Kampf einer Kapitänin gegen die italienische Justiz: „Das würde das Ende der zivilen Seenotrettung bedeuten"
Die deutsche Kapitänin Pia Klemp und ihre Crew bereiten sich auf einen Prozess in Sizilien vor. Ihr Vergehen: Sie haben Menschen im Mittelmeer gerettet.
Gerade hat ein Bündnis aus mehr als 250 Organisationen und Vereinen in einem offenen Brief an die Kanzlerin einen tragfähigen Notfallplan für Bootsflüchtlinge gefordert und das Ende der Abschiebungen nach Libyen. Im Brief, der auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund und den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas mitgetragen wird, geht es auch um das Schicksal der zivilen Seenotretter: Es sei ein Skandal, dass die „kriminalisiert werden, die der unterlassenen Hilfeleistung der europäischen Staaten nicht tatenlos zusehen wollen“.
Pia Klemp kann dazu viel erzählen. Die 36-Jährige ist Kapitänin der Juventa. Doch das Schiff hatten im August 2018 italienische Behörden auf Lampedusa beschlagnahmt. Aktuell wartet sie mit neun weiteren Mitgliedern der Crew auf ihren Prozess. Er soll im Sommer beginnen und kann die Retterinnen für 20 Jahre ins Gefängnis bringen. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft in Trapani: Beihilfe zur illegalen Migration.
Teuer ist der Prozess schon jetzt: Man rechne mit einer halben Million für Anwalts- und andere Kosten des Verfahrens, sagte Klemp dem Tagesspiegel im März während eines Berlin-Besuchs. Die Gruppe „Solidarity at sea“ ist inzwischen vor allem mit dem Spendensammeln beschäftigt, außerdem klärt sie darüber auf, was an Europas Außengrenzen geschieht. Die Initiative bereitete einst die Rettungseinsätze vor und koordinierte sie. Doch das geht nicht mehr, seit europäische Regierungen die Rettungsmissionen im Mittelmeer praktisch lahmgelegt haben – unter anderem bekommen NGO-Schiffe keine Flaggen mehr.
Neben Spenden finanziert sich "Solidarity at sea" auch über Preisgelder: Die Linke zeichnete Klemp im März mit dem Clara-Zetkin-Frauenpreis aus, demnächst wird die Crew der Juventa einen renommierten Preis im Ausland erhalten. Anerkennung in den Festsälen, während sie außerhalb als Kriminelle angeklagt werden.
Wanzen auf dem Schiff und Geheimdienstaktionen
Klemp nennt das zentrale Mittelmeer eine „Todeszone“. Retter würden kriminalisiert, dadurch werde uraltes Seerecht beschädigt. „Das Seenotrettungsrecht ist nicht dafür ausgelegt, mit Leuten umzugehen, die niemand haben will.“ Sie weiß, dass Handelsschiffe schon ihre Routen verlegt haben, um nur ja keinem Schiffbrüchigen zu begegnen. Sie sah selbst italienische und französische Kriegsschiffe an Migranten vorbeifahren, die um ihr Leben kämpften. Sie sagt, sie wisse von Notrufen, die die zuständige Koordinationsstelle in Rom, das MRCC, nicht weitergeleitet habe.
Klemp ist an Widerstand gewöhnt. Dennoch ist es für sie unfassbar, „mit welcher Macht gegen die Zivilgesellschaft vorgegangen wird, um das Recht auf Rettung auszuhebeln“. Dafür hätten die Behörden die Brücke ihres Schiffs verwanzt und den Geheimdienst eingeschaltet. Sogar das MRCC in Rom habe sich "missbrauchen lassen", um die Juventa nach Lampedusa zu locken, wo schon vier Schiffe der Küstenwache mit Blaulicht und die Presse auf sie gewartet hätten.
Die schmale blonde Bonnerin, studierte Biologin, arbeitete in Naturschutzprojekten in Indonesien, bevor sie bei der Meeresschutzorganisation „Sea Shepherd“ anheuerte. Sie arbeitete in Kampagnen gegen illegalen Walfang in der Arktis, holte verbotene Netze aus der Bucht von Kalifornien und arbeitete sich dabei von der von ungelernten „Deckshand“ über die Bootsfrau zur Kapitänin hoch.
Als sie hörte, dass die NGOs im Mittelmeer Hilfe brauchten, entschied sie sich rasch: „Ich bin Seefahrerin, ich kann das, und als Deutsche und Europäerin bin ich nicht nur unglaublich privilegiert, sondern habe auch einen Riesenanteil an den Ursachen für Flucht.“ Der Prozess auf Sizilien bedeutet für sie und die Kolleginnen und Kollegen praktisch ein Berufsverbot: „Ich kann nirgendwo anheuern, ohne die sehr aufwendige Vorbereitung zu vernachlässigen.“ Außerdem drohe allen Untersuchungshaft, wenn sie anlegten.
"Wenn Menschenrechte nicht für alle gelten, gelten sie für niemanden"
Über ihre persönliche Lage spricht sie erst auf Nachfrage: Dass sie von einem Solidaritätsgehalt und ihren Ersparnissen lebe und dankbar sei für den Rückhalt, den die Unterstützung von „Solidarity at sea“ bedeute.
Statt ihr Schiff auf der Suche nach Schiffbrüchigen durchs Mittelmeer zu steuern, gibt Klemp jetzt Interviews und spricht auf Podien, um über die Lage an den Rändern Europas zu informieren. „Ich war seit Jahren nicht mehr so lange in Deutschland wie jetzt“, sagt sie. Und warnt vor den politischen Folgen des Prozessausgangs um die Juventa. „Es hängt an unserem Urteil. Wenn es keinen klaren Freispruch gibt, dann ist das das Ende der zivilen Seenotrettung.“
Wenn Pia Klemp etwas „persönlich ziemlich hart“ nennt, dann meint sie trotzdem meist das Überpersönliche. So auch, als sie über die Reaktion der europäischen Öffentlichkeit spricht: „Mir fehlt das Raunen, das durch die Gesellschaft gehen müsste“, sagt Klemp. „Wenn Menschenrechte nicht für alle gelten, dann gelten sie für niemanden – dafür ist es egal, was man von Migration hält. Dann ist die Freiheit der Gesellschaft insgesamt bedroht.“