Klage wird vor Gericht verhandelt: Darf der Verfassungsschutz die AfD bundesweit beobachten?
Der Verfassungsschutz sieht die AfD als Gefahr für die Demokratie und will sie überwachen. Die Partei wehrt sich gegen eine Einstufung als Verdachtsfall.
Es ist wohl einer der wichtigsten Termine in der Geschichte der AfD. Wenn an diesem Dienstag der Fall mit dem Aktenzeichen 13 K 326/21 vor dem Verwaltungsgericht Köln verhandelt wird, geht es nicht um weniger als um die Zukunft der radikal rechten Partei. Es geht um die Frage: Darf das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die AfD als rechtsextremen „Verdachtsfall“ einstufen, V-Leute gegen sie einsetzen, unter Umständen sogar Telefonate mithören und Kommunikation mitlesen? Statt im Gerichtssaal findet die Verhandlung im Kristallsaal auf dem Kölner Messegelände statt – das öffentliche Interesse ist groß.
Auch für die Verfassungsschützer steht viel auf dem Spiel. Im Vorfeld der Verhandlung musste die Behörde einen Rückschlag einstecken.
2019 hatte das Bundesamt die AfD zunächst als sogenannten Prüffall eingestuft. Fortan wertete die Behörde öffentlich zugängliche Quellen wie Facebook-Beiträge oder Reden aus. Schließlich mündeten die Erkenntnisse in ein 1001 Seiten dickes Gutachten. Darin werden hunderte Äußerungen von Parteifunktionären aufgeführt. Das BfV kam zu dem Schluss: Es lägen „tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür vor, dass die AfD gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen verfolgt.
Gericht stoppte die Beobachtung - vorerst
Als im Januar 2021 bekannt wird, dass der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremer Verdachtsfall einstufen wird, versucht die Partei dem zuvorzukommen. Sie reicht Klage ein und strengt ein Eilverfahren an. Sie will verhindern, dass der Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall behandelt oder das öffentlich bekannt gibt. Es drohe ein nicht wiedergutzumachender Schaden im politischen Wettbewerb, argumentiert die AfD.
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Das Bundesamt gibt bei Gericht eine Stillhaltezusage ab. Als aber im März mehrere Medien darüber berichten, dass das Bundesamt für AfD als Verdachtsfall eingestuft hat, sieht das Gericht das als Vertrauensbruch. Es untersagt dem Bundesamt, bis zum Abschluss des Eilverfahrens die AfD als „Verdachtsfall“ einzustufen und eine Einstufung als Verdachtsfall erneut bekanntzugeben. Auch wenn dieser Beschluss nichts darüber aussagt, wie das Gericht in der Sache entscheiden wird, frohlockt damals die AfD.
In dieser Woche vor Gericht verhandelt werden nun vier Klageverfahren: Neben der Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall behandeln darf, klagt die AfD gegen die Einstufung des offiziell aufgelösten „Flügels“ um Björn Höcke als gesichert rechtsextremistische Bestrebung. Die AfD klagt gegen die Einschätzung des Verfassungsschutzes, der „Flügel“ habe 7000 Mitglieder. Und sie geht gegen die Einstufung der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ als Verdachtsfall vor.
Juristisch gesehen gibt es mehrere Knackpunkte. Um zu belegen, dass die AfD eine Bedrohung für die Demokratie darstellt, beruft sich das Bundesamt auf zahlreiche Einzeläußerungen von Parteifunktionären. Das Parteiprogramm der AfD ist im Vergleich eher harmlos. Vor Gericht muss das Bundesamt darlegen, warum die Aussagen trotzdem auf die gesamte Partei schließen lassen. Zudem ist die Frage, wie alt die Aussagen sein dürfen, um noch als relevant zu gelten.
Das Bundesamt hat aber auch nach der Fertigstellung des 1001-seitigen Gutachtens weitere Belege für die Radikalisierung der AfD gesammelt und dem Gericht auch zukommen lassen. Ein wichtiges Indiz bekam das Bundesamt im Januar auf dem Silbertablett serviert, als der langjährige Parteichef Jörg Meuthen seinen Parteiaustritt bekannt gab.
Meuthens Austritt stützt die Argumentation des BfV
Meuthen hatte zwar schon im vergangenen Jahr angekündigt, er werde beim kommenden Bundesparteitag nicht noch einmal als AfD-Vorsitzender antreten. Als er dann aber seinen Austritt verkündete, war das selbst für manche von Meuthens Verbündete eine Überraschung.
