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Die Energiewende ist weltweit bereits im Gang. Aber noch nicht schnell genug, um die Klimaziele von Paris zu erreichen.
© Julian Strate/picture-alliance/dpa

Energiewende: Energieagenturen fordern sofortiges Handeln

Um die Pariser Klimaziele einzuhalten, muss der Kohleausstieg bis 2050 bewältigt sein. Noch lasse sich die globale Erhitzung auch ohne riskante Technologien aufhalten, schreiben die Energieagenturen IEA und Irena.

Noch ist es möglich, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Um die Welt mit einer Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit unter einer Erhitzung um zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten, braucht es allerdings sofort weitreichende Entscheidungen der Politik, der Wirtschaft und von privaten Investoren. Das ist das Ergebnis der ersten gemeinsamen Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) und der Internationalen Agentur für erneuerbare Energien (Irena), die an diesem Montag beim Berliner Energiewendedialog im Auswärtigen Amt vorgestellt wird.

Fatih Birol, der Chef der IEA, und Adnan Amin, der Irena seit ihrer Gründung führt, sind noch nie gemeinsam als Studienautoren aufgetreten. Im Auftrag der deutschen G-20-Präsidentschaft haben die beiden ihre Expertise nun gemeinsam eingesetzt, um zu zeigen, wie die Welt es noch schaffen kann, die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise zu vermeiden, ohne auf riskante Technologien setzen zu müssen, mit denen Kohlendioxid (CO2) wieder aus der Atmosphäre entfernt wird.

Hermann Scheer würde sich die Augen reiben

Wäre der frühere SPD-Bundesabgeordnete und Kämpfer für die Solarenergie Hermann Scheer noch am Leben, er würde sich vor Verwunderung die Augen reiben. Denn die Gründung von Irena als Gegen-Agentur zur IEA geht auf seine langjährige Lobbykampagne zurück. Doch obwohl beide Agenturen mit unterschiedlichen Mitteln zum Ziel kommen, haben sie in der nun vorgelegten Studie einige Gemeinsamkeiten herausgearbeitet. Das IEA- wie das Irena-Szenario verzichten auf Technologien wie die Abscheidung und unterirdische Verpressung von CO2 (Carbon Capture and Storage, CCS), das bei der Verbrennung von Biomasse entsteht. Mit dieser als BECCs abgekürzten Methode hat der Weltklimarat (IPCC) in seinem jüngsten Sachstandsbericht das Überschießen der Zwei-Grad-Grenze wieder in den Griff bekommen wollen.

Wind und Sonne spielen 2050 die Hauptrolle

Beide Agenturen sind sich einig, dass das Stromsystem 2050 vor allem auf den Säulen Wind und Sonne ruhen wird. Irena will den Energiebedarf 2050 beim Strom zu 90 Prozent mit erneuerbaren Energien und einer massiv verbesserten Energieeffizienz decken. Beide Szenarien erwarten einen Strombedarf wie 2015, was nur möglich ist, wenn der Energieeinsatz weltweit um ein Vielfaches effizienter wird. Bei Irena kommt CCS lediglich zum Einsatz, um in der Industrieproduktion die notwendige CO2-Minderung auf Null zu erreichen. Die IEA will CCS in größerem Stil einsetzen, um den Totalverlust von Investitionen in fossile Energien bis 2050 möglichst gering zu halten. Die IEA rechnet damit, dass bis 2050 rund 320 Milliarden US-Dollar in dieser Weise fehlinvestiert werden könnten. Die IEA will zudem den Anteil der Atomenergie auf dem Niveau von 2016 belassen, und zählt sowohl Kernkraft wie CCS zu den gering kohlenstoffhaltigen Energieoptionen.

Im Irena-Szenario müsste die Welt bis 2050 rund 0,4 Prozent der Weltwirtschaftsleistung zusätzlich in den Aufbau klimafreundlicher Energieinfrastrukturen stecken, um bis 2100 die im Pariser Klimaabkommen angestrebte Klimaneutralität zu erreichen. Bis dahin soll nicht mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen als Ozeane und Vegetation aufnehmen können. Im IEA-Szenario liegt die zusätzliche Investitionssumme bei rund 0,3 Prozent der Weltwirtschaftsleistung.

Der CO2-Preis müsste bei 190 Dollar pro Tonne liegen

Beide Agenturen plädieren dringend dafür, sofort mit dem globalen Umbau zu beginnen. Die 20 größten Volkswirtschaften G20, die im Juli bei ihrem Gipfel in Hamburg nach dem Willen der deutschen Präsidentschaft auch Wege zur Umsetzung der Pariser Klimaziele beraten sollen, um die Stabilität der Weltwirtschaft mittelfristig nicht zu gefährden, spielen nach Einschätzung der Agenturen dabei eine Schlüsselrolle. Die IEA drängt darauf, sofort Subventionen für fossile Energien abzuschaffen und zudem einen globalen CO2-Preis von mindestens 190 Dollar pro Tonne CO2 anzustreben. Im Europäischen Emissionshandel liegt der CO2-Preis gerade mal bei etwa fünf Euro.

Beide Agenturen gehen davon aus, dass der Kohleausstieg global bis 2050 abgeschlossen sein muss, um die Klimaziele einzuhalten. Der Höhepunkt der globalen Treibhausgasemissionen muss nach IEA-Einschätzung vor 2020 erreicht sein. In den vergangenen drei Jahren von 2014 bis 2016 ging er zumindest nicht mehr nach oben. Allerdings ist sich Fatih Birol noch nicht sicher, ob das bereits die Trendumkehr ist, die für das Klima so dringend nötig wäre.

