Mitt Romney: Der gute Mensch von Tampa
Mitt Romney hat auf dem Parteitag der Republikaner eine Rede ohne programmatische Kraft gehalten. Seine eigenen Leute konnte er damit zwar in Siegesstimmung versetzen. Auf das entscheidende Votum muss er aber noch warten. Eine Reportage aus Tampa.
Am Ende des Abschlussabends gleichen die Republikaner einer großen und ziemlich erleichterten Familie. Auf der Bühne laufen der Präsidentschaftskandidat Mitt Romney und sein Vize Paul Ryan mit ihren Frauen an der Seite hin und her, um beglückt mal auf der einen, mal auf der anderen Seite des großen Saals in die Menge zu winken. Minutenlang applaudieren die Delegierten stürmisch. 18 Romney-Enkel und drei Ryan-Kinder jagen derweil Luftballons in den Nationalfarben Blau, Rot und Weiß, die zu Hunderten aus dem Hallendach herab regnen, und boxen oder kicken sie ins Publikum.
Von ausgelassener Freude ist freilich wenig zu spüren. Parlamentspräsident John Boehner hat keine Mühe, den Saal bald wieder zur Ordnung zu rufen, um den katholischen Erzbischof von New York, Kardinal Timothy Dolan, den Schlusssegen sprechen zu lassen. Danach leert sich die große Mehrzweckhalle erstaunlich rasch. Die Delegierten haben offenkundig nicht das Gefühl, einem erhebenden Augenblick von historischer Bedeutung beizuwohnen, den man so lange wie möglich auskosten möchte.
Seit Beginn des Nominierungsparteitags diskutieren Amerikas Medien, ob sich diese Institution überlebt habe. Das Land weiß seit April, dass Mitt Romney als Präsidentschaftskandidat gegen Barack Obama antreten wird. Seit Mai hat er die dafür verlangte Zahl an Delegiertenstimmen zusammen. Warum dann noch diese teure und aufwändige Zusammenkunft Ende August, mitten in der Hurrikan-Saison? Wie schon vor vier Jahren hat auch dieses Mal ein Wirbelsturm das Programm durcheinander gewirbelt.
Der Parteitag der Republikaner in Bildern
Ob die Sonderparteitage wirklich in einer Existenzkrise sind, weil sich im Zeitalter der elektronischen Medien ihr Sinn nicht mehr erschließt, wird die kommende Woche zeigen. Dann treffen sich die Demokraten in Charlotte, North Carolina. Wird auch ihre „Convention“ so uninspiriert verlaufen oder wird das Land zu dem Schluss kommen, es liege womöglich am Zustand der Republikanischen Partei und an der Person ihres Spitzenkandidaten, wenn die Funken in Tampa nicht so recht sprühen wollten?
Mitt Romney hat eine überraschende Rede gehalten. Weder war es ein großer Auftritt, von dem man noch lange reden wird. Noch hatte sie programmatische Kraft. Wer erfahren wollte, wie er zum Beispiel sein Versprechen in die Tat umsetzen möchte, Amerikas Haushalt auszugleichen und den Schuldenberg abzubauen, war hinterher nicht klüger. Er gab auch nicht den unbedingten Angreifer gegen den Amtsinhaber. Die Begründung, warum er ihn ablösen wolle und warum das besser für das Land sei, floss eher beiläufig ein.
Video: Mitt Romney's Rede auf dem Parteitag der Republikaner
Mit seiner Rede versuchte Romney drei Ziele parallel zu verfolgen: erstens, sich der Nation als Menschen aus Fleisch und Blut mit großen Gefühlen darzustellen; zweitens um Frauen zu werben; und drittens wenigstens ein paar der erwarteten Breitseiten gegen Barack Obama abzuliefern. Bisweilen drängte sich der Verdacht auf, seinen Beratern gehe es mehr darum, an seinen Schwachstellen zu arbeiten, als seine Stärken hervorzuheben. Andererseits bemühte sich Romney, mehr zu liefern, als von einer Rede zu diesem Anlass erwartet wird.
Nominierungsparteitage in Amerika sind zum Jubeln da. Sie sollen Kampfgeist und Siegeszuversicht wecken und die Reihen fester schließen. Es ist nicht ihre Aufgabe, in seriöser Weise die Lage der Nation zu diskutieren und ein Regierungsprogramm zu entwerfen. Die Republikaner waren mit Selbstzweifeln in ihr Treffen gegangen. Eigentlich müsste die Wahl eine klare Angelegenheit für sie sein. Die Wirtschaft stottert, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Da müssten die Bürger doch den Amtsinhaber abwählen.
So klar ist die Sache freilich nicht. Das liegt an den Republikanern. Die Partei ist gespalten zwischen rechten Ideologen und dem pragmatischen Wirtschaftsflügel. Und der Spitzenkandidat steht im Ruf, hölzern und abgehoben zu sein. Das muss sich ändern.
