Mateusz Kijowski sucht Verbündete in Berlin: "Der Angriff auf Polens Medien und Gerichte ist kein Betriebsunfall"
Mateusz Kijowski, Gründer des Komitees zur Verteidigung der Demokratie: "Im Rausch der Freiheit haben wir den Aufbau einer Zivilgesellschaft versäumt"
Der Wahlsieg der Rechtspopulisten in Polen sowie ihr Angriff auf die Medienfreiheit und das Gerichtswesen sind aus Mateusz Kijowskis Sicht „nicht nur ein Betriebsunfall“. Sie haben „tiefere Ursachen“. Deshalb müsse auch die Antwort der Gesellschaft grundsätzlich sein, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Eine schnelle Lösung sieht er nicht. "Im Rausch der Freiheit nach 1989 haben wir den Aufbau einer Zivilgesellschaft versäumt. Das müssen wir jetzt nachholen."
Er hofft dabei auf die Hilfe der deutschen Nachbarn: Think Tanks, Stiftungen, Medien, Freunde Polens. Deshalb ist er mit Verbündeten nach Berlin gekommen. Am Dienstag Abend diskutieren sie im Französischen Dom über „Polen zwischen Restriktion und Protest“.
Mit Facebook fing es an, dann kamen 50.000
Binnen weniger Monate ist der 47-jährige IT-Spezialist zum Kopf der außerparlamentarischen Opposition geworden. Als die Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) kurz nach ihrem Wahlsieg im Oktober das Verfassungstribunal und den öffentlichen Rundfunk ins Visier nahm, gründete er am 19. November die Facebook-Gruppe „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ (KOD). Binnen drei Tagen schlossen sich mehr als 30.000 Polen an; heute hat die Facebook-Gruppe 59.000 Mitglieder. Zur ersten Großdemonstration Anfang Dezember kamen 50.000 in verschiedenen Städten Polens. Kürzlich, Anfang Mai, protestierten sogar 250.000.
Auch wenn sich die Gesellschaft wehrt: Kijowski glaubt nicht, dass die Regierung in den Konflikten um Medien und Gerichtswesen nachgeben wird. Oder dass sie gar stürzt wie beim ersten Mal, als die PiS 2005 an die Macht kam und ihre Koalition nach zwei Jahren zerbrach. Diesmal hat sie die absolute Mehrheit im Parlament und wird mindestens vier Jahre an der Macht bleiben. Die will er nutzen, „um die Gesellschaft fortzubilden“.
Politik gilt als schmutzig
Die meisten Bürger wollten mit Politiknichts zu tun haben. Die gelte als "schmutzig". Das müsse sich ändern. Vor 1989, als die polnische Solidarnosc sich daran machte, die kommunistische Diktatur zu stürzen, und in den Wendejahren "wussten wir, wer die Guten und wer die Bösen sind". Nächtelang habe man darüber diskutiert, "was die Grundfesten des Gemeinwesens sind". Doch "als wir die Freiheit erkämpft hatten, haben wir aufgehört, darüber zu reden". Nun galt: "Jeder ist seines Glückes Schmied. Wir haben die gemeinsamen Interessen vernachlässigt. Die großen Ziele waren klar: die Wirtschaft aufbauen, der Beitritt zur Nato und zur Europäischen Union. Aber wir haben verlernt, über unsere Zukunft zu diskutieren."
Das möchte er jetzt nachholen. Die Bürger sollen sich, erstens, auf ihr Recht auf politische Teilhabe besinnen; nur 51 Prozent waren 2015 zur Wahl gegangen. Er will, zweitens, unabhängige Medien aufbauen. Davon gebe es zwar einige wie die „Gazeta Wyborcza“ oder den Fernsehsender TVN 24. Aber je mehr es seien und „je dichter das Informationsangebot im Internet“, desto besser. Dort könnten auch Journalisten Arbeit finden, die jetzt auf Druck der PiS aus dem öffentlichen Rundfunk entlassen werden. Eine Führungsfigur der neuen unabhängigen Medien werde Magdalena Jethon sein, die langjährige Programmdirektorin des populären dritten Radiosenders "Trojka". Auch soll eine Art polnisches Wikileaks entstehen, das Dokumente zur politischen Einflussnahme veröffentlicht und das Gerichtswesen beobachtet.
