Wahltag in Frankreich: "Der Front National nährt sich von der Krise"
Pascal Perrineau, Experte für den Rechtsextremismus, über das Wählerpotenzial, die Auswirkungen der Krise und die Aussichten des Front National bei den Wahlen.. Die etablierten Parteien würden zum Erfolg der Extremen beitragen.
Herr Perrineau, kennen Sie eigentlich den Bezirksbürgermeister Stéphane Ravier vom Front National?
Sehr gut sogar. Denn obwohl Ravier sehr jung ist, zählt er schon zu den alten Kadern beim Front National. Seitdem ich forsche, ist Stéphane Ravier Teil des extremen Flügels seiner Partei. Ravier ist Sohn eines einfachen Arbeiters, er ist verwurzelt in der Provence und in Marseille, also ein perfekter Kandidat, um Heimatverbundenheit zu demonstrieren. Und er kann sehr nett und freundlich sein. Da darf man sich aber nicht täuschen lassen, er vertritt sehr radikale Ansichten.
Zum Beispiel?
Er ist absolut gegen Migration, gegen den Islam als solches. Er ist ein Populist und bekennt sich zu den Thesen des alten Jean-Marie Le Pen. Extremer geht es in Frankreich kaum. Auf dem Parteitag des Front National Ende November in Lyon habe ich Stéphane Ravier beobachtet, er versuchte, den Saal mit pauschalen Parolen gegen Migranten auf seine Seite zu ziehen. Das hat dort sehr gut funktioniert. Ravier möchte unbedingt Oberbürgermeister von Marseille werden, dafür ist ihm jedes Mittel recht.
Wie passt das, wie passt ein Stéphane Ravier zur Normalisierungspolitik von Marine Le Pen?
Ich würde nicht von einer Normalisierungspolitik beim Front National sprechen. Ja, sie versuchen, sich im politischen System Frankreichs zu etablieren, aber Marine Le Pen will parteiintern vor allem neue und alte Kader unter einen Hut bringen. Extreme und weniger Extreme sollen gemeinsam an der Machtübernahme arbeiten. Marine Le Pen braucht Ravier als Symbolfigur der ganz Extremen in der Partei für ihre harmonische Strategie. Dabei geht es in erster Linie nicht um die Wähler, sondern um ihre Machtbasis im eigenen Verein.
Welches Potenzial hat der Front National eigentlich auf lokaler Ebene?
Die Partei schöpfte bis jetzt ihre ganze politische Kraft vor allem aus Regional- und Lokalwahlen. Schon seit den achtziger Jahren ist der Front National in der Provence, an der Côte d’Azur und in den französischen Alpen sehr erfolgreich. Die Partei stellt dort Bürgermeister in vielen kleinen oder mittleren Städten, in Fréjus oder Béziers zum Beispiel, und sogar im Norden von Marseille, ein klassischer Ort der Vielfalt.
Die Regierung stilisiert die Kantonalwahlen zu einer nationalen Abstimmung über ihre Politik.
Das ist eine sehr gefährliche Strategie. Es kann bei Zwischenwahlen, auch auf lokaler Ebene, immer zu großen Wählerwanderungen kommen. Die Sozialisten hätten auf ihre Erfolge in den Kantonen verweisen können. Es dabei belassen, was es ist: Lokalwahlen.
Warum ist der Front National in Südfrankreich so erfolgreich?
Dort lebt die Stammwählerschaft. Vor allem Franzosen, die in der Kolonialzeit in Algerien gelebt haben, wählen treu die Rechtsextremen. Diese Franzosen sind sichere FN-Wähler, weil im Süden von Frankreich auch viele Einwanderer leben: Marseille, Toulon und Montpellier sind Hochburgen der rechtsextremen Partei. Sie und damit auch ihre Wähler haben dort nur ein Thema: Immigration. Und die sei für alles Üble verantwortlich, behaupten sie.
Profitiert der Front National dann noch von der aktuellen Wirtschaftskrise in Frankreich?
Ja, enorm. Der Front National nährt sich von der Krise. Für andere Schichten werden die Rechtsextremen nun auch wählbar, im Norden und im Osten von Frankreich. Wer hätte je gedacht, dass der Front National Erfolge am Pas-de-Calais feiern wird? Vor allem die vergessenen Landstriche, das rurale Frankreich entscheidet sich immer häufiger für den FN. Dort, wo die Industrie leidet, gar verschwindet und keine Alternativen auftauchen, wollen die Menschen die verantwortlichen Politiker abstrafen. Diese Protestwähler kommen zur Stammwählerschaft nun dazu, das erklärt, warum der Front National bei Wahlen so gut abschneidet. Das kann als Vertrauensverlust in die etablierten Parteien, in die UMP und die Sozialisten gewertet werden.
Wird Marine Le Pen im Jahr 2017 in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen kommen?
Das würde ich nicht ausschließen. Aber wer kann schon sagen, was in den nächsten zwei Jahren passiert? Niemand! Man muss mit diesen Prophezeiungen sehr vorsichtig umgehen. Wir dürfen nun keine Panik unter den Franzosen verbreiten. Die Rechten so wie auch die Linken tun so, als wäre schon alles entschieden. Dem ist nicht so. Der Front National ist sehr weit entfernt von der Regierungsverantwortung.
Das Gespräch führte Mohamed Amjahid