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In Hirschfeld in Brandenburg haben 50,6 Prozent der Wähler ihre Zweitstimme der AfD gegeben.
© dpa

Viele Jungwähler auf AfD-Kurs: „Das wächst sich nicht einfach aus“

Jugendlichen geht es darum, wahrgenommen zu werden, sagt Soziologe Wilhelm Heitmeyer. Wer sich ohnmächtig fühlt, wird anfällig für kollektive Machtfantasien.

Greta Thunberg, Fridays for Future, Rezo: Gerade in den vergangenen Monaten war es leicht, sich ein eher grünes, progressives Bild von der jungen Wählergeneration zu machen - so präsent waren die, die als ihre Repräsentanten und Vorreiter gesehen werden. Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg bestätigen zwar einen grünen Trend bei Jungwählern - aber gleichzeitig wählten dort ähnlich viele Menschen unter 30 die AfD.

In Brandenburg gab es 23 Prozent der Jungwählerstimmen für die Grünen, 22 Prozent für die AfD. In Sachsen wählten 19 Prozent von ihnen die Grünen, 22 Prozent die AfD. Zeigt sich hier, wo sich die gesellschaftliche Spaltung künftig verfestigen wird?

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer forscht seit Jahrzehnten zum Aufkommen autoritärer Bewegungen. Er leitete von 1996 bis 2013 das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld.

Herr Professor Heitmeyer, warum wählen gerade im Osten so viele junge Menschen die AfD?
Auch Jugendliche können sich nicht abkoppeln vom gesellschaftlichen Klima, in dem es Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit gibt. Insofern überrascht mich das gar nicht. Die AfD arbeitet mit dichotomischen Weltbildern - 'Wir gegen die', Homogenität der Bevölkerung gegen Heterogenität der Bevölkerung, geschlossene Gesellschaft gegen offene Gesellschaft, Deutschsein als letzter Identitäts-Anker. Diese Vereinfachung soll eine Sicherheit geben, die vermeintlich verloren ist.

Mit der Vereinfachung kommt die Partei also auch bei jungen Leuten an?
Ja. Wenn man sich im Alltag unterlegen fühlt, will man auf der Gruppenebene Überlegenheit gegenüber anderen Gruppen demonstrieren, um sich aufzuwerten. Die AfD operiert mit den Ängsten der Menschen über Kontrollverlust über die eigene Biografie, die eigenen Grenzen, die eigene Gruppe. Gleichzeitig verspricht sie die Wiederherstellung von Kontrolle. Bestes Beispiel dafür ist Gaulands Parole: "Wir holen uns unser Land zurück", die suggeriert, dass die Kontrolle verloren sei.

Das verfängt ja aber nicht bei allen - ein ähnlich großer Anteil Jungwähler hat Grün gewählt. Was ist bei denen anders?
Es ist ein Frage der Gruppenzugehörigkeit. In welche Gruppe gerät man hinein? Wer bestimmt das Denken? Das sind zentrale Fragen, gerade in Zeiten, in denen es nicht mehr 'die eine Öffentlichkeit' gibt, sondern sozusagen Öffentlichkeiten im Plural. In manchen Filterblasen im Internet gibt es nur noch sich selbst bestätigende Aufschaukelungsprozesse. Individuelle Ohnmacht, die Jugendliche empfinden, wird da ausgeglichen mit kollektiven Machtfantasien. Hier liegen die autoritären Versuchungen, die die AfD bedient.

[Die Strategien der AfD analysiert Wilhelm Heitmeyer auch in seinem jüngsten Buch „Autoritäre Versuchungen“]

Wie unterscheiden sich die Bedingungen auf dem Land von denen in der Stadt?
Es gibt tatsächlich ein siedlungsgeografisches Problem, das selten beachtet wurde: In Dörfern und Kleinstädten existiert ein sehr viel höherer Konformitätsdruck. Wenn man da nicht standfest ist, muss man sich entweder anpassen oder wegziehen. Und dieser Konformitätsdruck setzt sich durch, wenn strukturelle Probleme auftauchen.

Dieses sozialgeografische Problem verbindet sich zudem mit einem sozialdemografischen: Junge, gut ausgebildete Frauen gehen weg. Männer haben oft nicht mal mehr die Möglichkeit, eine Familie zu gründen, da kommt es für sie dann auf die Demonstration von Stärke an. Die vermeintlich starken Sprüche von der AfD helfen beim eigenen Starksein.

Was braucht es, um die Anfälligkeit dafür zu überwinden?
Wir brauchen eine größere Ambivalenz-Toleranz und Ambiguitäts-Toleranz, also die Fähigkeit, Widersprüchliches und Unklares auszuhalten. Es gibt heute keine Gewissheiten mehr. Es gibt Menschen, die bewältigen das besser, die können klar sagen 'Widersprüche muss man aushalten'. Andere sagen 'Ich will keine Widersprüche, ich will einfache Kategorien'. Es sind psychologische Faktoren. Wer Widersprüche und unklare Situationen nicht aushält, ist anfälliger für vereinfachende Parolen und für die Abwertung anderer Gruppen.

Sehen wir hier schon die sich verfestigende gesellschaftliche Spaltung der Zukunft?
Die Konfliktlinien „Offene gegen geschlossene Gesellschaft“ und „Liberale Demokratie gegen autoritäre Demokratie“ deuten sich an. Die Grünen-Wähler wollen die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie aufrechterhalten. Dass das der prägende Konflikt wird, ist wahrscheinlich. Dann wird die Frage sein, wo die besseren Angebote sind.

Und da geht es wieder um Anerkennung und um das Wahrgenommen werden - diese Kategorien werden in ihrer Bedeutung und Wirksamkeit unterschätzt. Wenn das Anerkennungsbedürfnis bei Menschen nicht erfüllt ist, sucht man sich eine Alternative. Und dann gehört man plötzlich zu einem solchen Milieu.

Mehr zu den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen:

Sie warnen schon lange vor dieser Entwicklung...
Das Potenzial eines Teils der Gesellschaft, sich zu überhöhen, indem er andere Gruppen abwertet, gab es schon lange vor der AfD. Aber erst die AfD hat dem grassierenden Bedürfnis ab 2015 einen Ort gegeben. Ein Teil der Jugendlichen wendet sich dagegen, aber es ist deutlich, dass sich das nicht einfach auswächst. Die strukturellen Bedingungen bleiben ja gleich.

Welche Gefahr droht dadurch?
Die AfD wird fälschlicherweise noch als rechtspopulistische Partei bezeichnet, das ist verharmlosend. Rechtspopulismus will kurzzeitige Erregungszustände in den Medien erzeugen. Der Rechtsextremismus will mit Gewalt Schrecken im öffentlichen Raum erzeugen. Der autoritäre Nationalradikalismus, wie ihn die AfD meiner Einschätzung nach anbietet, ist noch viel gefährlicher. Der zielt auf die Institutionen der Gesellschaft, um sie zu destabilisieren.

Da geht es um das Eindringen in die Polizei, in Gewerkschaften, das Unter-Druck-Setzen von Theatern, das Kontrollieren von Schulen - das ist das Gefährliche. Das geht bis in die Gedenkstättenpädagogik, Rundfunkräte, die Kulturausschüsse im Stadtparlament. Es hat eine ganz andere Qualität. Und das wird hoffnungslos unterschätzt.

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