Urteil zur Telekommunikation im Netz: Der BND darf weiter überwachen – in Grenzen
Das Verfassungsgericht stellt eine Fülle neuer Anforderungen an die Lauschpraxis im Internet. Eine massenhafte anlasslose Datenerhebung bleibt aber erlaubt.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) muss seine Überwachung des internationalen Telekommunikationsverkehrs im Internet künftig einschränken und besser kontrollieren lassen. Gleiches gilt für die Weitergabe der daraus gewonnenen Informationen an ausländische Dienste, die mit dem BND kooperieren.
Das hat das Bundesverfassungsgericht am Dienstag entschieden und damit den Verfassungsbeschwerden unter anderem von Reporterinnen und Reportern aus dem Ausland stattgegeben. Zugleich stellte das Gericht klar, dass eine breite und insbesondere „anlasslose“ Überwachung der Datenströme ausländischer Kommunikationsteilnehmer „im Interesse der außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland“ liege und deshalb erlaubt bleibe.
Der BND durchsucht Chats und E-Mails auf Schlüsselbegriffe
Der BND arbeitet als Auslandsaufklärung für die Bundesregierung und Parlamentarier und hat seinen Sitz in Berlin. Die Behörde leitet routinemäßig an Internetknoten auf deutschem Boden Daten aus E-Mails oder Chats aus und durchsucht sie auf Schlüsselbegriffe. Die für diese Praxis einschlägigen Regelungen des BND-Gesetzes gelten dem Urteil zufolge zunächst fort, müssen jedoch bis spätestens Ende 2021 verfassungskonform nachgebessert werden.
Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth betonte in der Urteilsbegründung, die deutsche Staatsgewalt und damit auch eine Bundesbehörde wie der BND sei umfassend an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden sei. BND und Bundesregierung hatten dagegen argumentiert, der digitale Austausch von Ausländern im Ausland werde prinzipiell nicht von der deutschen Verfassung geschützt. Entsprechend wurde im BND-Gesetz darauf verzichtet, den Eingriff klar zu benennen, wie es das Grundgesetz verlangt.
Grundrechte könnten unterlaufen werden, mahnt das Gericht
Schon wegen dieser Unterlassung und dem damit verbundenen Verstoß gegen das so genannte Zitiergebot sind die Regelungen jetzt formell verfassungswidrig. Zugleich verstoßen sie auch gegen das in Artikel zehn geschützte Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit aus Artikel fünf.
„Die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte auch im Ausland verhindert, dass der Grundrechtsschutz in einer internationalisierten Welt hinter dem Handlungsradius der deutschen Staatsgewalt zurückbleibt oder sogar unterlaufen werden kann“, sagte Harbarth bei der Verkündung. Allerdings könne der Schutzbereich im Inland und Ausland differieren.
Der eigenen Regierung dürfen Daten großzügig geliefert werden - anderen nicht
Die strategische Aufklärung sei künftig „in verhältnismäßiger Weise zu begrenzen“. Globale und pauschale Überwachung sei verboten. Nachgebessert werden muss, wenn Daten aus Inlandskommunikationen erfasst werden, durch präzise Festlegung des Überwachungszwecks, Anforderungen an den Datenvorrat und die zielgerichtete Personenerfassung sowie den Schutz persönlicher und intimer Daten. Zudem gibt das Gericht Löschpflichten vor.
Neu sind zudem Beschränkungen der Datenübermittlung. Zwar dürfe der BND der Bundesregierung weiterhin großzügig Personendaten liefern, müsse sich aber bei Versand an andere Geheimdienste oder sonstige Stellen über die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards vergewissern. Die Kooperationen sein zwar grundsätzlich gestattet, es gebe aber neue Anforderungen beim Einsatz von Suchbegriffen, die durch andere Staaten benannt werden.
Da für Betroffene im Ausland praktisch kein Rechtsschutz für BND-Maßnahmen möglich ist, soll es künftig verbesserte Kontrollen geben. Harbarth sagte, es müsse „einerseits eine gerichtsähnliche, anderseits eine administrative Kontrolle in institutioneller Eigenständigkeit“ sichergestellt werden. Insgesamt lasse die Verfassung aber „substanziellen Raum, aktuellen außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen auch mit dem Instrument der strategischen Auslandskommunikationsüberwachung zu begegnen“.
Täglich rund 260 Meldungen aus mehr als 100.000 Kommunikationen
Bei der so genannten strategischen Fernmeldeaufklärung des BND bleiben von täglich mehr als 100.000 gezielt erfassten Informationen am Ende eines teilweise automatisierten Verfahrens durchschnittlich 260 als relevant eingestufte Meldungen. Diese Praxis besteht seit Jahren, doch erst 2017 hat sie der Bundestag nach den Enthüllungen des US-Geheimdienstlers Edward Snowden auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Demnach sollen Daten von Deutschen aussortiert werden, wenn es Hinweise auf ihre Staatsangehörigkeit gibt.
Geklagt hatten in Karlsruhe neben Bürgerrechtsinitiativen auch ausländische Journalistinnen und Journalisten sowie der Verein Reporter ohne Grenzen (ROG) gegen einzelne Bestimmungen des BND-Gesetzes. Sie fürchten Nachteile für ihre geschützten Recherchen und Informanten, wenn der BND Datenhandel mit ausländischen Partnerdiensten betreibt. Der BND hatte in der mündlichen Verhandlung erklärt, die strategische Fernmeldeaufklärung sei für seine Arbeit unverzichtbar.
Bundesregierung sieht Urteil gelassen
Die Bundesregierung geht davon aus, dass der Dienst seine Aufgaben auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts uneingeschränkt erledigen kann. Das Gericht habe für die erforderliche Reform des BND-Gesetzes einen sehr umfassenden Kriterienkatalog vorgetragen, sagte Staatssekretär Johannes Geismann am Dienstag in Karlsruhe. Das müsse man sich in Ruhe anschauen. Er sei aber „zuversichtlich, dass wir da auch entsprechend eine vernünftige Regelung finden werden, um dem BND seine Aufgabenerfüllung weiterhin möglich zu machen“.
BND-Chef Bruno Kahl sagte auf Anfrage, das Gericht habe die strategische Fernmeldeaufklärung des BND nicht nur im Grundsatz mit dem Grundgesetz für vereinbar erklärt, sondern "ihre große Bedeutung für die außenpolitische Handlungsfähigkeit und für die Sicherheit der Bundesrepublik unterstrichen". Neu sei die vom Gericht erstmals festgestellte Auslandsgeltung der Grundrechte. Deshalb werde der BND zusammen mit der Bundesregierung das Urteil des Ersten Senats genau auswerten.