zum Hauptinhalt
Benedetto De Vivo ist Professor für Umweltgeochemie in Neapel. Er berät die Staatsanwaltschaft im Fall der Nicht-Sanierung der neapolitanischen Ex-Industriezone Bagnoli, des größten Bodensanierungsfalls in Italien.
© privat

Italiens Kampf gegen die Mafia: "Das Bürgertum spielt eine unheilvolle Rolle"

Der neapolitanische Geologie-Professor Benedetto De Vivo setzt sich gegen mafiose Verbindungen und Vetternwirtschaft auch an seiner Universität ein. Hier erklärt er, wie die Kultur des Wegsehens funktioniert

Herr Professor De Vivo, zur Erklärung der Mafia wird immer wieder von einer mafiosen Kultur gesprochen, die effektiver sei als die Clans selber. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Es stimmt: Wenn es einfach nur um Kriminalität ginge, wäre das mit polizeilichen Mitteln leicht zu lösen. Aber im Fall der Mafia ist das nur ein kleiner Teil dessen, was man tun müsste. Das Grundproblem ist, dass viele Menschen, durchaus guten Glaubens, blind sind für das Problem. Im akademischen Milieu, in dem ich mich bewege, ist die intellektuelle Schicht komplett mit der Politik verflochten. Hinter der aber stehen oft unsaubere Interessen.

Was meinen Sie?

Nehmen Sie das größte Krankenhaus Süditaliens, das gerade bei uns für 300 Millionen gebaut wird, das „Ospedale del Mare“, das 2015 eröffnet werden soll. Es wird absolut erdbebenfest werden, wobei man das kleine Detail vergessen hat, dass es vor Lava sicher sein müsste. Es steht nämlich in der roten Zone um den Vesuv, den gefährlichsten Vulkan der Welt, weil in seiner roten Zone etwa 800 000 Menschen leben. Die vier Vulkanologie-Professoren, die das Projekt beurteilen sollten, stellten die Gefahrenzone auch zunächst korrekt fest. Dann aber zogen sie, offensichtlich auf Geheiß der Politik, deren Grenze neu – nun entlang der Grenzen der Vesuv-Gemeinden. Die rote Zone ist jetzt sternförmig. Wo das Krankenhaus ursprünglich stehen sollte, außerhalb der roten Zone, entsteht ein Einkaufszentrum. Besitzerin dieses Baugrunds war die Ehefrau eines wichtigen Ministers jener Provinzregierung, die die Professoren in die Kommission zur Bewertung des Vulkanrisikos berief. Der fragliche Minister kandidierte in den Vorwahlen des mitte-linken Partito democratico zur letzten Bürgermeisterwahl von Neapel. Er musste seine Kandidatur zurückziehen, weil er in eine unappetitliche Stimmenkaufaffäre verwickelt war – dabei wurden Migranten fünf Euro pro Stimme geboten. Jetzt  ist dieser Mann ins Europaparlament gewählt worden.

Wo soll das Krankenhaus stehen?

Es wird in einer Zone höchster Unsicherheit gebaut, nämlich in 7,5 Kilometer Entfernung vom Vesuv. Der Mindestsicherheitsabstand von der Zone des Lavaflusses beträgt elf Kilometer – wobei bei einem Ausbruch vor mehr als 3000 Jahren die Lava auch einmal 20 Kilometer ab Krater erreichte. Theoretisch dürfte in der roten Zone überhaupt niemand wohnen. Wenn aber nun schon 800 000 Menschen dort leben, müsste man wenigstens weitere Bauten verbieten. Natürlich stimmt es, dass die Bürger in dieser Gegend ein Krankenhaus brauchen. Aber man sollte doch meinen, dass eines in elf Kilometer Entfernung vom Krater, wie zuerst vorgesehen, zweifellos sicherer ist als eines in 7,5 Kilometer Entfernung. Und es sollte doch einleuchten, dass eine öffentliche Einrichtung wie ein Krankenhaus im Notfall eher „gefüllt“ werden muss als evakuiert. Was die vier sachverständigen Professoren angeht: Mag ja sein, dass sie offiziell niemand um ihre Meinung zum Standort des Krankenhauses gefragt hat. Aber können vier anerkannte Vulkanologen zu einer derart üblen Entscheidung schweigen? Oder kommt ihre Sprachlosigkeit in der ganzen Angelegenheit nicht faktisch einer ausdrücklichen Zustimmung gleich?

 

Das geschah alles unter Mitte-Links-Regierungen in Neapel und Kampanien?

