US-Wahlen: Clintons Gesundheit beherrscht den Wahlkampf
Schon in knapp acht Wochen wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Nun macht der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton eine Lungenentzündung zu schaffen. Welche Folgen könnte dies haben? Eine Analyse.
Sie lehnt leicht schwankend an einem Absperrpoller auf dem Bürgersteig, während ein schwarzer Kleinbus heranrauscht und vor ihr hält. Dann knickt sie in den Knien ein, wird von Leibwächtern unter den Armen gepackt und zu ihrem Sitz geschleift: Nur 20 Sekunden dauert die Szene, die seit Sonntag die politische Diskussion in den USA bestimmt und die den Traum von Hillary Clinton vom Einzug ins Weiße Haus nachhaltig erschüttern könnte. Nach ihrem Schwächeanfall in New York ist die Kandidatin der Demokraten nicht nur gesundheitlich angeschlagen.
Wie geht es Hillary Clinton?
Clinton hatte am Sonntagmorgen die Gedenkfeier für die Opfer der Al-Qaida-Anschläge vom 11. September 2001 in New York plötzlich verlassen. Ihre Wahlkampfmanager erklärten, die 68-Jährige habe sich „überhitzt“ gefühlt und sich in die Wohnung ihrer Tochter Chelsea in Manhattan zurückgezogen. Zwei Stunden später trat Clinton lächelnd und scheinbar völlig wiederhergestellt aus dem Apartmenthaus und erklärte, sie fühle sich wohl. „Es ist ein herrlicher Tag in New York.“ Doch wie sich später herausstellte, war das nur Theater. Als das Video mit der Szene vor dem Kleinbus im Internet auftauchte, verbreitete das Wahlkampfteam Clintons eine weitere Erklärung, in der es fast nebenbei hieß, bei der Politikerin sei schon vergangenen Freitag eine Lungenentzündung festgestellt worden. Clinton sagte eine zweitägige Wahlkampfreise nach Kalifornien ab und erholt sich im Familiensitz der Clintons in Chappaqua im Bundesstaat New York.
Was bedeutet die Erkrankung für Clintons Wahlkampf?
Am Montag griff Clinton lediglich über Twitter in den Wahlkampf ein und attackierte Trump wegen verdächtiger Zahlungen von dessen Stiftung. Doch eigentlich wäre ihre volle Präsenz im Kampfgetümmel weniger als zwei Monate vor der Wahl am 8. November für ihre Ambitionen bitter nötig. Die Kandidatin war bereits im August über lange Strecken abgetaucht, während Trump das Geschehen im Wahlkampf und in den Medien beherrschte. Vergangene Woche geriet sie erneut wegen der Nutzung eines privaten Mail-Servers in ihrer Zeit als Außenministerin unter Druck und zog weitere Kritik auf sich, indem sie die Hälfte der Trump-Anhänger als rassistisch, sexistisch und fremdenfeindlich beschimpfte.
Der Populist und republikanische Kandidat, der Anfang August bis zu zehn Prozentpunkte hinter Clinton gelegen hatte, hat in den Umfragen aufgeholt und liegt nun in einigen Befragungen mit der Demokratin gleichauf.
Donald Trump und seine Helfer streuen bereits seit Monaten Gerüchte über den angeblich schlechten Gesundheitszustand der Konkurrentin. Das Präsidentenamt ist ein Knochenjob mit Dauerstress und chronischem Schlafmangel, der einem Politiker alles abverlangt.
Bisher hatte Clinton, die 2012 nach einem Sturz eine Gehirnerschütterung erlitten hatte, diese Vorwürfe als lächerlich zurückgewiesen. Auch ein kürzlicher Hustenanfall während eines Wahlkampfauftritts wurde als nichtssagend abgetan. Jetzt wird ihr Gesundheitszustand zum beherrschenden Wahlkampfthema, zumal die merkwürdige Informationspolitik ihres Teams erneut einen Hang zur Geheimnistuerei offenbarte. Selbst Teile ihres Teams wurden Presseberichten zufolge nicht über die Wahrheit informiert. Laut Umfragen sind viele Amerikaner der Ansicht, dass sie Clinton nicht trauen können.
Was wäre, wenn Clinton aus dem Rennen um das Weiße Haus aussteigen müsste?
