschte, erstaunlich hilflose und erstaunlich unkontrollierte Wut. Wiederholt berief er sich auf seinen „guten Namen“, seine „Arbeit im Dienst der Allgemeinheit, auf den höchsten Ebenen der Regierung“ – als befreie ihn das von der Pflicht, sich mit den Anschuldigungen auseinanderzusetzen. „Wenn du ein Star bist“, sagt Donald Trump in einer Tonaufzeichnung aus dem Jahr 2005, die im Wahlkampf öffentlich wurde, „lassen sie es dich machen. Du kannst alles machen. Grab’ em by the pussy.“ Er wurde bekanntlich gewählt.

Und dennoch zeigt die Anhörung auch, wie viel #MeToo bereits verändert hat. Es reicht ein Blick auf jenen vergleichbaren Fall von 1991, der im Vorfeld der Kavanaugh-Anhörung immer wieder zitiert wurde. Es ging um die Bestätigung des republikanischen Richterkandidaten Clarence Thomas. Seine damalige Mitarbeiterin Anita Hill sagte aus, er habe sie gefragt, ob sie mit ihm ausgehen wolle, was sie ablehnte, danach dennoch Gespräche immer wieder auf Sex gelenkt. Er habe etwa Szenen aus pornografischen Filmen geschildert. In der Anhörung fragte der Senator Howell Heflin Anita Hill: „Are you a scorned woman – sind Sie eine verschmähte Frau?“ Noch 1991 war es möglich, eine Frau, die den Vorwurf der sexuellen Belästigung erhob, als prüde abzutun.

Amerikas Ringen mit sich selbst

Das ist heute anders. Die republikanischen Senatoren ließen aus Angst vor der Erinnerung an Anita Hill eine Staatsanwältin die Fragen stellen. Nur der republikanische Senator Lindsey Graham machte die Wut der weißen Männer sichtbar: „Ich bin ein alleinstehender weißer Mann aus North Carolina“, wütete er. „Mir wurde gesagt, ich soll die Klappe halten. Aber ich werde die Klappe nicht halten.“

Dieses amerikanische Ringen mit sich selbst ist ein offenes. Das Momentum der Kavanaugh-Anhörung ist deprimierend und gleichzeitig voller Hoffnung. Noch am Freitag verkündete der republikanische Senator Jeff Flake, er werde für Kavanaugh stimmen. Flake galt als mögliche Nein-Stimme in seinem Lager, er ist ein gemäßigter Republikaner, der seinen Senatssitz unter dem Druck der Trumpisten in der eigenen Partei aufgeben wird.

Dann aber stellten ihn zwei Aktivistinnen, Opfer sexueller Gewalt, im Fahrstuhl. In einem von CNN aufgezeichneten Spontantribunal forderten sie Jeff Flake auf, sich zu erklären. Wenige Stunden später erklärte der Senator, er werde doch nur unter der Bedingung zustimmen, dass das FBI ermittelt.

Anna Sauerbrey

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