Klimaschutz: CO2-Ausstoß jedes Jahrzehnt halbieren
Würde die Weltwirtschaft einem Kohlenstoff-Gesetz folgen, wie in der Computerindustrie dem Moore'schen Gesetz, könnte das Pariser Klimaziel noch ohne Geoengineering eingehalten werden, schreibt Hans-Joachim Schellnhuber in "Science".
Um die globale Erhitzung unter Kontrolle und unter zwei Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung zu halten, braucht es ein „Kohlenstoff-Gesetz“, das wie das Moore’sche Gesetz in der Computertechnik, funktionieren müsste. Das schreiben die beiden Deutschen Umweltpreisträger Johan Rockström und Hans-Joachim Schellnhuber gemeinsam mit vier weiteren Autoren in einem Aufsatz im Wissenschaftsmagazin „Science“.
Gordon Moore, einer der Gründer von Intel, stellte 1965 fest, dass sich die Leistung eines Computer-Chips alle zwei Jahre verdoppelte. Dieses Moore’sche Gesetz hat seine Gültigkeit 50 Jahre lang bewiesen. In der Computerindustrie verdoppelte sich die Leistung seither im Zwei-Jahres-Rhythmus, verkleinerte sich der Materialeinsatz und sanken die Kosten nicht linear sondern exponentiell.
Übertragen auf die Klimapolitik würde das nach Rockström und Schellnhuber bedeuten, dass die globalen Treibhausgasemissionen jedes Jahrzehnt um die Hälfte sinken würden. 2050 wären es demnach noch fünf Milliarden Tonnen Kohlendioxid (CO2). Diese Menge würde durch fünf Milliarden Tonnen CO2 kompensiert, die aus der Atmosphäre entfernt würden. Die Autoren wollen das mit Hilfe von Biomasse erreichen, bei deren Verbrennung das CO2 eingefangen und unter die Erde verpresst würde. Die Abkürzung dafür heißt BECCS (Bio-energy with Carbon Capture and Storage). Zugleich müsste die Entwaldungsrate ebenfalls jedes Jahrzehnt halbiert werden.
Selbstverstärkende Stabilisierung
Der Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans-Joachim Schellnhuber, sagte dem Tagesspiegel: „Wir zeigen, wie man das Kartenspiel gewinnen kann.“ Damit meint er eine vollständige Befreiung der Weltwirtschaft von Treibhausgasemissionen bis 2050. Gelänge es, die Weltwirtschaft auf einen Pfad zu bringen, der das „Kohlenstoff-Gesetz“ in Gang bringen könnte, dann lehre das Moore’sche Gesetz, „dass eine selbstverstärkende Stabilisierung der so ausgelösten Dekarbonisierungs-Dynamik greifen kann".
Schellnhuber macht sich keine Illusionen darüber, „dass nicht jeder Trumpf sticht, wenn man ihn bräuchte“. Vor allem befürchtet er, dass die „'Idioten'-Entscheidungen, bei denen es idiotisch wäre, sie nicht zu treffen“, womöglich nicht bis 2020 bereits durchgesetzt sein könnten. Damit meint er die Abschaffung von Subventionen für Kohle, Öl und Gas sowie die Etablierung nationaler oder internationaler Kohlendioxid-Preise in einer Höhe, die Klimaschutzinvestitionen lohnend machen. Dennoch ist ihm wichtig, dass er und seine Mitautoren mit der Studie zeigen konnten, „dass das Zwei-Grad-Ziel auch ohne Phantasien aus dem Bereich des Geoengineering noch zu schaffen ist“. CO2-Entfernungstechnologien wie BECCS würden allerdings gebraucht, um die Welt auf einen 1,5-Grad-Kurs zu bringen.
Wie soll das Kohlenstoff-Gesetz im Detail funktionieren?
Um das Pariser Klimaziel zu erreichen braucht es nach Einschätzung von sechs prominenten Klimaforschern vier Zutaten: Innovation, Institutionen, Infrastrukturen und Investitionen. Die Autoren sind aus drei Gründen optimistisch, dass sich die Weltwirtschaft bis 2020 in die aus Klimasicht richtige Richtung entwickeln könnte: Zum einen hat sich die installierte Leistung erneuerbarer Energien – Windräder, Solaranlagen, Wasserkraftwerke – in den vergangenen elf Jahren jeweils in fünfeinhalb Jahren verdoppelt. Das wäre bereits das Tempo, das notwendig wäre, um das Energiesystem bis 2050 vollständig von Treibhausgasen zu befreien.
Zum zweiten ist die Kohlenachfrage Chinas innerhalb von zwei Jahren von plus 3,7 Prozent im Jahr 2013 auf minus 3,7 Prozent im Jahre 2015 gefallen. Und erst vor wenigen Tagen gab die Internationale Energieagentur (IEA) bekannt, dass die globalen Treibhausgasemissionen im dritten Jahr in Folge stagniert haben. Die Autoren sind – wie auch die IEA und die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (Irena) in einer am Montag vorgelegten Studie – der Auffassung, dass der globale Höchststand bei den Treibhausgasemissionen spätestens 2020 erreicht sein muss. Danach muss der CO2-Ausstoß dramatisch sinken.
