Seenotrettung im Mittelmeer: Schweiz verweigert Rettungsschiff "Aquarius" die Flagge
Einem der letzten Rettungsschiffe im Mittelmeer wurde die Flagge entzogen. Die Schweiz hätte einspringen können – doch Bern sagt ab.
Eines der letzten privaten Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer wird weiterhin nicht auslaufen können. Wie jetzt bekannt wurde, hilft die Schweiz nicht, indem sie die "Aquarius", der die panamaische Flagge entzogen wurde, unter schweizerischer Flagge fahren lässt. In der offiziellen Antwort auf eine entsprechende Bitte mehrerer Abgeordneter des Nationalrats, des Schweizer Parlament, erklärte die Regierung in Bern, sie sehe sich "unter den gegebenen Umständen nicht in der Lage, die Ausnahmeklausel des Seeschifffahrtsgesetzes für das Seeschiff Aquarius anzuwenden". Es brauche eine "tragfähige europäische Lösung", um die Rettung zu ermöglichen, sichere Häfen verfügbar zu halten und die Geflüchteten nach einem festgelegten Mechanismus zu verteilen. Man wolle nicht mit einer "Einzelaktion" Gefahr zu laufen, "die notwendige Zusammenarbeit unter den Staaten zu unterlaufen, anstatt sie zu fördern".
Abgeordnete in Bern appellierten an humanitäre Tradition des Landes
Eine solche schweizerische Initiative hatte eine Anfrage (Interpellation) von Nationalrätinnen und -räten (Abgeordneter) mehrerer Fraktionen gefordert, die der liberale Abgeordnete und Solothurner Stadtpräsident Kurt Fluri eingebracht hatte. Unterzeichnet hatte sie unter anderem die frühere Schweizer Außenministerin Micheline Calmy-Rey, eine Sozialdemokratin. Der "Aquarius", die von SOS Mediterranee und "Ärzte ohne Grenzen" gechartert worden war, wurde die Flagge Panamas entzogen, nachdem die von der rechten Lega dominierte Regierung in Rom das mittelamerikanische Land massiv unter Druck gesetzt hatte. Hier sollte nach dem Wunsch der Schweizer Abgeordneten ihr Land einspringen. Sie bezogen sich dabei auf die lange Tradition der Schweiz als Standort internationaler und humanitärer Organisationen wie des Roten Kreuzes. Obwohl die Schweiz ihre Flagge qua Gesetz nur Handelsschiffen zur Verfügung stelle, habe es für humanitäre Zwecke immer Ausnahmen gegeben. Diese Ausnahmeklausel solle Bern nun auch zugunsten der Aquarius nutzen. Die Absage des Bundesrats, der Schweizer Regierung erfolgte bereits Ende November, wurde aber erst jetzt bekannt.
"Politik wieder einmal über Menschenrechte gestellt"
SOS Méditerranee bedauerte die Berner Entscheidung. Die Schweiz hätte "ihre humanitäre Tradition fördern und ein starkes Signal an die europäischen Regierungen senden können und müssen", erklärte die Direktorin der Schweizer Sektion, Caroline Abu Sa'Da. "Leider wurden politische Erwägungen wieder einmal über Menschenleben gestellt." Sie nannte die Antwort auf die Initiative des Berner Parlaments zudem widersprüchlich: Auch wenn es stimme, dass eine abestimmte europäische Lösung und Regeln für die Zuweisung sicherer Häfen nötig seien: "Wir können keine Mesnchen auf See sterben lassen, weil wir noch nicht wissen, wo sie an Land gehen dürfen." Abu Sa'Da wies darauf hin, dass im September jede und jeder fünfte von denen starb, die von Libyen aus Richtung Europa flohen. Die Entscheidung aus Bern bedeute jedoch nicht das Ende des Rettungseinsatzes von SOS Méditerranée, erklärte die Organisation: „Unsere Teams tun weiterhin ihr Bestes, um so schnell wie möglich wieder auf See zu sein und weiterhin Leben zu retten."
Unklar ist allerdings, wie das geschehen soll. Die Aquarius hat nun schon mehrfach die notwendige Flagge abgenommen bekommen. Der Betrieb des Schiffs, das sich aus Spenden finanziert, kostet täglich Tausende Euro, auch wenn es nicht ausläuft. Es wurde inzwischen von Italien beschlagnahmt. Der Vertrag mit der Bremer Reederei, von der es gechartert wurde, endet Ende des Jahres. Aus dem Schweizer Parlament ist zu hören, dass die Berner Regierung mit ihrer Absage wohl Diskussionen darum vermeiden wollte, ob sie denn auch selbst Migranten aufnehmen würde, die die Aquarius im Mittelmeer an Bord nimmt. "Aus innenpolitischen Gründen wird sich im gegenwärtigen Klima kein Land bereit erklären, irgendwelche migrationsfreundlichen Gesten abzugeben", hieß es. An diesem Mittwoch ist Ueli Maurer, ein Politiker der rechten Schweizerischen Volkspartei, Bundespräsident der Schweiz geworden.