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SPD-Chef Sigmar Gabriel verzichtet auf die SPD-Kanzlerkandidatur zugunsten von Martin Schulz.
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Update

SPD-Kanzlerkandidatur: Der Verzicht von Sigmar Gabriel ist richtig

Der Zustand der Sozialdemokratie ist prekär. Und Sigmar Gabriel wurde nicht mehr zugetraut, dies zu ändern. Jetzt hat er es eingesehen. Gut so. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan Haselberger

Dieser Weg wird steinig und schwer. Wenn Martin Schulz nach dem Verzicht von Sigmar Gabriel nun als Kanzlerkandidat nominiert wird, muss er die SPD in einen Wahlkampf führen, der zugleich ein Kampf um ihre Existenz ist. Denn darum geht es bei der Wahl am 24. September: um den Fortbestand der SPD als Volkspartei. Viele ihrer europäischen Schwestern sind bereits in der Bedeutungslosigkeit versunken, zermahlen zwischen linken und rechten Populisten, gescheitert an eigenem Unvermögen und politischer Sprachlosigkeit.

Die Weitsichtigeren in der SPD begreifen diese Entwicklung zu Recht als Menetekel. Sie wissen: Der Zustand der deutschen Sozialdemokratie ist prekär. Die Partei erodiert im Osten wie im Süden. Wahlergebnisse zwischen zehn und dreizehn Prozent in Ländern wie Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg wirken wie Vorboten des Niedergangs.

Diesen Trend zu stoppen oder gar in sein Gegenteil zu verkehren, haben viele in der SPD dem Vorsitzenden Gabriel schon länger nicht mehr zugetraut. Das war bitter für den Mann aus Goslar, dem man zweierlei nicht nachsagen kann: dass er es je an Leidenschaft für die sozialdemokratische Sache hätte fehlen lassen, oder dass ihm auf seinem Weg nach oben das Mitgefühl und das Verständnis für Sorgen und Nöte der sogenannten kleinen Leute verloren gegangen wäre.

Es muss ein schmerzhafter Prozess für Gabriel gewesen sein

Trotzdem wäre Gabriel der falsche Kanzlerkandidat gewesen. Er hätte die SPD vor dem Absturz unter die 20-Prozent-Marke nicht bewahren können. Sich das einzugestehen und anzuerkennen, dass er seiner Partei als Person in der Auseinandersetzung mit Amtsinhaberin Angela Merkel mehr geschadet als genutzt hätte, muss ein schmerzhafter Prozess gewesen sein. Dass ihm die meisten Deutschen trotz unbestreitbarer Erfolge als Wirtschaftsminister und SPD-Chef nicht über den Weg trauen, ist die harte Wahrheit hinter den Umfragewerten. Gabriel hat sich ihr nicht verweigert. Die SPD, die zur Gnadenlosigkeit im Umgang mit ihren Führungskräften neigt, könnte ihm dafür dankbar sein, eigentlich.

Wie man die Sozialdemokraten kennt, werden sie sich damit aber schwer tun. Das liegt auch an der Art und Weise, mit der Gabriel seinen Verzicht inszeniert hat. Noch vor den Sitzungen von Parteigremien und Bundestagsfraktion erfuhren die Genossen via „Stern“ und „Zeit“, dass ihr Vorsitzender seine politische Zukunft in der Außenpolitik sieht – und zwar als Nachfolger des scheidenden Ministers Frank-Walter Steinmeier. Wer so vorgeht, muss sich nicht wundern, wenn ihm später Missachtung innerparteilicher Demokratie vorgeworfen wird.

Überhaupt wirft die von Gabriel angestrebte neue Ämterverteilung Fragen auf. Als Außenminister wäre Schulz, der langjährige Präsident des Europaparlament, sicher die bessere Wahl gewesen. Gabriel hat sich bisher nicht als geborener Diplomat hervorgetan. Trotzdem wird die Erleichterung in der SPD über die Kanzlerkandidatur von Schulz wohl überwiegen. Der gilt als begabter Wahlkämpfer und starker Redner, in der Bevölkerung ist er beliebt, schon fast so beliebt wie Merkel. Ob das so bleibt, ob Schulz den Niedergang der SPD stoppen kann? Es wird vor allem darauf ankommen, dass er, der leidenschaftliche Europäer, sich auch in Fragen der deutschen Innenpolitik als sattelfest erweist. Auf schweren Wegen können schon die ersten Schritte sehr gefährlich werden.

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