Reparationen und Rechtsstaatlichkeit: Der Streit um Polen lähmt die Europäische Union
Polen setzt mit Reparationsforderungen auf die Vergangenheit, Jean-Claude Juncker auf eine luftige Zukunft. Das kann nicht gut gehen. Ein Kommentar.
Die Europäische Union findet kein Rezept gegen die Geister, die sie lähmen. Die vergangene Woche illustrierte die Ungleichzeitigkeit ihrer Teile. Polen sucht sein Heil in der Beschwörung der Geschichte und leitet Reparationsforderungen an Deutschland für die Zerstörung im Weltkrieg ein. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker weicht in seiner Rede zur Lage der Union der Herausforderung aus, die Handlungsfähigkeit der EU hier und heute zu stärken. Er behalf sich mit wolkigen Zukunftsbildern, die ziemlich weltfremd wirken. Alle EU-Staaten sollen rasch dem Euro beitreten. Sind Polen, Tschechien, Ungarn dazu fähig, von Bulgarien und Rumänien gar nicht zu reden? Und leiden wir nicht immer noch an den Folgen der verfrühten Aufnahme Griechenlands?
Man hätte erwarten dürfen, dass er klare Worte zur Aushöhlung des Rechtsstaats in Polen findet, die nächste Stufe des Vertragsverletzungsverfahren einleitet und die EU generell ermuntert, Mehrheitsbeschlüsse stärker zu nutzen. Juncker wählte den Harmoniekurs, gegen ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten. Polen und Ungarn will er bessere Kooperation anbieten. Als würde das bei den nationalpopulistischen Ideologen der PiS-Partei in Polen verfangen.
Reparationen können Leid nicht wiedergutmachen
Delikater ist die Frage der Reparationen. Da mischen sich moralische, juristische und politische Aspekte. Was Deutsche Polen im Zweiten Weltkrieg angetan haben, lässt sich durch Reparationen nicht wiedergutmachen und moralisch nicht ausgleichen. Die polnische Intelligenz wurde ermordet, ein Großteil der Bürger versklavt. Mit dem Holocaust wurde die Gesellschaft verstümmelt. Polen hatte Juden über Jahrhunderte vergleichsweise tolerant behandelt und deshalb den höchsten Judenanteil aller Staaten Europas.
Die juristischen Aussichten sind eine andere Frage. Die Volksrepublik Polen hatte Anspruch auf Reparationen aus der sowjetischen Besatzungszone, diese aber 1953 für beendet erklärt. Zudem erhielt Polen mehr als 100000 Quadratkilometer vormals deutschen Gebiets; diese Regionen waren im Schnitt ökonomisch moderner als das Vorkriegspolen. Deutschland hat freilich in jüngsten Jahren erfahren, wie heikel es ist, Entschädigungsforderungen für Massaker in Griechenland oder Italien abzuwehren.
Die PiS handelt provozierend undankbar
Traurig sind die europapolitische Auswirkungen. Die EU sieht sich als Antwort auf die Kriege – auch in dem Sinne, dass sie die Reparationspolitik nach dem Ersten Weltkrieg als nicht förderlich für den Frieden begreift. Solidarität zum gemeinsamen Nutzen lautet die Lehre aus der Geschichte. Deutschland hat sich nach 1989 als besonderer Förderer Polens hervorgetan und ihm den Weg in die EU geebnet. Das Beharren der PiS auf Reparationen wirkt da provozierend undankbar – auch wenn unbestritten bleibt, dass Deutschland moralisch in Polens Schuld steht.