Bundestagswahl 2017: Das Ausland hat nur Augen für Angela Merkel
Von Washington über Warschau bis Peking gilt: Sie können sich ein Deutschland ohne die Kanzlerin nicht vorstellen. Sie wollen es auch nicht. Ein Kommentar.
Martin Schulz als Kanzler? Große Koalition oder Jamaika? Wie stark wird die AfD? Alles interessante Fragen für deutsche Bürger und deutsche Medien. Außerhalb der Bundesrepublik interessieren sie wenig.
Merkel ist unverzichtbar für Europa
Von den USA über Großbritannien, Frankreich und Polen bis nach Russland und Asien kommen solche Aspekte der Bundestagswahl allenfalls am Rande vor. Die Augen der ausländischen Beobachter richten sich fast ausschließlich auf Angela Merkel, lautet der Tenor der Berichte aus den Zweigstellen des German Marshall Fund (GMF) rund um die Erde. Wie wird ihre vierte Amtszeit aussehen? Kommt danach gar noch eine fünfte? Wie regelt sie ihre Nachfolge, wenn sie denn irgendwann einmal die politische Bühne verlässt?
Amerikaner hätten nur Augen für Merkel, fasst Karen Donfried, Präsident Barack Obamas Europaberaterin und nun Präsidentin des German Marshall Fund (GMF), die Perspektive der USA zusammen. „Wir können uns nicht vorstellen, dass jemand anderes als Merkel Europas stärkste Wirtschaftsmacht führen könnte. Merkel ist unverzichtbar für Europa geworden.“ Donfried ermuntert ihre Landsleute, genauer hinzuschauen. Die nächste Bundesregierung werde nicht einfach weitermachen wie bisher. Deutschland verändere sich. Aber findet der Ruf Gehör?
Polen und Balten fragen nicht, wie Europa ohne die Kanzlerin aussähe
Der Blick aus London, Brüssel, Paris, Warschau fällt ähnlich aus. Merkel ist die Chef-Europäerin. Ihre Rolle, ihr Einfluss, ihre Zuverlässigkeit gelten als gesichert. Ob die Hoffnungen, dass ein französisch-deutsches Tandem die EU voranbringt, sich erfüllen, liegt nicht an ihr, sondern daran, ob sie einen Partner in Paris hat. François Hollande war ein Ausfall, mit Emmanuel Macron kann es besser klappen.
Auch EU-Länder wie Polen und Ungarn, die keine verstärkte Zusammenarbeit wollen, fragen erst gar nicht, wie eine Europapolitik ohne Merkel aussehen könnte. Dort gilt ihr Wahlsieg als garantiert. So müssen die Ostmitteleuropäer sich nicht mit den Ängsten auseinandersetzen, die die Aussicht auf eine rot-rot- grüne Bundesregierung unweigerlich ausgelöst hätte – wegen deren Hang zu mehr Verständnis für Wladimir Putin.
Im Blick von außen wird die Nummer Eins überlebensgroß
Angela Merkels geradezu monumentale Dominanz im Bild des Auslandes fußt auf drei Fundamenten. Erstens ist der Blick von außen auf Deutschland ähnlich eingeschränkt wie der deutsche Blick nach außen. Wenn die Deutschen auf Frankreich, die USA oder China schauen, interessieren auch sie sich für die Nummer eins, also Macron, Donald Trump und Xi Jinping. Und weniger für die Oppositionsführer oder die starken Personen im US-Kongress oder der Assemblée National, die Trumps und Macrons Macht begrenzen. Von Chinas Volkskongress gar nicht erst zu reden.
Zweitens entwickelt die Berechenbarkeit, die manche in Deutschland als langweilig kritisieren, in der Perspektive von außen beträchtlichen Charme. Drama haben die Amerikaner genug mit Trump, die Briten mit dem Brexit, die Franzosen erst mit Marine Le Pen und nun den Reformen des Arbeitsmarkts, die Polen mit der nationalpopulistischen Regierungspartei PiS, die Asiaten mit Kim Jong Uns Bomben- und Raketentests. Da erscheint die deutsche Stabilität durch Kontinuität nicht nachteilig, sondern geradezu beneidenswert.
Deutschland ist langweilig? Nein, beneidenswert stabil
Das dritte Fundament der Merkel’schen Übergröße im Blick von außen ist das jeweilige nationale Interesse. Auch anderswo lässt sich Merkels Eigenwerbung im Kanzlerduell 2013 anwenden: „Sie kennen mich.“ Trump mag über ihre angeblich „gefährliche“ Migrationspolitik und mangelnde Lastenteilung in der Nato schimpfen, aber auch die Amerikaner wissen, dass es unter einem anderen Kanzler in einer anderen Koalition nicht besser für sie würde.
Die Briten dürften nicht mehr Rücksicht auf ihre Brexit-Probleme erwarten als unter Merkel. Die EU-Beitrittsperspektiven der Balkanstaaten werden ohne Merkel nicht besser. Für Recep Tayyip Erdogan wird der Umgang mit Deutschland und Europa nach einem Kanzlerwechsel wohl kaum einfacher.
Für Putin ist das Kalkül zumindest zwiespältig
Selbst für Wladimir Putin wäre die Aussicht auf eine Ende der Merkel-Kanzlerschaft zumindest zwiespältig. Es heißt zwar, dass die SPD, die Linke und auch die CSU die Sanktionen gern lockern würden, aber die Erfahrung mit Trump hat gezeigt, wie leicht solche Spekulationen sich ins Gegenteil verkehren können. Der Weg zu Kompromissen der USA mit Russland ist heute stärker verbaut, als wenn Hillary Clinton die Präsidentenwahl gewonnen hätte.
Für Merkels monumentale Präsenz im Blick von außen gilt beides: Die Menschen im Ausland können es sich nicht anders vorstellen. Sie wollen es auch nicht.