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Raps, grüne Getreideflächen und braunes Ackerland wirken von oben wie ein Flickenteppich.
© Jens Wolf/picture-alliance

Föderalismus in Deutschland: Das Virus hält sich nicht an Grenzen

Wo gilt was? Das Virus treibt die Politik vor sich her, nicht alle beschlossenen Maßnahmen sind überall notwendig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Ide

Endlich ein Einschnitt in der Coronakrise: Die Friseure haben wieder geöffnet; die ersten Berlinerinnen und Berliner erlebten am Montag nach dem Lockdown ihren persönlichen Locke-down. Und wer will das nicht: dass der Alltag wieder ein bisschen alltäglicher wird.

Das Verlangen nach dem früheren Leben wird nach bald zwei Monaten neuer Realität bei immer mehr Bürgern größer. Viele sehnen sich nach dem, was ihnen die Grundrechte sonst selbstverständlich garantieren. Längst ist die Sehnsucht nach alter Alltäglichkeit in der Politik angekommen; ja, mit ihr wird Politik gemacht.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog.  Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Die Lockerungsmaßnahmen und zuweilen allzu lockeren Ankündigungen, die daraus landauf, landab erwachsen, wirken jedoch so verwuschelt wie ein unfrisierter Kopf. Für die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Länder kommt es deshalb darauf an, dass sie nach ihrem nächsten Entscheidungsgipfel am Mittwoch nicht kopflos, sondern stringent erscheinen.

Dazu braucht es klare Antworten auf die einfache wie schwierige Frage: Wie geht es weiter?

Viele machen die Grenzen mit sich selber aus

Auch wenn sich der Verlauf einer Pandemie nicht vorhersagen lässt, erwarten die Menschen möglichst genaue Vorhersagen, was wann warum geschehen darf und was nicht.

Dass manche Bundesländer bei den Lockerungsübungen schon jetzt weiter gehen als andere, stiftet allzu viele dazu an, die Grenzen der Vorsicht mit sich selbst auszumachen. Das ist eine Gefahr für die allgemeine Gesundheit – neben der Tatsache, dass sich ein weltweites Virus nicht an Grenzen von Bundesländern hält.

Eine Zentralisierung der Seuchenbekämpfung, wie sie jetzt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller fordert, ist dennoch der falsche Weg. Denn auch wenn diese Krise eine Herausforderung für das Land als Ganzes ist, so muss sie vor allem lokal gelöst werden. Dabei sind regionale Unterschiede durchaus möglich, etwa bei der Öffnung von Schulen, Geschäften und wohl bald auch von Gaststätten.

Ausnahmen müssen gut begründet werden

Wenn Politik aber mit Rücksicht auf Landesinteressen (und Interessengruppen) unterschiedlich vorgeht, bringt sie sich in eine Bringschuld: die Ausnahmen von den Regeln gut zu begründen. Das geschieht bislang zu wenig.

So verwunderlich ist es ja gar nicht, dass sich die Lage zuerst im Osten etwas entspannt: dass sich Rostock für coronafrei erklärt, dass Sachsen-Anhalt Kontakte von fünf Personen außerhalb eines Haushalts zulässt.

Die jüngeren Bundesländer weisen mit ihrer demografischen Struktur von Anfang an einen weniger schlimmen Infektionsverlauf auf. Durch den Wegzug Hunderttausender vor und nach dem Mauerfall in Richtung Westen sind viele Landstriche dünner und mit weniger jüngeren Menschen besiedelt, die das Virus stärker verbreiten.

Zudem können sich viele Ostdeutsche keinen Skiurlaub in Ischgl leisten; es gibt auch weniger Ballungszentren – in Sachsen-Anhalt nur eines nahe der sächsischen Messestadt Leipzig. Warum soll hier nicht anders vorgegangen werden als im dichter besiedelten und grenznahen Baden-Württemberg?

Eigene Wege, unterschiedliche Wege zu gehen, ist ok - aber sie müssen begründet werden, von der Kanzlerin und von den anderen.
Eigene Wege, unterschiedliche Wege zu gehen, ist ok - aber sie müssen begründet werden, von der Kanzlerin und von den anderen.
© dpa/Bernd von Jutrczenka

Das Vertrauen in die Politik kann schnell schwinden

Das Wichtige ist aber: Besonderheiten müssen erklärt werden – und zwar von allen Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin gemeinsam. Dass stattdessen nach dem Wettlauf um die härtesten Schutzmaßnahmen, den Bayerns Ministerpräsident Markus Söder für sich entschied, nun das Rennen um die schnellste Lockerung losgeht (ein Preis, mit dem sich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet hektisch zum ersten Kanzlerschaftsnachfolgeanwärter küren will), tut der Sache des Infektionsschutzes ebenso wenig gut wie dem Ansehen des Föderalismus.

Das Vertrauen, das sich die Politik mit Konsistenz aufgebaut hatte, kann schnell schwinden, gerade in Zeiten der Ungeduld.

Bisher ist Deutschland gut durch die Coronakrise gekommen, auch mit verwuschelten Haaren. Jetzt ist es wichtig, einen klaren Kopf zu behalten. Mit konsistent begründeten Entscheidungen, selbst wenn diese regional unterschiedlich ausfallen.

Nur dann nehmen die Menschen die vielen weiterhin nötigen Beschränkungen ernst und das Virus nicht allzu locker.

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