Camorra, Mafia, ‘Ndrangheta und wie sie jeweils heißen, haben keine Ideologie. Ihre Ideologie heißt Geld machen, mit jedem, der sie dabei deckt. Das war einst das rechte Lager, aber etwa in den letzten 20 Jahren hat die Linke ihre Rolle als Antikörper aufgegeben und macht seither, gegen Wählerstimmen, Geschäfte mit der Organisierten Kriminalität. Das zeigte sich besonders in den quasi sowjetischen Ergebnissen, die Mitte-Links in den letzten Jahren bei Regionalwahlen in Kampanien erhielt. Dieser Erfolg wird noch erstaunlicher dadurch, dass dieselben Gegenden in landesweiten Wahlen massiv für Berlusconis Mitte-Rechts-Lager stimmten.

Europa schaute während der Müllkrise vor ein paar Jahren nach Neapel. Sie selbst engagierten sich in einer Bürgerinitiative. Man hört nichts mehr – ist die Krise überwunden?

Die akute Phase, als der Müll sich in Neapels Straßen türmte, ja. Aber die Folgen einer jahrelangen verantwortungslosen Abfallwirtschaft bleiben: Sechs Millionen sogenannte „Öko-Ballen”, in Wirklichkeit verpackter unsortierter Müll, sind noch zu entsorgen. Boden, Wasser und womöglich die landwirtschaftlichen Produkte der Gegend sind schwer verseucht und gefährden die Gesundheit der Bewohner. Und die Camorra wartet schon aufs neue große Geschäft, wenn die Böden „saniert“ werden.

Aber braucht es denn keine Sanierung?

Ich bin dagegen und ich sage Ihnen warum: Als die Müllkrise in Neapel ausbrach, begriff  die Camorra sofort, dass die illegale Entsorgung ein Riesengeschäft werden würde, Schließlich betrieben sie das schon seit langem, wobei sie vor allem giftige Industrieabfälle aus Norditalien – aber auch aus Europa – zu sehr günstigen Preisen auf Mülldeponien, eher wilden Halden, der Gegend um Caserta und Neapel kippten. Das alles übrigens mit stillschweigendem Einverständnis ganzer Ortschaften, die nicht wussten, dass das illegale Treiben der Camorristi dabei war, sie zu vergiften. Ich beschäftige mich als Geochemiker mit der Umweltverschmutzung von Böden und Wasser und machte die Behörden darauf aufmerksam, dass das, was da auf dem Land geschah – wie gesagt, von der Bevölkerung gedeckt, die tat, als merke sie nichts – herauskommen würde, spätestens sobald Europa die Agrarprodukte aus dieser Gegend boykottieren und damit die gesamte Landwirtschaft ruinieren würde. Das ist in den letzten beiden Jahren dann passiert. Jetzt ist also die Sanierung der von der Camorra vergifteten Böden das zentrale Problem geworden und gerade diejenigen Bürger drängen darauf, die das Problem verdrängten, als es sichtbar wurde, teils aus Unwissenheit, teils aus Trägheit, teils weil sie Mitwisser waren. Das Thema heißt jetzt: Sanierung der Terra di Fuochi, also jener Landschaft mit Tausenden illegalen Müllkippen. Damit läuft man Gefahr, ein weiteres Geschäft der Camorra zu finanzieren, nämlich die Verwaltung der großen Summen, die für diese sogenannte „Sanierung“ nötig ist. Ich war und bin der Meinung, dass es keine Sanierung geben darf, sondern dass das Gelände mit geeigneten Mitteln erst untersucht und überwacht werden muss, dass die verseuchten Böden gesichert und dann der Phytomediation unterzogen werden sollten, der biologischen Reinigung.  

Zurück zur mafiosen Kultur, über die wir sprachen. Welches Mittel gibt es aus Ihrer Sicht dagegen?

Nur dies: Man muss die Grundbildung verbessern und den jungen Leuten Arbeitsmöglichkeiten bieten. Im Süden erreicht die Jugendarbeitslosigkeit teils 40 Prozent, das macht die Kriminalität zu einem unbesiegbaren Feind. Aber der Kampf gegen die Mafia müsste auch über die Universität laufen. Dort herrscht die Auffassung, dass die Hauptverantwortlichen für alle Übel der Gesellschaft – Korruption, Klientelismus, Vetternwirtschaft – allein die Politiker sind. Im Grunde erklären sich alle in Theorie und Verhalten für unschuldig und verstehen nicht, dass die Organisierte Kriminalität so stark wird, weil sie selbst in ihrem Umfeld in einer bestimmten Weise agieren. Ich habe erst vor kurzem entdeckt, dass der große neapolitanische Intellektuelle Gaetano Salvemini dies schon 1908 so sah. Ein Artikel von ihm hieß “Cocò an der Universität Neapel oder Die Schule der Mafia”. An der unheilvollen Rolle des Bürgertums in Neapel, die Salvemini so erbarmungslos beschreibt, hat sich absolut nichts geändert.

Andrea Dernbach

Zur Startseite