Warum Romney plötzlich Verständnis für Obama zeigt
Deshalb soll er locker und leutselig wirken, am besten schon auf dem Weg ans Mikrofon. Seit drei Tagen waren die Redner aus den Kulissen hinter der Bühne an das Pult getreten. So auch der junge kubanische Senator von Florida Marco Rubio, der die Ehre hatte, Romney mit einer feurigen Rede über Diktatur und Freiheit am Donnerstag Abend anzukündigen. Kaum hat er um 22 Uhr 33 die acht Worte gesprochen, die seit drei Tagen in jeder Rede den unausweichlichen Schlusssatz markieren – „Mitt Romney, der künftige Präsident der Vereinigten Staaten“ -, geht der Saal zu „Mitt, Mitt“-Sprechchören über. Auf den riesigen Videowänden sieht man Romney über einen roten Teppich schreiten und rechts und links Hände schütteln. Es dauert einen Augenblick, bis die Delegierten im Saal im Bilde sind: Er ist bereits mitten unter ihnen. Nun wenden sich tausende Augenpaare zum halbrechten Seitengang, wo sich eine Menschentraube langsam zur Bühne vorschiebt, begleitet von rhytmischem Klatschen.
Als er schließlich am Mikrofon steht, muss Romney drei Mal anheben: „Herr Präsident, Delegierte …“ Erst dann lassen sie ihn zu Wort kommen. Der erste Satz ist nüchtern: „Ich nehme die Nominierung als Präsident der Vereinigten Staaten an.“ Dann beginnt das Werben um die Millionen Bürger, die via Fernsehen zuschauen. „Ich bitte euch, mit mir zu gehen auf dem Weg in eine bessere Zukunft!“
Romney spricht ruhig und fest. Bei seinen Wahlkampfreden hat er sich manchmal zu einem zu schnellen Tempo hinreißen lassen. Dann haben seine Sätze keine Melodie mehr, werden von Äh’s unterbrochen, klingen nach Stakato. Jetzt lässt er sich Zeit und legt Pausen ein, wenn der Beifall anschwillt. Dabei legt er den Kopf auf die Seite und lächelt gütig in die Kameras.
Der Wahlkampf "Romney gegen Obama" in Bildern
Die Passage über die Krise Amerikas, die einen Wechsel an der Spitze verlange, leitet er mit scheinbar verständnisvollen Worten über Obama ein. „Ich hätte mir gewünscht, dass er mehr Erfolg hat. Denn dann ginge es Amerika besser.“ Aber jetzt glaube erstmals in der Geschichte eine Mehrheit der Amerikaner, dass es ihren Kindern schlechter gehen werde als ihnen selbst. Natürlich sagt er nicht dazu, dass die Dekade, in der der Republikaner George W. Bush acht Jahre regierte, die erste seit langem war, in deren Verlauf das durchschnittliche Haushaltseinkommen gesunken ist.
Plötzlich ertönen laute Zwischenrufe. Man kann die Worte nicht verstehen. Aber die Republikaner haben Übung mit solchen Situationen. Sie skandieren „USA, USA“ und übertönen so die Störer – allerdings nicht nur die, sondern ebenso Romneys Rede. Der schwankt einen Moment, ob er innehalten oder weiter sprechen soll, versucht beides abwechselnd. Dann haben Ordner die Störer oben auf dem Rang überwältigt und bringen sie nach draußen.
Romney geht zum Mittelteil der Rede über, die ihn der Nation als ganz normalen Amerikaner von nebenan vorstellen soll. Er sei „in der Mitte des Landes geboren, ein typischer Babyboomer“. Die Eltern fuhren mit ihm in den Ferien in die großartigen Nationalparks. So wurde „meine Liebe zu Amerika geweckt“. Überhaupt schien damals alles erreichbar, auch wenn das von ihm verlangt, einen demokratischen Präsidenten zu loben: „Als John F. Kennedy uns aufforderte, zum Mond zu fliegen, war es keine Frage, dass wir dort landen würden, sondern nur, wann.“ Er spricht vom kürzlich verstorbenen Neil Armstrong, der als erster seinen Fuß auf den Mond setzte, und bekennt: „Ich bin sicher, dass er hier bei uns ist.“ Dann bedient er die unter Republikanern verbreitete These vom „Exceptionalism“, der Einzigartigkeit Amerikas. „Wenn wirklich Großartiges auf der Welt getan werden muss, dann braucht man einen Amerikaner.“
Wo er schon bei den Bekenntnissen ist, will er seine Religion nicht verschweigen, die bei vielen rechten Christen auf Misstrauen stößt. „Ich bin als Mormone aufgewachsen“, sagt er in einem Ton, als müsse er dafür um Entschuldigung bitten. Unter seinen Kindheitsfreunden sei das aber nicht wichtig gewesen. Die interessierten sich viel mehr dafür, welche Sport-Teams er unterstütze, als in welche Kirche er gehe.
