Schlacht um IS-Hochburg Mossul: „Der Angriff ist ein wichtiges Signal“
Terror-Experte Peter Neumann über die Bedeutung der Offensive gegen Mossul, den Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" und die weltweite Dschihadisten-Szene.
Herr Neumann, welchen Stellenwert besitzt die Schlacht um Mossul für den Kampf gegen die Terrormiliz IS?
Einen hohen. Mossul ist die größte Stadt im Herrschaftsgebiet des „Islamischen Staats“; in der irakischen Metropole wurde Mitte 2014 das sogenannte Kalifat ausgerufen. Eine militärische Niederlage dort wäre deshalb für den IS sicherlich auch ein symbolträchtiges Debakel.
Inwiefern?
Das von IS-Chef al Bagdadi ausgerufene „Kalifat“ hatte den Anspruch, ein 1000jähriges muslimisches Weltreich errichten zu wollen. Wenn dieses schon nach gut zwei Jahren in sich zusammenfällt, dann werden viele Anhänger am Projekt „Islamischer Staat“ und an der generellen Legitimität des IS zweifeln. Aber das heißt noch lange nicht, dass die Dschihadisten am Ende sind.
Was spricht dagegen?
Der IS ist ja in seinen Kerngebieten immer noch nicht vollständig besiegt. Die Eroberung von Rakka, der „Hauptstadt“ des „Islamischen Staats“ in Syrien, wird wohl schwieriger als die bevorstehende Einnahme Mossuls. Man darf vor allem nicht vergessen: Der IS ist auch Teil einer transnationalen Ideologie, die nicht so einfach unter Kontrolle zu bekommen ist wie eine Stadt.
Ein militärischer Sieg in Mossul bedeutet nicht das faktische Ende der Bedrohung im Irak und anderswo?
Nein, aus zwei Gründen. Erstens gibt es nach wie vor keinen politischen Plan für die Zeit nach dem IS. In Mossul kämpft ja derzeit eine sehr heterogene Gruppe – schiitische Milizen, Iraks Armee, kurdische Verbände und die internationale Anti-Terror-Allianz – gegen die Islamisten. Und alle haben unterschiedliche Ziele und Vorstellungen, was aus Mossul werden soll. Zweitens: Selbst wenn der „Islamische Staat“ aus seinem ursprünglichen Machtgebiet verdrängt wird – viele seiner ausländischen Kämpfer könnten sich in andere Staaten absetzen.
Wohin?
Vermutlich in Richtung Türkei. Von dort sind ja viele „Gotteskrieger“ gekommen. Außerdem werden aus Europa stammende Dschihadisten versuchen, in ihre Heimatländer zurückzukehren. Ich gehe von bis zu 2000 Westeuropäern aus. Darunter könnten auch sehr gefährliche Terroristen sein. Und nicht zu vergessen: Es ist unklar, wie IS-Mitglieder und Gefolgsleute außerhalb des Kerngebiets im Nahen Osten auf die sich anbahnenden Niederlagen reagieren werden.
Was glauben Sie?
Das ist schwierig zu sagen. Aber klar ist, dass man zwischen dem IS als Organisation und der dschihadistischen Bewegung unterscheiden muss. Mit ihr sympathisieren schätzungsweise 100.000 bis 200.000 Menschen weltweit. Und ein Sieg über den IS hat keineswegs das Ende dieser Szene zur Folge. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass aus diesem islamistischen Milieu eine neue Terrorgruppe hervorgeht. Ich bin daher fest davon überzeugt: Es wird auch noch in fünf Jahren eine dschihadistische Bewegung geben.
Also ist die derzeitige Schwäche des IS kein Grund zum Aufatmen?
Wohl kaum. Eher muss man davon ausgehen, dass kurzfristig die terroristische Bedrohung zunimmt. Mittel- und langfristig ist es dennoch sinnvoll, den IS in seinem Kerngebiet zu bekämpfen.
Warum?
Irak und Syrien sind der Operations- und Rückzugsraum der Extremistenmiliz. Dort werden Kämpfer ausgebildet und Anschläge geplant. Aber die islamistische „Utopie“ ist selbst bei einem militärischen Erfolg nicht ganz aus der Welt.
Und was kann man der dschihadistischen Ideologie entgegensetzen?
Der Angriff auf Mossul ist sicherlich ein wichtiges Signal. Er stellt zum Beispiel die vermeintliche, immer wieder propagierte Unbesiegbarkeit des IS vor aller Augen infrage. So widerlegen Fakten die Ideologie. Und wenn das Projekt „Islamischer Staat“ nicht mehr erfolgreich ist, wird auch bei den Anhängern der Mythos an Anziehungskraft verlieren.
Das Gespräch führte Christian Böhme.