Wie kann Deutschland das Klimaziel erreichen?

Wie Deutschland seinen Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele leisten könnte, haben das Öko-Institut und das Prognos-Institut im Auftrag der Umweltstiftung WWF vor kurzem in einer Studie nagezeichnet. Auch die 135 Seiten starke Studie „Zukunft Stromsystem. Kohleausstieg 2035“ hat als Bezugsgröße die Zielsetzung des Pariser Klimaabkommens vom Dezember 2015. Um mit einer Wahrscheinlichkeit von 66 Prozent unter einer globalen Erwärmung von zwei Grad im Vergleich um Beginn der Industrialisierung zu bleiben, darf die Welt nicht mehr als etwa 890 Milliarden Tonnen Kohlendioxid (CO2) seit 2015 in der Atmosphäre ablagern. Diesen Wert nehmen auch IEA und Irena in ihren Szenarien an. Felix Matthes und Charlotte Lorek vom Öko-Institut sowie Frank Peter und Inka Ziegenhaben von Prognos haben einen „fairen deutschen Anteil“ von diesem Globalbudget von 9,9 Milliarden Tonnen CO2 errechnet. Sie schlagen Deutschland damit etwa 1,1 Prozent des noch verfügbaren CO2-Budgets zu.

Matthes begründete das mit einer Zuteilungsvariante, die nur die noch beeinflussbaren Emissionen berücksichtigt, aber neben er Bevölkerungszahl auch in geringem Umfang die Leistungsfähigkeit Deutschlands berücksichtigt. Hätten sie die historischen Emissionen berücksichtigt, „hätte Deutschland schon Mitte der 1970er Jahre dekarbonisiert sein müssen“, sagte Matthes. Damit ist der Umbau des Stromsystems gemeint, an dessen Ende keine weiteren Treibhausgasemissionen mehr stehen.

Aus diesem deutschen Budget stehen der Energiewirtschaft etwa 40 Prozent zu. Haushalte und Verkehr kommen gemeinsam auf ein ähnliches Emissionsniveau wie die Stromwirtschaft, deren CO2-Bilanz sich „seit Mitte der 1990er Jahre nicht verbessert hat“, sagt Matthes. Das wären etwa vier Milliarden Tonnen CO2, die „2026 aufgebraucht wären, wenn nicht schnell weitere Kohlekraftwerke vom Netz gehen“, heißt es in der Studie.

Vier Varianten für den Kohleausstieg

Die Verfasser haben vier Varianten für den Kohleausstieg verglichen und mit Hilfe ihres Strommarktmodells die Auswirkungen auf die Sicherheit der Stromversorgung, den CO2-Ausstoß und den Strompreis untersucht. Aus ihrer Sicht ist die Variante, schnell von 2019 an die ältesten vor allem Braunkohlekraftwerke vom Netz zu nehmen, und dann über ein Kapazitätsmanagement der jüngeren Kohlekraftwerke bis 2035 alle Braun- und Steinkohlekraftwerke stillzulegen. Das sei möglich, ohne Schadenersatzansprüche an den Staat auszulösen. Denn bis auf eine Ausnahme, das jüngste Kohlkraftwerk Datteln 4, das erst 2015 ans Netz gegangen ist, könnten alle Kohlekraftwerke rund 30 Jahre lang betrieben werden.

Der etwas langsamere Kohleausstieg – die Grünen wollen ihn bis 2025 geschafft haben – ermögliche auch eine etwas langsamere Anpassung der besonders betroffenen Kohleregionen, argumentiert Matthes. Von 2025 müssten weitere Gasturbinen bereit stehen, um die Versorgungssicherheit auch an Tagen wie diesen, wenn kaum Wind weht und die Sonne nur örtlich durch den Nebel durchkommt, zu sichern. Matthes und Peter haben den Ausstiegspfad aber so angelegt, dass die Kohle nicht in großem Umfang durch Gas ersetzt wird, denn die hat zwar einen geringeren CO2-Ausstoß, belastet die Atmosphäre aber dennoch weiter.

Das Umweltbundesamt (UBA) hatte am Montag eine Studie vorgelegt, die ebenfalls einen schnellen Einstieg in den Kohleausstieg fordert. Die UBA-Studie hat sich mehr auf die möglichen Instrumente zum Kohleausstieg konzentriert. Mit allen vom UBA berechneten Optionen ließe sich der Klimaschutzplan 2050 erfüllen, der vorsieht, die Treibhausgasemissionen aus der Energiewirtschaft bis 2030 um 61 bis 62 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken.  Matthes bezeichnete den Vorschlag des Vizekanzlers Sigmar Gabriel (SPD), der am Wochenende gesagt hatte, erst müssten die neuen Arbeitsplätze da sein, dann könne man 2030 mal gucken, als eine „irre Idee“. Denn das führe für den Aufbau der neuen Strukturen „zu maximaler Unsicherheit“ und damit wohl kaum zu neuen Jobs.

Schon in der vergangenen Woche hatte der Berliner Thinktank Agora Energiewende eine Studie mit einem Kostenvergleich eines fossilen beziehungsweise erneuerbaren Stromsystems 2050 vorgelegt. Das wichtigste Ergebnis der Studie war, dass ein Stromsystem auf der Basis erneuerbarer Energien in fast jeder Variante die billigste Möglichkeit sein dürfte, das Klimaziel zu erreichen. Jedenfalls dann, wenn der Preis für die Tonne CO2 etwa 50 Euro oder mehr beträgt.

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