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Radikalisierer der AfD. Björn Höcke, Landeschef der Partei in Thüringen, gilt als Frontmann des angeblich aufgelösten "Flügel". Der Verfassungsschutz hat die Gruppierung als rechtsextrem eingestuft
© imago/Mauersberger

Verfassungsschutz über Radikalisierung der AfD: SA-Parole und Bürgerkriegsfantasien

Das Bundesamt für Verfassungsschutz bekräftigt mit Schriftsätzen die Einstufung der AfD als "Verdachtsfall". Das Verwaltungsgericht Köln wird bald entscheiden.

Es war Wahlkampf in Sachsen-Anhalt, Björn Höcke kam im Mai 2021 bei seiner Rede auf einer Kundgebung im Städtchen Merseburg richtig in Fahrt. Der Chef der Thüringer AfD und ihrer Landtagsfraktion bot die übliche Angstmache, die Deutschen würden zur Minderheit im eigenen Land, und zum Schluss die Naziparole "Alles für Deutschland". Das war einst der Wahlspruch der SA, der Schlägertruppe der Nazis, die schon vor der Machtergreifung 1933 Angst und Schrecken verbreitete.

Der Spruch bereitet der AfD nun reichlich Ärger. Die Staatsanwaltschaft Halle ermittelt gegen Höcke wegen des Verdachts, er habe eine verfassungsfeindliche Parole verwandt. Der Thüringer Landtag hob im November die Immunität des AfD-Abgeordneten aus. Und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bekam wieder einmal Munition.

Das BfV nennt Höckes Ausruf in Schriftsätzen an das Verwaltungsgericht Köln, mit denen die Notwendigkeit der Einstufung der AfD als "Verdachtsfall" wegen rechtsextremistischer Bestrebungen bekräftigt wird. Die SA-Parole ist da ein weiteres Indiz von vielen in den Schreiben an die Richter. Darüber hat zuerst der Rechercheverbund von "Süddeutscher Zeitung", WDR und NDR berichtet.

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Das BfV hatte im Februar 2021 auf der Basis eines Gutachtens mit 1001 Seiten die AfD als Verdachtsfall bewertet. Damit wäre die Beobachtung der gesamten Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln möglich, wie dem Einsatz von V-Leuten und der Überwachung von E-Mails. Doch die Kölner Richter stoppten schon eine Woche später das Bundesamt wegen einer Klage der AfD in einem Eilverfahren. Das Gericht will nun im kommenden März den Fall öffentlich verhandeln.

Das BfV nutzt die Zeit, um mit weiterem Material für die Richter nachzulegen. So wächst der Berg an Indizien für rechtsextreme Umtriebe in der Partei weiter. In der AfD scheint es nur wenige zu stören. Die Meldungen über fortschreitende Radikalisierung reißen nicht ab.

Die vom BfV bereits im März 2020 als rechtsextremistisch eingestufte AfD-Gruppierung "Der Flügel" hat trotz ihrer angeblichen Selbstauflösung offenbar noch an Einfluss gewonnen. Die Partei biedert sich auch bei fanatischen Coronaleugnern an, AfD-Leute rufen in sozialen Netzwerken zu nicht angemeldeten und damit rechtswidrigen Demonstrationen auf. Selbst Bürgerkriegsfantasien kursieren in der Partei.

Für Umsturz und Revolution

In den Schriftsätzen des BfV wird die Telegram-Chatgruppe "Alternative Nachrichtengruppe Bayern" erwähnt. Ihr gehörten Abgeordnete aus Bundestag und Landtag an. Im Dezember 2020 bezeichnete ein AfD-Funktionär die Bundesrepublik als "Bananenland" und nannte das demokratische System "korrupt" und "kriminell". Für den Mann gab es nur eine Lösung: „Ohne Umsturz und Revolution erreichen wir hier keinen Kurswechsel mehr.“ Wahlen „helfen ohnehin nicht mehr“. Die bayerische Landtagsabgeordnete Anne Cyron antwortete, „Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden.“ 

Trotz Rauswurf weiter dabei

Ein weiteres Indiz für die anhaltende Radikalisierung der AfD ist aus Sicht des BfV der Umgang in der Partei mit ehemaligen, radikalen Mitgliedern, die rausgeworfen wurden. So blieb Andreas Kalbitz, neben Höcke einst ein Wortführer der rechtsextremen AfD-Gruppierung "Flügel", auch nach seinem vom Parteivorstand erzwungenen Abgang Mitglied der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag. Kalbitz trat zudem im Bundestagswahlkampf der AfD als Redner auf.

Und Frank Pasemann, von 2017 bis 2021 Bundestagsabgeordneter, wurde sogar nach seinem Rauswurf aus der AfD im August 2020 als Direktkandidat für den Bundestagswahlkreis Magdeburg nominiert. Pasemann hatte unter anderem wegen rechtsextremer Entgleisungen die Partei verlassen müssen. Nach dem Urteil im Münchener NSU-Prozess im Juli 2018 hatte er von einem "Schauprozess" gesprochen, im selben Monat lud Pasemann zu einer Veranstaltung in Räumen einen Rechtsextremisten als Referenten ein.

Ex-AfD-Mann sah sich in permanentem Krieg mit Extremisten

Dem BfV kommt nun auch zugute, dass der Bundestagsabgeordnete Uwe Witt Ende Dezember die AfD-Fraktion wie auch die Partei wegen rechtsextremer Tendenzen verlassen hat. Vergangenen Dienstag sagte Witt in einem Video-Pressegespräch, weite Teile der AfD seien rechtsradikal. Witt, der sich selbst als "Gemäßigter" bezeichnet, fand es schwierig, "in einer Partei permanent Krieg zu führen".

Aus Sicht von Witt wird das Verwaltungsgericht Köln im März die "Sperre" gegen die Einstufung der AfD als Verdachtsfall aufheben müssen. Unter anderem wegen des Geredes in der bayerischen AfD-Chatgruppe über einen Bürgerkrieg.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz sagte am Donnerstag auf Anfrage des Tagesspiegels zu den neuen Schriftsätzen ans Verwaltungsgericht Köln, "wir bitten um Verständnis, dass sich das BfV aufgrund des laufenden Verfahrens und aus Respekt vor dem Gericht nicht zum Thema AfD äußert".

Aus der Partei gab es hingegen eine Stellungnahme. „Wir sind nicht Feinde, sondern Freunde und Beschützer der Verfassung", sagte Martin Hess, stellvertretender innenpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Überzogene oder intolerable Äußerungen einzelner Mitglieder dürften nicht der gesamten Partei zugerechnet werden. Wenn es "aus diesem Grund zur Beobachtung einer bedeutenden Oppositionspartei käme, würde ein massiver Schaden für unsere Demokratie entstehen“.

Unterdessen ist auf der Facebooks-Seite der AfD Sachsen-Anhalt das Video, in dem Björn Höcke die SA-Parole "Alles für Deutschland" ruft, immer noch abrufbar. Höcke selbst sieht allerdings nur einen "rhetorischen Dreiklang", da er bei der Rede auch "Alles für unsere Heimat" und "Alles für Sachsen-Anhalt" gesagt hat.

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