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Mit einer Lichtprojektion auf dem US-Supreme-Court protestieren Menschen gegen die mögliche Berufung von Brett Kavanaugh.
© imago/ZUMA Press

Politik-Professor Mead über den Fall Kavanaugh: "Die politische Schlacht des Jahrzehnts"

Der Politik-Professor Walter Mead spricht über die große Bedeutung des Falls Kavanaugh für die USA - und die tiefe Spaltung der amerikanischen Gesellschaft.

Herr Mead, die USA schauen derzeit gebannt auf die Debatte um den Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh. Was ist so interessant an dem Nominierungsprozess eines Richters?

Man könnte annehmen, dass die Beratung über einen Richter das Langweiligste der Welt ist. Aber in den USA werden in diesen Tagen viele der wichtigsten Fragen am Ende durch eine Abstimmung im Supreme Court entschieden werden, und oft fällt die Entscheidung mit fünf zu vier Stimmen sehr knapp aus. Daher wird die Besetzung des Obersten Gerichts zu Recht als eine wichtigere politische Weichenstellung angesehen als die meisten Wahlen, vielleicht sogar als die des Präsidenten. Dass nun ein sehr konservativer Richter einen gemäßigteren ersetzen soll, kann die Grundausrichtung der amerikanischen Gesetzgebung für die nächsten Jahrzehnte verändern. Daher ist es für sehr viele auf beiden Seiten die politische Schlacht des Jahrzehnts.

Im Fall von Brett Kavanaugh, dem unter anderem von der Professorin Christine Blasey Ford ein Vergewaltigungsversuch vor 36 Jahren vorgeworfen wird, stehen die Republikaner fast geschlossen auf der einen und die Demokraten auf der anderen Seite – obwohl es dabei wirklich nicht um eine parteipolitische Frage gehen sollte. Was ist los in der amerikanischen Politik?

Zwei Typen sind derzeit in den USA schwer zu finden: Leute mit einer sehr liberalen juristischen Einstellung, die glauben, dass der Kandidat bestätigt werden sollte, und Leute mit einer sehr konservativen Philosophie, die ihn scheitern sehen wollen.

Wie gefährlich ist es, wenn die Gesellschaft so gespalten ist?

Die Polarisierung findet zuhause am Küchentisch statt. Was sich hier zeigt, ist eine Geschlechterkluft: Frauen sympathisieren meist mit Ford, Männer mit Kavanaugh. Keine Ahnung, wie viele Ehen darüber zerbrechen werden.

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Worin liegt diese Polarisierung begründet?

Wir sind eine sehr heterogene Gesellschaft. Häufig wird der Fehler gemacht, die USA mit einem einzigen europäischen Land zu vergleichen, etwa mit Deutschland oder Frankreich. Die USA ähneln aber viel mehr der EU insgesamt. Die Unterschiede zwischen Louisiana, Vermont und Oregon sind riesig – kulturell, historisch, wirtschaftlich. Daher ist es auch so schwierig, auf der nationalen Ebene eine Entscheidung in Fragen wie der Abtreibungspolitik oder dem Mindestlohn zu treffen. Zerrt man diese Fragen auf die nationale Ebene, wie wir es in den vergangenen 30 Jahren häufig getan haben, bekommt man eine sehr kontroverse politische Debatte. Stattdessen sollten wir liberalen Bundesstaaten eine liberale Politik erlauben und den konservativen eine konservative. Dann würde der Streit über Abtreibung oder die Homoehe auf der lokalen Ebene ausgetragen, und unsere landesweiten Debatten wären weniger aufgeladen.

Viele machen Präsident Trump für die Polarisierung verantwortlich. Teilen Sie das?

Er trägt zumindest dazu bei. Und oft macht er das mit voller Absicht als Teil seiner Wahlkampfstrategie. Er profitiert davon, wenn seine Wähler wütend sind. Andererseits war er aber auch das Ergebnis einer bereits bestehenden Polarisierung, er hat letztlich nur die Möglichkeit gesehen, dadurch an die Macht zu gelangen. Die Tatsache, dass die Demokraten Hillary Clinton nominierten und die Gefahr nicht sahen, die darin lag, zeigt, wie sehr sie in ihrer eigene Welt lebten – ohne es zu merken. Die Demokratische Partei und ihre Botschaft sind unter Barack Obama sehr schwach geworden. Viele sagten, wir mögen Obama, er ist ein toller Präsident, und das stimmte ja auch in Teilen, aber als politische Führungsfigur war er ein Totalausfall. Die Demokraten waren 2014 auf Bundesebene schwächer, als sie es jemals seit den 1920er Jahren waren. In der US-Politik hat sich etwas verändert, und die demokratische Parteiführung hat es nicht kommen sehen.

Und wie ist die Lage heute? Ist Trump ein rein populistischer Präsident geworden?

Mindestens seine Wähler sind es. Was er selbst wirklich denkt, weiß keiner.

Wenn wir auf die Außenpolitik von Trump schauen, zeichnet sich ein Muster ab. Er lehnt Multilateralismus ab, verhält sich oft auch wie ein Globalisierungsgegner. Kann er damit Erfolg haben?