Gesellschaftliche Debatten als "Raum der Freiheit"
Drittens solle es wieder "gesamtgesellschaftliche Debatten, die zum Nachdenken anregen", geben: "Welches Polen wollen wir?" Kijowski nennt das einen "Raum der Freiheit".
Viertens möchte KOD einen Think Tank aufbauen, der unabhängig von allen politischen Kräften im Parlament agiert. Der frühere Aktivist der Gewerkschaft Solidarnosc, Wladyslaw Frasyniuk, und der Politologe Radoslaw Markowski werden ihn leiten. Dieser Think Tank solle an Themen arbeiten, die für KOD zentral sind und so "unser eigenes Narrativ, unsere eigene politische Sprache entwickeln". Viele Polen und gerade auch Journalisten seien "ratlos, was eine möglichst neutrale und verantwortungsbewusste Wortwahl" sei bei Themen, mit denen die Regierung Emotionen schüre. Solle man, zum Beispiel, den Flugzeugabsturz im Nebel bei Smolensk, bei dem Präsident Lech Kaczynski ums Leben kam, eine "Tragödie", ein "Unglück", ein "Attentat" oder eine "Katastrophe" nennen?
KOD will keine Partei werden
Für Kijowski und KOD ist wichtig: Sie wollen demokratische Bildung betreiben. Sie wollen nicht selbst zu einer Partei werden. Sie streben weder Ämter noch politische Macht an. Sie halten im Übrigen Distanz zu den aktuellen Oppositionsparteien im Parlament, auch wenn vermutlich viele von deren Anhängern mit KOD sympathisieren. "KOD verbindet, KOD spaltet nicht", sei der Wahlspruch. KOD finde schließlich ebenso Unterstützung bei Bürgern, die für die PiS oder eine der ihnen nahestehenden Parteien wie die Kukis-Bewegung gestimmt haben, aber nun ernüchtert aufwachen.
Vom Grundsatz parteipolitischer Neutralität lasste KOD sich auch bei der Suche nach Partnern und finanzieller Unterstützung in Deutschland leiten, sagt Kijowski. "Wir wollen nicht in eine politische Schublade gesteckt werden." Am liebsten seien ihm Unterstützer, die nicht mit einer politischen Richtung gleichgesetzt werden. Am besten seien natürlich EU-Mittel. Er habe auch schon Gespräche mit dem Europäischen Parlament und der EU-Kommission geführt.
Der Schlüssel zum Verständnis: Polen ist gespalten
Seine Botschaft an die Deutschen: Polen ist gespalten. Das ist „der Schlüssel zum Verständnis“. Die Regierung "repräsentiert nicht die Mehrheit der Gesellschaft." Nicht Polen ist nach rechts gerückt, nur die Regierung. Und das könne sich bei der nächsten Wahl wieder ändern. Die Polen seien auch nicht mehrheitlich gegen Europa, gegen die Europäische Union oder gegen Deutschland. Das solle man sich von der nationalen Propaganda der PiS nicht in die Irre führen lassen. Er wünscht sich "so viele Kontakte wie möglich zwischen Polen und Deutschen. Jeder zusätzliche Kontakt erhöht die Chance auf ein besseres Verständnis der Lage."
Und wie misst er, ob sein Plan eines nachholenden Aufbaus einer Zivilgesellschaft Erfolg hat? "Wenn die Wahlbeteiligung beim nächsten Mal deutlich höher ist als 2015, wenn die prodemokratischen und proeuropäischen Kräfte die Mehrheit erringen und wenn diese Kräfte dann auch fähig sind, eine Koalition zu bilden, statt sich zu zerstreiten."