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Der italienische Premierminister Giuseppe Conte.
© AFP

Italien plant teilweise Öffnung ab 4. Mai: Conte nimmt mehr Ansteckungen in Kauf

Der Expertenrat der Regierung in Rom legt seine Pläne für das Wiederanfahren des Landes vor. Die italienischen Wirtschaftszahlen zeigen Richtung Abgrund.

Ausgerechnet am Tag des lang erwarteten EU-Gipfels blickt Italien etwas gelassener auf das virtuelle Treffen mit den Partnerregierungen. Nicht nur weil man inzwischen weiß, dass dort heute ohnedies keine großen Schritte zu erwarten sind: Rom ist seinerseits vom harten Nein für jede Lösung abgerückt, die nicht auf gemeinsame Finanzierung der Krise – die berüchtigten Coronabonds – abhebt.

Erstmals hatte Premier Giuseppe Conte am Dienstag klar gemacht, dass man auch Mittel aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) akzeptiere könne, nachdem dessen seit der Finanzkrise vor zehn Jahren berüchtigte Auflagen zum Sparzwang für Corona ausgesetzt werden sollen.

Zum Andern wird interessiert vermerkt, dass auch Europas Norden sich bewegt. „Merkel zeigt sich offen“ hieß es im Corriere della sera von Donnerstag mit Blick auf die Aussicht, dass die EU-Kommission für jene Schuldtitel einstehen könnte, die durch die Krise entstehen. Was, bisher ein weiteres Argument des EU-Südens gegen den ESM-Einsatz, verhindern würde, dass die Zinsen für ohnehin verschuldete Länder wie Italien ins Astronomische trieben. 

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Die Aussichten des Landes könnten nicht dramatischer sein. Neuesten offiziellen Berechnungen zufolge, über die sich am Donnerstagmorgen das Kabinett in Rom beugte, drohen Italien als Folge der Pandemie eine Steigerung seiner Schulden auf 155 bis 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das seinerseits, schon zuvor nicht üppig, um mindestens acht Prozent absacken dürfte. Allein der Knick des deutschen BIP werde zu einem Minus von elf Millarden Euro für italienische Exporte über die Alpen führen. 

Zu fürchten ist außerdem eine Arbeitslosenquote von 12,7 Prozent. Mit besonders hässlichen Folgen im Mezzogiorno, Italiens Süden werde zur „sozialen Bombe“ schrieb La repubblica auf seine Donnerstags-Titelseite und berichtete ein paar Seiten weiter über eine neue Umfrage unter jungen Europäerinnen und Europäern, die Italiens Ministerium für Familie und Gleichberechtigung in Auftrag gegeben hatte. Demnach sehen inzwischen 60 Prozent der 18- bis 34-Jährigen  – dabei 68 Prozent der Frauen – ihre Zukunft in Gefahr.

Ähnlich hoch ist der Pessimismus nur in Spanien. Während 14,2 Prozent der jungen Deutschen ihren Kinderwunsch für nicht realisierbar halten, sind es unter den italienischen Gleichaltrigen ganze 36,5 Prozent – das lasse für die künftige Geburtenziffer fürchten und eine demografische Unwucht, die „schon jetzt eine der weltweit schwerwiegendsten“ sei, schreibt das Blatt.  Dass die Jungen dermaßen schwarz sehen müssten, nehme dem Land auch die Energie für den Wiederaufbau und das Danach.

Regierung will - oder muss - mehr Ansteckungen in Kauf nehmen

Das soll angesichts des wirtschaftlichen Absturzes sehr bald beginnen. Am Mittwoch hat die von der Regierung beauftragte technisch-wissenschaftliche Arbeitsgruppe für die „Phase zwei“ ihre Vorschläge auf den Tisch des Premiers gelegt und, ungewöhnlich genug, vom Auftraggeber Conte Contra bekommen, der angesichts der alarmierenden Zahlen nicht erst das Drängen von Italiens Industriellen braucht.  „Wir müssen mit einem Wiederansteigen der Kurve rechnen, das scheint mir der Weg, diese nächste Phase anzugehen“, sagte Conte ohne große Umschweife bei einem Treffen mit Unternehmern und Gewerkschaften. 

Er zeigte Verständnis dafür, dass seine Fachleute den Ansteckungsfaktor R0-Wert, also die Ansteckungszahl pro Infiziertem, am liebsten auf Null bringen wollten, aber, so Conte: „Es ist klar, dass, um dieses Niveau zu erreichen und zu halten, Wirtschaft und Gesellschaft einen unerträglich hohen Preis kosten würde.“ So ist also noch unklar, was die Regierung tatsächlich von den Vorschlägen  umsetzen wird.

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Die Expertengruppe will vom 4. Mai an Bau- und verarbeitende Industrie wieder arbeiten lassen, dazu den mit ihnen verbundenen Handel. 

Die Stadt verlassen, aber noch nicht die Region

Damit würden 2,8 Millionen Menschen die Arbeit wieder aufnehmen  - und Busse und Bahnen bevölkern. Die sollen die Zahl der Plätze um mindestens die Hälfte reduzieren, auch Tickets für Regionalzüge müssten vorab gebucht, an den Bushaltestellen und Metrostationen Abstände kontrolliert werden. Contes Fachleute rechnen damit, dass überhaupt nur noch 15 Prozent aller Pendler öffentliche Verkehrsmittel nutzen würden, die übrigen ins Auto oder aufs Rad steigen würden. Einige große Städte wie Mailand und Rom scheinen erstmals wirkliche Radnetze knüpfen zu wollen. 

Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich ab 4. Mai wieder über die eigene Stadt oder das Dorf hinaus bewegen dürfen, von Region zu Region aber vorerst nicht.

Im nächstes Schritt sollten Restaurants und Bars wieder öffnen, vermutlich ab Mitte Mai – freilich mit großer Vorsicht, Hygienevorschriften und wohl nur noch mit der Hälfte der Plätze. Ins Kino zu gehen sollte ab Sommerbeginn wieder möglich sein – aber nur im Freien. Ende des Jahres erst soll die „Phase 3“ beginnen: das Leben wie vor Corona.  

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