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Nachfolger von Andreas Voßkuhle: Stephan Harbarth.
© Uli Deck/dpa

Der neue Chef des Bundesverfassungsgerichts: Warum Stephan Harbarth problematisch ist

Das Bundesverfassungsgericht hat einen neuen Präsidenten. Stephan Harbarth. Was davon zu halten ist, vor allem im Hinblick auf die EZB-Entscheidung. Eine Analyse.

Erst ein Urteil, das die europäische Politik erschüttert, und jetzt muss es einer vertreten, der es nicht zu vertreten hat: Der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth rückt nach seiner Wahl im Bundesrat am Freitag als Präsident an die Spitze des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.

Der 48-Jährige folgt damit auf Andreas Voßkuhle, der nach zwölf Jahren gesetzlich begrenzter Amtszeit ausscheidet. Und dies in einer Situation, in der das Gericht mit seinem Spruch zu den Befugnissen der Europäischen Zentralbank (EZB) erstmals in die offene Konfrontation mit EU-Organisationen gegangen ist, einschließlich dem Europäischen Gerichtshof, und dafür international kritisiert wird.

Harbarth kann wenig dafür. Seit 2018 sitzt er dem Ersten Gerichtssenat vor, während Voßkuhles Zweiter Senat jetzt das EZB-Urteil gesprochen hat. Dennoch wird Harbarth es sein, der es künftig erklären muss.

Der neue Präsident des Höchstgerichts ist Inhaber des protokollarisch fünftwichtigsten Staatsamts, zugleich fungiert er als eine Art Außenminister des Gerichts. Dann spricht er für beide der mit je acht Richtern besetzten Senate, während in seinem Senat seine Stimme in den Beratungen auch nur so viel zählt wie die der anderen auch.

Ob Harbarth das Urteil dann so selbstbewusst verteidigen wird wie sein Vorgänger, ist ungewiss. Er ist Fleisch vom Fleisch der Union, saß ab 2009 im Parlament und hat mit gewissen Vorbelastungen zu kämpfen, die Richtern mit akademischem und parteifernem Vorleben wie dem Voßkuhles fremd sind.

Als Anwalt nah an Volkswagen dran

Dazu zählt etwa seine Haltung beim Gesetz zur „Bekämpfung von Kinderehen“, das er als Politiker begleitete und das er nun in Karlsruhe auf Verfassungsfestigkeit prüfen soll. Befangen? Die Entscheidung erging zu seinen Gunsten, knapp.

Oder seine Tätigkeit als Anwalt einer Wirtschaftskanzlei, die ihm mit der Position als ein Top-Verdiener im Parlament auch den Vorbehalt einbrachte, mit seiner Kanzlei nah an Großmandanten wie Volkswagen im Abgasskandal gestanden zu haben.

Möglich also, das der betont bedächtig formulierende neue Präsident etwas leiser bleibt als der alte, zu dessen Überzeugungen es gehörte, dass Gerichte mehr Kommunikation bedürfen als jene, die mit der Verkündung von Urteilen geleistet wird.

Auffällig ist, dass aktuell nicht nur Voßkuhle, sondern auch der federführende Richter im EZB-Verfahren Peter Huber in die mediale Offensive gehen. Und dass sie beide in ähnlichen Worten davon sprechen, dass die umstrittene Entscheidung juristisch zwingend gewesen sein soll.

Derartiges wird man von Harbarth wohl wenn, dann nur in einer späteren Phase seiner Amtszeit hören. Einen ersten Eindruck vom Auftreten in der Präsidentenrolle wird es geben, wenn der Erste Senat am kommenden Dienstag sein Urteil über die Telekommunikationserfassung durch den Bundesnachrichtendienst spricht.

Weitere wichtige Personalien

Neben dem Wechsel an der Spitze hat der Bundesrat am Freitag auch Voßkuhles frei werdenden Platz im Zweiten Senat besetzt. Eingenommen wird er durch die Frankfurter Staatsrechtsprofessorin Astrid Wallrabenstein, einer versierten Sozialrechtlerin, die von den Grünen für das Amt vorgeschlagen wurde. Damit bilden Frauen fortan die Mehrheit im Senat. Für Quotenskeptiker wird die neue Mischung ein gutes Exempel sein, dass es auch anders geht.

Trotzdem zieht der Trend zur Identitätspolitik auch an Karlsruhe nicht vorbei. In Harbarths Erstem Senat, dem inoffiziell sogenannten Grundrechtesenat, ist die Stelle von Johannes Masing vakant. Hier hat die SPD das Vorschlagsrecht, kann sich aber bisher nicht einigen.

Viel geworben wird für den Brandenburger Sozialrichter Jes Möller, Ex-Präsident des Landesverfassungsgerichts, weil er eine widerständige DDR-Biografie mitbringt. Berlin hält den Humboldt-Professor Martin Eifert im Gespräch, Rheinland-Pfalz möchte Lars Brocker in Karlsruhe sehen, den Präsidenten des dortigen Verfassungsgerichts. Nächster Wahltermin wäre im Juni.

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