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Dezember 2018: Rettungsaktion vor der Küste Libyens.
© Olmo Calvo/dpa

Flüchtlinge im Mittelmeer: „Europäische Politik nimmt tausendfaches Sterben in Kauf“

262 zivilgesellschaftliche Organisationen fordern in einem offenen Brief an Angela Merkel die offensive Unterstützung der Seenotrettung im Mittelmeer.

Angesichts vieler im Mittelmeer ertrunkener Flüchtlinge und der katastrophalen Lage in Libyen haben 262 zivilgesellschaftliche Organisationen die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Handeln aufgefordert. "Wir sind erschüttert angesichts der gegenwärtigen europäischen Politik, die immer stärker auf Abschottung und Abschreckung setzt - und dabei tausendfaches Sterben billigend in Kauf nimmt", steht in einem offenen Brief an Merkel, der am Mittwoch veröffentlicht wurde.
Er wurde unter anderem von Pro Asyl, Ärzte ohne Grenzen (MSF), Amnesty International, Sea-Watch, SOS Mediterranee, Seebrücke, Diakonie, Caritas, Brot für die Welt und dem Deutschen Gewerkschaftsbund unterzeichnet.

Das Bündnis, darunter Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen, Seenotrettungsorganisationen, Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Gewerkschaften und Jugendverbände, fordert eine Neuausrichtung der Politik: Es müsse einen "Notfallplan für Bootsflüchtlinge" geben, Asylsuchende sollten solidarisch auf Länder verteilt werden. Zudem müsse es Städten und Kommunen ermöglicht werden, freiwillig zusätzliche Schutzsuchende aufzunehmen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen bezeichnen es in ihrem Brief an Merkel als "Skandal", dass zivile Helfer kriminalisiert würden, die der unterlassenen Hilfeleistung der europäischen Staaten nicht weiter zusehen wollten.

"Sichere Orte nur in der EU"

Nach Libyen dürften Gerettete wegen der verheerenden Menschenrechtslage dort auf keinen Fall zurückgebracht werden, verlangen die Unterzeichner. Weiter heißt es: "Einige der südlichen Mittelmeeranrainer bemühen sich Asylsysteme aufzubauen. Aufgrund der fehlenden rechtsstaatlichen Garantien kann ein sicherer Ort bis auf weiteres jedoch nur in der EU liegen."

SOS Mediterranee erklärte, überwältigt zu sein von der großen Unterstützung für die Seenotrettung durch die deutsche Zivilgesellschaft. Wie die Hilfsorganisation berichtete, werden zivile Seenotrettungsschiffe seit Monaten blockiert, der Rückzug nahezu aller europäischen Seenotrettungskapazitäten aus dem Mittelmeer sei "eine Katastrophe". Handelsschiffe und Fischer müssten als Lückenbüßer für blockierte Seenotrettungsschiffe einspringen und würden dabei selbst in Not geraten, wenn sie Gerettete rechtswidrig nach Libyen zurückbringen sollen.

Weiter heißt es: "Denn eine Seenotrettung ist nach geltendem Recht erst abgeschlossen, wenn die Überlebenden an einem sicheren Ort an Land gehen können. In Libyen aber, wohin seit letztem Jahr die meisten der im Mittelmeer geretteten Menschen vor allem durch die libysche Küstenwache gebracht wurden, kommen Geflüchtete in Internierungslager, in denen Folter, Sklaverei, Hunger und Tod an der Tagesordnung sind. Ein sicherer Ort für eine erfolgreiche Ausschiffung ist das nicht."

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärte, es komme einem moralischen Offenbarungseid gleich, die Seenotrettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer zu beenden: "Die EU hat sich verpflichtet, Schutzsuchenden Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu gewähren. Die Pflicht zur Seenotrettung ist Völkerrecht und das Recht auf Leben ist nicht verhandelbar."

2018 sind 2275 Bootsflüchtlinge ums Leben gekommen

Die Überfahrt über das Mittelmeer ist für Migranten 2018 nach UN-Angaben noch lebensgefährlicher geworden. Wahrscheinlich habe die Einschränkung der Such- und Rettungseinsätze dazu beigetragen, berichtete das Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Genf Ende Januar. Jeden Tag seien im Durchschnitt sechs Menschen ums Leben gekommen.
Insgesamt kamen 2018 fast 117.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa. Mindestens 2275 seien umgekommen. In diesem Jahr starben nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bisher 311 Menschen auf dem Mittelmeer. (mit dpa)

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