Nach den Attentaten von Paris: Ist der Islam ein Teil von Frankreich?
Frankreich diskutiert nach den Anschlägen von Paris über den Islam und kämpft um seine jungen Muslime. Die Regierung startet eine Kampagne gegen die Rekrutierung für den Dschihad.
Die Kampagne ist sehr direkt: „Sie sagen dir: Du wirst für die gerechte Sache kämpfen. Die Wahrheit ist aber: Es ist die Hölle auf Erden und du wirst alleine, weit weg von zu Hause sterben.“ Die Regierung in Paris versucht die Jugend Frankreichs, vor allem in den Vorstädten, über den Dschihad aufzuklären.
Ein passendes Video beschreibt anschaulich, wie aus einem jungen Franzosen ein radikaler Islamist wird. Zunächst sind es nur ein paar Propaganda-Bilder von Al Qaida oder dem „Islamischen Staat“ auf dem persönlichen Facebook-Profil. Dann schreibt ein Rekrutierer eine sympathische Mail und schon kämpft der französische Staatsbürger für den Terror, im In- oder im Ausland. Im Video werden deutliche Bilder aus dem Krieg gezeigt. Sie sollen abschrecken. Unter dem Hashtag #StopDjihadisme versucht die Regierung, eine Debatte im Netz und in der Gesellschaft zu starten.
Es braucht keine staatlich verordnete Kampagne
Seit den Attentaten Anfang Januar auf die Redaktion der Satirezeitung „Charlie Hebdo“, auf eine Polizistin und einen koscheren Supermarkt in Paris diskutieren die Franzosen über den Terror und die adäquate Reaktion darauf. Bei der offiziellen Schweigeminute, die nach den Attentaten in ganz Frankreich in Erinnerung an die 17 Opfer abgehalten wurde, registrierte das Bildungsministerium rund 200 Vorfälle in Schulen in ganz Frankreich. Meistens protestierten Schüler gegen ein „einseitiges Verständnis von Meinungsfreiheit“. Es wurden im ganzen Land rund 40 Anzeigen gestellt, den Störern drohen hohe Haftstrafen.
Ein 16-jähriger Gymnasiast aus Nantes veröffentlichte zum Beispiel auf seiner Facebook-Seite eine verfremdete „Charlie Hebdo“-Karikatur. Ursprünglich war ein Muslimbruder zu sehen, der sich vergeblich mit dem Koran vor Schusskugeln schützen will, darüber war zu lesen: „Der Koran ist scheiße, er schützt nicht vor Kugeln.“ In der neuen Version wurde der bärtige Mann durch einen Journalisten von „Charlie Hebdo“ ausgetauscht. Er hält die Satirezeitung in der Hand, während er erschossen wird: „Charlie Hebdo ist scheiße, es schützt nicht vor Kugeln.“
Der Front National kann nach den Attentaten nicht profitieren
Dennoch ist das Verhältnis der Franzosen zum Islam offensichtlich nicht belastet. Im Gegenteil. Die Zahl der Franzosen, die meinen, die zweitgrößte Religion des Landes sei mit den Werten der französischen Gesellschaft vereinbar, ist gestiegen. Das belegt eine repräsentative Umfrage des Ipsos-Instituts für die Zeitung „Le Monde“ am Donnerstag.
Danach erklären zwar 51 Prozent, der Islam sei mit diesen Werten nicht kompatibel. Doch vor zwei Jahren waren es noch 74 Prozent, die diese Ansicht vertraten. Der rechtsextreme Front National (FN) hat, wie Ipsos-Direktor Jèrôme Fourquet erklärte, keinen direkten Nutzen aus den Attentaten gezogen. Nach einer anderen Umfrage für die Zeitung „Paris Match“ sanken die Popularitätswerte der FN-Präsidentin Marine Le Pen sogar von 36 auf 32 Prozent.
Krieg gegen den „Islam im Allgemeinen“
Zwei Drittel der Franzosen sind nach der Ipsos-Erhebung der Überzeugung, dass der Islam eine friedliche Religion wie andere sei, während ein Drittel meint, er trage auch Keime der Gewalt in sich. Frauen neigen mehr als Männer zur Toleranz gegenüber dem Islam, ebenso Personen mit Präferenzen für die politische Linke.
Von den Antworten der Anhänger traditioneller Parteien heben sich die der Sympathisanten des Front National durch radikale Äußerungen ab. 16 Prozent der Befragten meinen, dass sich Frankreich in einem „Krieg“ gegen den Dschihadismus befindet. Für 42 Prozent der FN-Anhänger richtet sich dieser Krieg gegen den „Islam im Allgemeinen“. Entsprechend groß ist die Zahl unter ihnen, für die der Islam nicht zu Frankreich gehört: 88 Prozent.