Sigmar Gabriel: Der Außenminister des Undiplomatischen
Der designierte Chefdiplomat Sigmar Gabriel hat schon bisher auf seine Weise Außenpolitik betrieben - nicht immer zur Freude des Auswärtigen Amtes.
Diese Personalie war wohl die größte Überraschung: Sigmar Gabriel will nach seinem Verzicht auf SPD-Vorsitz und Kanzlerkandidatur das Außenministerium übernehmen. Mit diesem neuen Chef hatte im Auswärtigen Amt niemand gerechnet. Nicht einmal Gabriels engste Vertraute würden ihn als diplomatisch bezeichnen. Diejenigen, die es weniger gut mit ihm meinen, beschreiben ihn als gelegentlich sprunghaft und kaum berechenbar. Gabriel selbst hat die Entscheidung für das Außenamt damit begründet, die Lösung habe sich angeboten, denn er selbst verfüge nach Schulz in der SPD über die größte internationale Erfahrung.
Tatsächlich hat er auch als Wirtschaftsminister schon auf seine Weise Außenpolitik betrieben – nicht immer zur Freude deutscher und europäischer Diplomaten. Bei seinem Besuch in Ägypten im vergangenen Jahr sprach er zwar auch die schwierige Lage der Menschenrechte an, doch in Erinnerung blieb nur ein Satz: „Sie haben einen beeindruckenden Präsidenten“, sagte er den versammelten ägyptischen Journalisten. Ein solches Lob bekommt Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi, der durch einen Militärputsch an die Macht kam und Tausende seiner Gegner hinter Gitter bringen ließ, nur selten. Berührungsängste im Umgang mit Autokraten hat Gabriel nicht. Ob er bei diesen Begegnungen immer den richtigen Ton findet, ist eine andere Frage.
Offene Aussprache statt Diplomatie
Ein Jahr zuvor hatte sich der Wirtschaftsminister entschieden, nach Saudi-Arabien zu fahren, ein schwieriger Besuch in einer Zeit, in der das Herrscherhaus in Riad wegen der Auspeitschung des Bloggers Raif Badawi in der Kritik stand. Sollte er fahren und die Interessen der deutschen Wirtschaft vertreten – oder den Besuch wegen des aktuellen Falles absagen? Gabriel entschied sich hinzufahren, und forderte sowohl vor der Abreise als auch in Riad Badawis Freilassung. Die saudischen Gastgeber waren verstimmt, der Blogger blieb in Haft.
Deutsche Diplomaten sollen Gabriel vorher eingeschärft haben, man könne in einem solchen Fall nur dann etwas erreichen, wenn man das Thema hinter verschlossenen Türen anspreche. Doch Gabriel liegt die offene, klare Aussprache mehr als die komplizierten Konventionen der Diplomatie.
In den vergangenen eineinhalb Jahren hat Gabriel zweimal Wladimir Putin besucht. Dass der russische Präsident den Minister eines anderen Landes zum Gespräch in seine Residenz in Nowo-Ogarjowo bittet, gilt als große Ausnahme. Doch Putin weiß auch, dass Gabriel das Festhalten der Kanzlerin an den Russland-Sanktionen im Ukraine-Konflikt kritisch sieht. So war es Gabriel, der als erster Regierungsvertreter von Merkels Russlandpolitik abrückte: Er schlug vor, die Sanktionen schrittweise abzubauen und nicht erst, wie ursprünglich in der EU verabredet, wenn Moskau seine Verpflichtungen aus der Minsker Vereinbarung vollständig umgesetzt hat.
Bei seinem Russland-Besuch 2015 diskutierte Gabriel außerdem mit Putin, wie sich beim umstrittenen russischen Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 politische Einmischung begrenzen ließe – gemeint waren Bedenken in der EU. Am Rande dieses Treffens bat Gabriel den russischen Präsidenten noch schnell um ein Autogramm. Eine Zahnarzthelferin in der Praxis seiner Frau hatte ihn danach gefragt. Diese Anekdote zeigt auch, wie groß der Gegensatz zwischen Gabriel und dem stärker auf Distanz bedachten Steinmeier ist.
Gabriel will ein "anderes Europa"
Anders als Steinmeier dürfte ein Außenminister Gabriel der Kanzlerin nicht nur in der Russlandpolitik stärker Paroli bieten. In seinem „stern“-Interview sprach er sich für ein „anderes Europa“ aus und forderte Merkel damit gleich doppelt heraus: zum einen, weil er ihr vorwarf, Europa sei nach zwölf Jahren Merkel „so tief gespalten wie noch nie“ und stehe nun praktisch vor dem Zusammenbruch, zum anderen, weil seit Jahren die Europapolitik nicht vom Auswärtigen Amt, sondern vom Kanzleramt geprägt wird. Hier könnte sich Gabriel anders als seine Vorgänger verstärkt zu Wort melden. Der designierte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gab ihm mit auf den Weg, er müsse Europa zusammenhalten.
Aus seiner Zeit als Umweltminister in Merkels erster großer Koalition verfügt Gabriel über Erfahrung mit schwierigen internationalen Verhandlungen. Die wird er nun dringend brauchen: Von „unruhigen Zeiten“ sprach Steinmeier vor kurzem mit Blick auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump. Nun sind sowohl Diplomatie gefragt als auch das, was sie an Gabriels neuem Arbeitsplatz strategische Geduld nennen. Am Ende könnten sich diese Geduld und der Verzicht auf die Kanzlerkandidatur für Gabriel sogar auszahlen: Der Außenminister gehört in Deutschland traditionell zu den beliebtesten Politikern.
Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.