Bei seinem Austritt und auch in Interviews im Nachgang rechnete Meuthen mit der Partei ab. Er attestierte der Partei „totalitäre Anklänge“. Er habe seit Jahren „vor den Gefahren einer zunehmenden Radikalisierung“ gewarnt. Große Teile der Partei hätten sich für „einen immer radikaleren, nicht nur sprachlich enthemmten Kurs“ und „verbale Entgleisungen entschieden“.
So mancher ehemalige Parteikollege warf Meuthen daraufhin vor, ein „Feindzeuge“ zu sein. Die Argumente des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die Partei als rechtsextremen Verdachtsfall einzustufen, reichten auch ohne Meuthens Bruch mit der Partei aus, hieß es damals aus Sicherheitskreisen. Dennoch ist Meuthens Abgang der Argumentation des Bundesamtes zuträglich.
AfD solidarisierte sich mit Querdenker-Protesten
Tatsächlich gibt es eine Reihe weiterer Anzeichen dafür, dass sich die AfD im vergangenen Jahr weiter radikalisiert hat. Als Beispiel werden in Geheimdienstkreisen die Bürgerkriegsfantasien genannt, die in der Telegram-Chatgruppe „Alternative Nachrichtengruppe Bayern“ kursierten. Ihr gehörten AfD-Bundestags- und Landtagsabgeordnete an. Ein Funktionär beschrieb die Bundesrepublik als „Bananenland“ und kam zum Schluss, „ohne Umsturz und Revolution erreichen wir hier keinen Kurswechsel mehr“. Eine bayerische Landtagsabgeordnete schrieb: „Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden“.
Die AfD hat sich zudem immer wieder mit den Querdenker-Protesten solidarisiert. Diese stehen in Teilen ebenfalls im Visier des Verfassungsschutzes – im Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Die AfD hatte sich rhetorisch immer wieder der Bewegung angedient, indem sie etwa die Bundesrepublik als „Coronadiktatur“ verunglimpfte. Der Bundestagsabgeordnete Martin Sichert erklärte, die Regierung wolle mit 2G und 3G die Bürger mit „massivem Druck zu willigen Untertanen“ erziehen. Seine Fraktionskollegin Christina Baum sprach von Angstmache, Terror, Willkür und „Knechtschaft des Volkes“.
AfD gibt sich unbeeindruckt
Experten sehen außerdem den offiziell aufgelösten „Flügel“ um Björn Höcke weiter auf dem Vormarsch. Höcke als „Galionsfigur des rechten Flügels“ habe auf dem Dresdner Parteitag 2021 Beschlüsse herbeigeführt, welche die AfD weiter nach rechts rückten, meint etwa der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder. Damals hatte Höcke etwa dafür gesorgt, im Wahlprogramm der AfD die Forderung zu verankern, jeglichen Familiennachzug für Flüchtlinge abzulehnen.
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Die AfD gibt sich unterdessen unbeeindruckt. Die Strategie der Partei ist es, den Verfassungsschutz als „Elitenschutz“ oder „Regierungsschutz“ zu verunglimpfen und unglaubwürdig zu machen. Die Rede ist von einem „Schauprozess“ in Köln. Dass sich die bisherigen AfD-Anhänger vom Ausgang des Verfahrens beeinflussen lassen werden, wollen viele in der Partei nicht glauben. In Thüringen, wo die AfD mittlerweile als rechtsextremistische Bestrebung eingestuft ist, warb der Landesverband sogar mit dem Label „Verdächtig gut“.
Intern arbeitet die AfD zudem schon lange daran, ihre Mitglieder auf eine mögliche Beobachtung vorzubereiten. So können Beamte nicht pauschal wegen ihrer AfD-Mitgliedschaft ihren Job verlieren. Disziplinarverfahren müssen jeweils im Einzelfall begründet werden. Dennoch dürfte der Druck speziell auf Beamte in der AfD wachsen, sollte es zu der Einstufung als Verdachtsfall kommen.
Das Gericht will sich in jedem Fall genug Zeit nehmen: Die Verhandlung, die an diesem Dienstag beginnt, kann bei Bedarf am Mittwoch weitergeführt werden. Ob dann bereits eine Entscheidung fällt, ist unklar.