Ich bin ein großer Fan der Weltordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde. Aber die Welt hat sich verändert. Viele internationale Institutionen arbeiten nicht so gut, wie sie es sollten. Nehmen Sie den UN-Sicherheitsrat: Die fünf ständigen Mitglieder waren vielleicht die fünf wichtigsten Länder im Jahr 1946, aber heute sieht das doch ganz anders aus. Dass drei von ihnen europäische Länder sind, ist verrückt, genauso, dass weder Indien noch Japan dabei sind. Oder dass Frankreich und Großbritannien dabei sind, aber Deutschland nicht. Aber der Rat ist unreformierbar.

Also hat Trump Recht?

Zumindest in diesem Punkt. Genauso wie beim Thema Handel. Da gibt es nun das neue Abkommen mit Kanada, das keine Revolution ist. Aber die Amerikaner waren nie große Fans des ursprünglichen Nafta-Vertrags. Nun hat Trump anders als befürchtet das Abkommen nicht zerstört, sondern es reformiert – auch zum Vorteil der amerikanischen Arbeiter. Hören Sie nicht auf seine Rhetorik, schauen Sie auf die Ergebnisse.

Unter Trump hat die Kritik an der EU und insbesondere auch an Deutschland stark zugenommen. Woran liegt das?

Es gibt einen Kampf zwischen Globalisten und Nationalisten. Wer will, dass die Globalisten scheitern, hätte auch gerne, dass die EU auseinanderfällt, Leute wie Steve Bannon zum Beispiel. In der amerikanischen politischen Kultur gibt es eine starke Strömung, die glaubt, dass alles, was auf nationaler oder gar internationaler Ebene entschieden wird, gefährlich ist. Um so höher man geht, so ist deren Überzeugung, umso wahrscheinlicher ist es, dass das System korrupt ist. Die Menschen glauben nicht automatisch, dass die Entscheider auf nationaler Ebene klüger oder kompetenter sind als die auf der lokalen. Geschweige denn auf der internationalen Ebene. Warum soll die EU funktionieren, wenn es schon auf Bundesebene nicht klappt, argumentieren sie.

In Europa fürchten viele den Schaden, den jemand wie Bannon anrichten kann. Zu Recht?

Wer das denkt, belegt damit eigentlich nicht Bannons Stärke, sondern das Gefühl der eigenen Schwäche. Ist der europäische Konsens wirklich so schwach, dass ein Einzelner ihn zerstören kann?

Die Sorge ist übertrieben?

Vielleicht wird das Problem nicht übertrieben, aber man konzentriert sich hier auf die falsche Sache. Das Problem liegt in der eigenen Schwäche. Und das ist gefährlicher.

Warum?

So lange die politische Klasse glaubt, dass der Fehler bei den Menschen liegt, die sich falsch entscheiden, dass diese Menschen sich den Ansichten der politischen Führung anpassen müssen, so lange wird alles nur schlimmer. Politische Führung bedeutet, die Stärken und Schwächen der Menschen zu verstehen, zuzuhören, lernen zu wollen. In Amerika beobachten wir aber ein Versagen der politischen Klasse. Zu viele Bürger denken, dass die politische Klasse sie ignoriert oder ihnen gar feindlich gesinnt ist. Diese Menschen haben sich in eine populistische Abwehrschlacht zurückgezogen.

Und Trump reagiert darauf?

Ja, Trump greift das auf, er spricht ihre Sprache. Für viele ist es das erste Mal, dass ein Politiker sich so sehr für sie interessiert, dass er sogar bereit ist, sie anzulügen. Bill Clinton konnte diese Menschen auch erreichen, viele, die ihn gewählt habe, haben 2016 für Trump gestimmt. Hillary Clinton oder Barack Obama dagegen erreichten diese Gruppe, die sich von der politischen Klasse abgehängt fühlte, nicht. In Europa beobachten wir Ähnliches: Viele Diskussionen auf Brüsseler Ebene erreichen die Bürger in Stuttgart oder Athen nicht. Es gibt zu wenige Politiker, die das übersetzen können.

Und Trump kann das?

Nein, Trump ist das Ergebnis dieses Problems. Ein Trump kann auch anderen Ländern passieren. Die gefährliche Reaktion auf Trump ist zu sagen: Oh Gott, schaut, wie schrecklich er ist, hört ja nicht auf ihn. Das bereitet nur den Boden für einen wie ihn oder Schlimmeres. Wichtig wäre zu fragen, welche Schwächen er ausgenutzt hat. Wer wurde zurückgelassen, so dass er sich von der politischen Führung vernachlässigt oder gar verachtet fühlte? Der Westen erlebt derzeit weniger eine populistische Krise als eine politische Führungskrise. Populismus taucht da auf, wo politische Führung versagt.

Walter Russell Mead (66) forscht und publiziert am Hudson Institute in Washington. Er ist Professor am Bard College und lehrte zuvor unter anderem US-Außenpolitik an der Yale University.

Juliane Schäuble

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