15. Jahrestag der Anschläge vom 11. September: Welche Rolle spielte Saudi-Arabien für 9/11?
Heute vor 15 Jahren griff das Terrornetzwerk Al Qaida die USA an. Seitdem fragen sich die Amerikaner, ob es eine „Saudi Connection“ gab. Jetzt wurden geheime Unterlagen dazu veröffentlicht.
Bei den Terroranschlägen auf die USA am 11. September 2001 starben 2996 Menschen, darunter elf Deutsche. 14 der 19 Attentäter, die vier Flugzeuge entführten und zum Angriff auf das World Trade Center in New York sowie das Pentagon in Washington D. C. missbrauchten, waren saudische Staatsbürger. Auch Osama bin Laden, das Gesicht des Terrornetzwerks Al Qaida, war Saudi. Lässt sich daraus ableiten, dass das saudische Königreich, offiziell ein Verbündeter der USA, hinter dem Anschlag steckte?
Diese Frage bewegte Amerika, als die Trümmer an Ground Zero noch rauchten. Und sie bewegt die USA am 15. Jahrestag erneut. Gibt es vielleicht sogar eine Beweiskette, die die US-Regierung der Öffentlichkeit verschweigen wollte, um einen Verbündeten zu schützen? Eine Beweiskette, die bis tief in die saudische Herrscherfamilie reicht und deren Verwicklung in den wohl folgenreichsten Terroranschlag der letzten Jahrzehnte belegt?
Geheimhaltung gab Verschwörungstheorien Nahrung
Im Dezember 2002 veröffentlichten das US-Repräsentantenhaus und der Senat ihren gemeinsamen Untersuchungsbericht zu 9/11. Präsident George W. Bush ließ jedoch die Passagen, die die Indizien für eine „Saudi Connection“, aber auch die Grenzen dieser Beweisführung diskutieren, als „vertraulich“ einstufen. Die Öffentlichkeit bekommt sie nun erst zu sehen, anderthalb Jahrzehnte nach 9/11. Bekannt wurden sie unter dem Namen „Die 28 Seiten“. Auch andere Unterlagen wurden in den jüngsten Monaten freigegeben, darunter Protokolle der Verhöre saudischer Ex-Diplomaten für die „9/11 Kommission“, die bisher in den „National Archives“ unter Verschluss waren.
Die lange Geheimhaltung von Passagen des Kongress-Berichts gab Verschwörungstheorien Nahrung. Bush hatte eine enge Beziehung zu Prinz Bandar bin Sultan, dem „ewigen“ und enorm einflussreichen saudischen Botschafter in den USA. Bandar war 22 Jahre in Washington auf Posten, von 1983 bis 2005; danach wurde er Chef des nationalen Sicherheitsrats. Lange vor der Präsidentschaft hatte Bush seine Aktivitäten im Ölgeschäft, voran die Arbusto Energy in Midland, Texas, mit saudischem Kapital finanziert.
Obama warnt vor Konfrontation
Im Juli hat der Geheimdienstausschuss des Kongresses „Die 28 Seiten“ für die Öffentlichkeit freigegeben; einige Stellen bleiben freilich geschwärzt.
Eine Überraschung von vielen: Statt 28 sind es tatsächlich 29 Seiten. Prompt leben all die Hoffnungen und Zweifel, die sich auf den Inhalt richten, wieder auf. Opfer der Anschläge von 9/11 und deren Anwälte hofften schon lange, dass die Inhalte als Grundlage dienen können, um die saudische Regierung auf Schadensersatz zu verklagen. Es gab sogar Anläufe, ein Gesetz zu erlassen, das Opfern Schadensersatzklagen gegen Regierungen erleichtert, die im Verdacht stehen, den Terrorismus zu unterstützen.
Präsident Barack Obama und seine Regierung warnen seit Monaten vor solchen Schritten. Die USA könnten dann Gegenklagen auf sich ziehen. Obamas Besuch in Saudi-Arabien im April begleiteten Drohungen, die Saudis würden Investitionen abziehen, wenn die Bemühungen um Klagemöglichkeiten weiter verfolgt würden. Die Skeptiker hingegen erhoffen sich, dass die Veröffentlichung der bislang geheim gehaltenen Erkenntnisse deutlich macht, wie dünn die Beweislage ist – jedenfalls gemessen an den Anforderungen in einem potenziellen Gerichtsprozess.
Die Lektüre ist ernüchternd
Die Lektüre ist ernüchternd, auf doppelte Weise. Die Seiten enthalten keine „Smoking Gun“, keinen zwingenden Beweis für eine Verwicklung hochrangiger Saudis aus dem Staatsapparat. Sie zeigen jedoch eine beunruhigende Grauzone, in der es keine klare Trennung zwischen staatlichem Handeln und der Förderung des wahhabitischen Islam im Ausland, die oft radikalen Imamen und ihren Moscheen zugutekommt, gibt. Offenbar gibt es auch keine Kontrolle, wann Gelder und Personal für den einen oder für den anderen Zweck eingesetzt werden.