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass Clinton ihre Präsidentschaftskandidatur aufgeben könnte. Die ehemalige First Lady, Senatorin und Außenministerin hat bereits viele schwere Rückschläge einstecken müssen, nicht zuletzt die Affäre ihres Mannes Bill mit einer Praktikantin während dessen Amtszeit als Präsident im Jahr 1998, und die Niederlage gegen Barack Obama bei ihrer ersten Präsidentschaftskandidatur vor acht Jahren. Diese Erfahrungen haben Hillary Clinton zu einer Kämpferin gemacht. Außerdem könnte die Kandidatin bei richtiger Behandlung die Lungenentzündung relativ rasch überwinden. Auch Trump sagte am Montag im Sender Fox, er glaube nicht, dass die Demokraten nun einen anderen Kandidaten präsentieren würden.
Sollte Clintons Gesundheit entgegen allen Erwartungen doch einen Rückzug aus dem Rennen erzwingen, würde die Bewerbung nicht automatisch ihrem politischen Partner und Bewerber um das Amt des Vizepräsidenten, Tim Kaine, zufallen. Dieser ist vom Parteitag der Demokraten ausdrücklich als Vize nominiert. Sollte Clinton aufgeben, müsste der Vorstand der Demokratischen Partei einen neuen Kandidaten bestimmen. Je näher der Wechsel am Wahltag liegt, desto schwieriger wäre es, den neuen Bewerber oder die neue Bewerberin in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und den neuen Namen auf die Wahlzettel zu bekommen.
Hat es Ähnliches in der Geschichte der USA schon mal gegeben?
Für den Ausfall eines bereits nominierten Präsidentschaftskandidaten gibt es bisher keinen Präzedenzfall; der 1963 erschossene Robert Kennedy bewarb sich zur Zeit seiner Ermordung zwar um die Kandidatur der Demokraten, war aber noch nicht nominiert. Zwischen Wahlsieg und Amtsantritt ist ebenfalls bisher noch kein Politiker amtsunfähig geworden. Präsident Henry Harrison starb 1841 nur einen Monat nach Amtsbeginn, an Lungenentzündung.
Von etlichen Kandidaten und Präsidenten ist jedoch bekannt, dass sie schwere Krankheiten verheimlichten. Präsident Woodrow Wilson erlitt im Amt kurz nach dem Ersten Weltkrieg einen schweren Schlaganfall, was geheim gehalten wurde: Bis zum Ende seiner Amtszeit anderthalb Jahre später wurden die Amtsgeschäfte von Wilsons Frau Edith geführt. Franklin D. Roosevelt verheimlichte ein Herzleiden, das ihn 1945 tötete. Einer der beliebtesten Präsidenten des 20. Jahrhunderts, John F. Kennedy, ließ die Öffentlichkeit über ein Rückenleiden und die regelmäßige Einnahme vieler starker Medikamente im Dunkeln.
Wie steht es mit Trumps Gesundheit?
Clintons Lungenentzündung erhöht den Druck auch auf den 70-jährigen Trump, ein Gesundheitszeugnis zu veröffentlichen. Im Fall eines Wahlsieges wäre der Milliardär der älteste ins Amt kommende US-Präsident. Dennoch hatte der Unternehmer seinen Arzt bisher nur ein eilig verfasstes, wenige Zeilen langes Schreiben vorlegen lassen. In dem es hieß, Trump sei kerngesund. Nun kündigte der Kandidat die Veröffentlichung medizinischer Untersuchungsergebnisse an. Am Donnerstag will er mit dem Fernseharzt Mehmet Oz über seine Gesundheit und seinen Lebensstil sprechen. Von Trump ist bekannt, dass er sich häufig von Fastfood ernährt.
Ob man den von Trump präsentierten Testresultaten trauen kann, ist unsicher. Bei der Wahl vor acht Jahren plädierte eine Gruppe von Ärzten dafür, die Präsidentschafts- und Vizepräsidentschaftskandidaten unabhängigen medizinischen Untersuchungen zu unterziehen. Daraus ist nichts geworden.
Inwiefern kommt die Situation dem Wahlkampf von Trump zugute?
Nach Clintons Schwächeanfall deutete Trump erneut an, Clinton verheimliche etwas. „Irgendwas läuft da, aber ich hoffe, sie erholt sich“, sagte er am Montag. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er die Episode im Wahlkampf ausschlachten will: „Ich denke, es ist ein Thema“, sagte er. Trump dürfte nun verstärkt versuchen, Zweifel an der Amtsfähigkeit Clintons zu streuen.
Bei Aussagen über Hillary Clintons Privatsphäre riskiert Trump jedoch, noch mehr gemäßigte Wähler abzuschrecken. In den vergangenen Monaten hatte er Wechselwähler und Republikaner aus der politischen Mitte schon mit populistischer Kritik an Muslimen und Einwanderern sowie abfälligen Bemerkungen über Frauen verprellt.