2020 muss der Höchststand der CO2-Emissionen erreicht sein
Die Autoren rechnen nun folgendermaßen: Wenn die Welt-Treibhausgasemissionen 2020 mit 40 Milliarden Tonnen CO2 ihren Höchststand erreichen, müssen sie sich in jedem folgenden Jahrzehnt halbieren. 2030 wären es dann 20 Milliarden Tonnen CO2, 2040 zehn Milliarden und 2050 fünf Milliarden Tonnen CO2. Die Treibhausgasemissionen, die durch Entwaldung, die Entwässerung von Mooren und andere Landnutzungsänderungen entstehen – im Fachjargon LuLuCF (Land use Land use change and forests) – lägen demnach 2020 bei vier Milliarden Tonnen CO2, sie würden sich bis 2030 auf zwei Milliarden Tonnen halbieren, bis 2040 auf eine Milliarde Tonnen und 2050 auf 0,5 Milliarden Tonnen. Zugleich würde der durch CO2-Entfernungstechnologien (BECCS) aus der Atmosphäre entnommene Anteil von Null im Jahr 2020 auf 0,5 Milliarden Tonnen 2030 und 2,5 Milliarden Tonne 2040 schließlich auf fünf Milliarden Tonnen 2050 erhöhen.
Subventionen für fossile Energien sofort streichen
Wie die Welt dahin kommen könnte, beschreiben die Autoren mit den oben bereits genannten vier Zutaten. Das schnelle Ausbautempo erneuerbarer Energien würde in kurzer Folge Innovationen anregen, die das Energiesystem noch schneller CO2-frei machen könnten. Die Institutionen braucht es, um bis 2020 die Subventionen für fossile Energien weltweit abzuschaffen. Die Gruppe der sieben größten Ökonomien (G7) hat 2016 beschlossen, das bis 2025 umzusetzen. Allerdings gibt es zwischen den G-7-Staaten keine einheitliche Definition, was eine schädliche Subvention fossiler Energien ist. Das deutsche Finanzministerium beispielsweise hält die zwei größten Subventionen in Deutschland – die Kerosin-Steuerbefreiung und die Diesel-Steuerminderung – nicht für Subventionen und führt sie im Subventionsbericht auch nicht auf. Aber die Autoren meinen mit Subventionen für fossile Energien all diese Begünstigungen, die von Fall zu Fall eben auch nicht als Subvention betrachtet werden.
CO2-Preis beginnt mit 50 Dollar pro Tonne im Jahr 2020
Von 2020 an müsste es einen CO2-Preis geben, der weltweit bei 50 Dollar pro Tonne CO2 liegen müsste. Ob er als Steuer oder als Zertifikatspreis in einem Emissionshandelssystem erhoben würde, bliebe jedem Staat selbst überlassen. Aber auf diese Höhe müssten sie sich einigen, um die Kohlekraftwerke und die Kohleförderung spätestens in den Mitt-2030er Jahren aus den Märkten gedrängt zu haben. Der CO2-Preis stiege kontinuierlich, bis er 2050 dann 400 Dollar pro Tonne CO2 erreichen würde. Das würde Energieeffizienzinvestitionen im großen Stil wirtschaftlich machen. Und es würde die hohen Kosten für die Kohlenstoff-Verpressung ebenfalls in die Nähe der Wirtschaftlichkeit rücken.
In den 2030er Jahren würde Kohle aus dem Energiemix der Welt verschwinden. Neubauten müssten bis dahin kohlenstoffneutral oder sogar Kohlenstoffsenken werden. Dafür müsste kohlenstoffneutraler Zement und Stahl verbaut werden, und würde mehr Holz verbaut, würde darin Kohlendioxid auf lange Zeit gespeichert. Bis 2030 erwarten die Autoren, dass eine Vielzahl von Großstädten nicht mehr Kohlendioxid emittiert, als von den Stadtbäumen aufgenommen werden kann. Zudem beginnt BECCS im größeren Stil eine Rolle zu spielen.
In den 2040er Jahren erwarten die Autoren das Ende von Erdöl im Energiemix. Europa hätte bis dahin im besten Fall bereits Klimaneutralität erreicht. Die anderen Kontinente würde am Ende der Dekade ebenfalls bei Null Treibhausgasemissionen angelangt sein. 2050 wäre die Weltwirtschaft dann klimaneutral. Würde dieses Ziel erreicht, würde eine Deutlich-unter-zwei-Grad-Welt mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent erreicht, schreiben die Klimaforscher in ihrer Studie.
Wer sind die Autoren?
Johan Rockström, Chef des Stockholm Resillience Centers an der Universität Stockholm, hat das Konzept der planetaren Grenzen entworfen. Das Klimasystem gehört zu den zwei Systemen, die diese Grenzen bereits erreicht oder überschritten haben. Er tat sich für die am späten Donnerstag Abend im Fachmagazin „Science“ veröffentlichte Studie mit dem Gründungsdirektor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Hans-Joachim Schellnhuber, zusammen, der von Bundeskanzlerin Angela Merkel bis zum Papst schon nahezu alle in Klimafragen beraten hat. Nebojsa Nakicenovic ist Vize-Chef des Wiener International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA), sein Kollege Joeri Rogelj arbeitet ebenfalls am IIASA, Owen Gaffney von Future Earth in Stockholm und Malte Meinshausen, früher PIK, heute Australian-German Climate and Energy College, School of Earth Sciences, University of Melbourne, komplettieren das Autorenteam.