Warum Frauen die wahren Helden im Leben von Mitt Romney sind
Seine wahren Helden jedoch sind die Frauen. Frauen wie seine Mutter Eleonore, die sich um einen Senatssitz bewarb, leider erfolglos. „Ich habe noch immer im Ohr, wie sie mit ihrer bezaubernden Stimme sagt: Warum sollen Frauen weniger Mitspracherecht haben, wenn es um die Schicksalsfragen der Nation geht?“ Die Kameraregie spielt nun ergriffene Gesichter von Delegierten im Saal auf die Videowände. Nahtlos folgen der Hinweis, dass Romney als Wirtschaftsmanager und als Gouverneur von Massachusetts ganz, ganz viele kluge und erfolgreiche Frauen eingestellt habe, sowie eine Liebeserklärung an Ann, die Ehefrau, Hausfrau und Mutter seiner fünf Söhne. „Ihr Job war viel wichtiger als meiner.“ Da erhebt sich Ann von ihrem Sitz in einer Loge in der Mitte der Zuschauerränge, um die Standing Ovations der Delegierten entgegen zu nehmen.
Die Fernsehkommentatoren werden in ihren Analysen später vermerken, dass Romney unter weiblichen Wählern derzeit rund 14 Prozentpunkte hinter Obama liegt. Er muss den Abstand verringern, sonst kann er die Wahl nicht gewinnen.
Mitt Romney geht nun zur Schilderung seiner Erfolge als Investmentmanager über. Er habe Firmen vor dem Bankrott bewahrt, bei denen heute unzählige Amerikaner einen Arbeitsplatz haben. Firmen wie der Büroausstatter Staples, bei der sich übrigens „zu meiner Freude auch das Wahlkampfteam Obama eindeckt“, oder der Stahlkonzern Steel Dynamics. Erneut leitet er den Angriff auf den Präsidenten mit einer scheinbaren Inschutznahme ein. „Obama hat euch nicht enttäuscht, weil er euch enttäuschen wollte. Sondern weil ihm die entscheidende Qualifikation fehlt. Er hat keine Erfahrung im Wirtschaftsleben.“
Im Saal jedoch ist keine Bereitschaft zu spüren, Obama mit Verständnis zu begegnen. Amerika ist tief gespalten. Im Gespräch mit Delegierten ist blanker Hass herauszuhören, wenn sein Name fällt. Romney mag seine Kritik noch so scheinbar sanft verpacken, die Delegierten quittieren fast jede Nennung des Namens Obama mit lauten „Buh’s“. In diesen Buh’s steckt unüberhörbar mehr Energie als im Applaus für Romney, wenn der von seinen Erfolgen spricht.
Der Parteitag der Republikaner in Bildern
Familie Romney hat inzwischen die Loge im Zuschauerraum verlassen – ein Hinweis, dass die Rede dem Ende zustrebt. Dann sollen Ehefrau, Söhne und Enkel ganz schnell an der Seite des Kandidaten auf der Bühne auftauchen. Romney spricht nun darüber, wie er und sein Vize Ryan Amerika voranbringen wollen. „Ich stehe für eine Zukunft, wo jeder, der arbeiten will, auch einen Job findet.“ Anders als Obama habe er einen Plan, wie man zwölf Millionen neue Jobs schafft. Auch diese Zahl wird den Faktenprüfern aufstoßen. In Amerika suchen laut Romney derzeit 23 Millionen Bürger einen vollen Job. Wie passt das dann zusammen: die Zusage, dass unter ihm jeder einen Arbeitsplatz finden werde? Und der Plan, zwölf Millionen neue Jobs zu schaffen?
Video: Mitt Romney's Rede auf dem Parteitag der Republikaner
Obama habe bei seinem Amtantritt „versprochen, den Anstieg des Meeresspiegels zu begrenzen und den Planeten zu heilen“, macht sich Romney lustig und verdreht dazu ungläubig die Augen. Da lachen viele im Saal höhnisch. „Ich verspreche, euch und euren Familien zu helfen.“ Der letzte Satz geht schon halb im donnernden Schlussbeifall unter: „Lasst uns heute Nacht mit der besseren Zukunft beginnen.“ Die Regie spielt Feuerwerk auf den Videowänden ein.
Die Delegierten hat Romney an diesem Abend in Siegesstimmung versetzt. Was aber denken die Bürger, die keine überzeugten Parteigänger sind? Das werden erst die Umfragen der nächsten Tage zeigen. Derzeit führt noch immer Präsident Obama, allerdings äußerst knapp. Als die Delegierten den Ausgängen zustreben, knallt es immer wieder laut: Die patriotischen Luftballons zerplatzen unter ihren Absätzen, kaum dass der Parteitag vorüber ist.