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Das Bundesverfassungsgericht verkündet sein Urteil zu den weitreichenden Überwachungsbefugnissen des Bundesnachrichtendienstes im Ausland.
© Getty Images

Spionage gegen Journalisten im Ausland?: Warum der BND seine Überwachung überwachen lassen muss

Das Verfassungsgericht entscheidet über Fernmeldeaufklärung im Internet. Höchste Zeit, eine neue Verbindung herzustellen - zum Grundgesetz. Ein Kommentar.

In die vielfältigen Erzählungen von Verschwörern und ihren dunklen Absichten, die nicht nur zur Corona-Zeit zunehmend Eingang in politische Diskussionen finden, passt auch diese: Wir werden alle überwacht. Insofern verdient das für Dienstag erwartete Verfassungsgerichtsurteil zu Praktiken staatlicher Spionage Aufmerksamkeit. Es bemüht sich um Wahrheitsfindung im Geheimen und will dort Grenzen ziehen, die im Geheimen eben schwer zu kontrollieren sind. Ob und wie dies gelingt, darf als ein Maß für demokratisches Bewusstsein und rechtsstaatliche Reife gelten.

Die Richterinnen und Richter müssen einen Knoten durchschlagen, genauer: einen Internetknoten. Er liegt bei Frankfurt am Main und ist einer der größten der Welt. Hier leitet der Bundesnachrichtendienst (BND), die Auslandsaufklärung der Bundesregierung, täglich einen erheblichen Teil des Datenstroms aus und lässt ihn über seine Analysemühlen laufen. In den Sammelbecken bleiben aus täglich mehr als hunderttausend erfassten Kommunikationen 260 Meldungen zurück, denen der Dienst nachgeht. Ein teilautomatisiertes Verfahren, das schon Morde verhindert und Terroristen hinter Gitter gebracht haben soll. Besonderen Spin bekommt es durch die Zusammenarbeit mit einer unbekannten Zahl an Spionagebehörden, die der BND zu „Partnerdiensten“ kürt. Mindestens die USA bestimmen mit, wonach der BND sucht.

Ausländer sind "zum Abschuss freigegeben"

Es ist der faszinierende Ausdruck eines Kulturwandels, dass diese Praxis überhaupt von einem Gericht geprüft wird. Spionage ereignete sich seit jeher in einem rechtsfernen Raum. Dem BND zufolge sogar im Weltraum, wo die Aufklärer Kommunikationen aus Satelliten saugen. Bis hierhin sollten die Dienstantennen reichen, doch für das Grundgesetz war der Empfang gestört. Und wenn es gilt, so sieht es der BND, dann nur für Deutsche. Ausländer sind, so der Jargon, „zum Abschuss freigegeben“.

Nicht nur, aber auch einem vermeintlichen Verräter wie dem früheren US-Geheimdienstler Edward Snowden ist es zu danken, dass die schleichende Digitalisierung der Spitzelbehörden heute als Skandal erscheint – und die Aufklärer ihrerseits aufzuklären sind. In dem kolossalen Schießschartenbau an der Chausseestraße wird das noch immer als Affront empfunden. In der Folge schob man der nahezu uferlosen Erfassung eine gesetzliche Grundlage unter, die freilich untauglich ist, die Konflikte zu beseitigen. So klagen neben deutschen Bürgerrechtlern auch Journalistinnen und Journalisten aus dem Ausland, weil sie fürchten müssen, dass Informanten und Recherchen wenn nicht vorsätzlich, dann fahrlässig zur Ware im Datenhandel werden. Dass ein autoritäres Regime im Austausch über mehrere Stationen BND-Informationen erhält, die Oppositionelle gefährden, ist ein Szenario, mit dem leider gerechnet werden muss.

BND - Das Gebäude des Bundesnachrichtendienstes an der Chausseestraße in Berlin Mitte.
BND - Das Gebäude des Bundesnachrichtendienstes an der Chausseestraße in Berlin Mitte.
© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Sogar ein Geheimdienst ist zu Transparenz verpflichtet

Den Knoten zu durchschlagen, sollte nicht bedeuten, alle Verbindungen zu kappen. Ein Nachrichtendienst ohne internationale Kooperationen und effektive Mittel, sich gegen den Willen und ohne Wissen Betroffener Informationen zu beschaffen, kann seine Tätigkeit einstellen. Andererseits kann sich ein Geheimdienst nicht von Pflichten freisprechen, die jede Behörde zu achten hat. Grundrechte sind auch Menschenrechte, und schon gar nicht entbindet überstaatliche Zusammenarbeit davon, der eigenen Verfassung zu folgen. Letzteres hat die Regierung gerade im Streit um die Europäischen Zentralbank erfahren. Nicht zuletzt: Sogar ein Geheimdienst muss Transparenz herstellen, gerade auch für Medien und Öffentlichkeit. Es darf nachdenklich machen, wenn der BND, in diesem Fall nach Klage des Tagesspiegels im vergangenen Jahr, erst durch Urteile von Bundesgerichten zu solchen Einsichten gelangt.

Wir werden alle überwacht? Mitnichten. Doch die technischen Strukturen geben die Potenz dafür her, und ihr stehen keine ausreichenden Kontrollen gegenüber, um sie einzuhegen. Das Misstrauen hat sich der BND redlich verdient.

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