Der Verdacht, dass Saudi-Arabien ein Doppelspiel betreibt – international tritt die Königsfamilie als Verbündeter des Westens auf, im Inneren stützt sie sich zur Erhaltung ihrer Herrschaft auf die wahhabitische Geistlichkeit, die gegen den Westen agiert und im Extremfall auch Moscheen im Ausland unterstützt, die Terroristen heranbilden – ist seit Langem eine Herausforderung. Wie die USA wägt auch die Bundesregierung ab, wie sie den saudischen Staat am effektivsten beeinflusst: durch scharfe Kritik oder durch diplomatische Ermunterung zu Reformen?
„Weder die CIA noch das FBI waren zu einer abschließenden Bewertung in der Lage, in welchem Ausmaß es eine Unterstützung terroristischer Aktivitäten (durch saudische Regierungsstellen) global oder in den USA gegeben hat, und falls es eine solche Unterstützung gab, ob diese beabsichtigt oder unschuldiger Natur war“, heißt es im 9/11-Bericht des US-Kongresses.
Die 9/11-Kommission urteilte in ihrem Abschlussbericht 2004, Saudi-Arabien sei nicht aktiv am Anschlag beteiligt gewesen, habe aber „weggeschaut“, als saudische Wohlfahrtsorganisationen Geld für die Terroristen spendeten.
Untersuchung führt zur Königsfamilie
Es ist wichtig, diese nüchternen Einschätzungen der Fachleute in Erinnerung zu behalten. Denn wenn man all die Indizien aus den Untersuchungen erstmals hört und zusammenfügt, drängen sich zwangsläufig Zweifel auf, ob eine so weit verzweigte „Saudi Connection“ eine Verkettung von Zufällen sein kann?
Die Erkenntnisse des Kongress- Untersuchungsausschusses führen sehr nah an die Königsfamilie heran. Es ist wahrscheinlich, dass Gelder aus der Prinzessin-Haifa-Stiftung am Ende bei einzelnen 9/11-Attentätern landeten. Unklar ist allerdings, ob Prinzessin Haifa, die Ehefrau von Prinz Bandar, dem Botschafter, von einer Weitergabe der Gelder wusste, geschweige denn diese billigte. Offiziell waren die Schecks für die medizinischen Behandlungskosten einer kranken, in den USA lebenden saudischen Staatsbürgerin namens Basnan bewilligt worden.
Deren Ehemann, Osama Basnan, hatte nachweislich Kontakt zu zwei 9/11-Attentätern, Nawaf al Hazmi und Khalid al Mihdhar. Diese beiden gehörten zu den Attentätern, die den American-Airline- Flug 77 ins Pentagon steuerten. Bei einer Durchsuchung der Basnan-Wohnung fand das FBI Kopien von 31 Schecks im Gesamtwert von 74 000 Dollar, die Osama Basnan zwischen dem 22. Februar 1999 und dem 30. Mai 2002 eingelöst hatte. Zwei weitere Schecks, einer davon über 15 000 Dollar, kamen von Prinz Bandars Konto.
US-Experten für Arabien haben dem Untersuchungsausschuss und US-Medien erläutert, dass die Unterstützung saudischer Bürger im Ausland mit Schecks aus Stiftungen oder Botschaftskassen nicht ungewöhnlich sei. Prinz Bandar habe oft und viel gespendet, gerade für wohltätige Zwecke, sagt der Ex-CIA-Mitarbeiter Bruce Riedel.
Doch wie gutgläubig will die Öffentlichkeit sein, wenn sie nun Näheres über diesen Osama Basnan hört? Oder erstmals von einer potenziellen Verbindung zwischen Abu Zubaydah, einem Mann aus dem innersten Al-Qaida-Führungszirkel um Osama bin Laden, und den US-Aufenthaltsorten von Prinz Bandar, dem saudischen Botschafter in Washington, erfährt? Nachdem Zubaydah 2002 in Pakistan gefasst worden war, fand das FBI in seinem Telefonverzeichnis US-Telefonnummern, die man nicht öffentlich ausfindig machen kann und die nur Insidern bekannt sind, darunter eine Geheimnummer für die Immobilienfirma, die Prinz Bandars Anwesen in Aspen, Colorado, betreut. Und die Nummer eines Bodyguards an der saudischen Botschaft in Washington. Gab es also eine indirekte Verbindung zwischen Al Qaida und dem saudischen Botschafter? Bob Graham, der Ex-Senator von Florida und Kovorsitzende des 9/11-Untersuchungsausschusses, findet es verdächtig. „Zubaydah muss diese geheimen Nummern von einer Person erhalten haben, die genau wusste, zu wem sie gehören.“
Osama Basnan war als diplomatischer Vertreter der saudischen Bildungsbehörden, die wiederum der verlängerte Arm der saudischen Geistlichkeit sind, in die USA gekommen. Nach seiner Darstellung hatte er die späteren 9/11-Attentäter Hazmi und Mihdhar in San Diego getroffen, aber durch reinen Zufall. Zufall auch, dass Schecks, die für die Behandlungskosten von Frau Basnan bestimmt waren, bei einem anderen Saudi landeten, Omar al Bayoumi, der einen engen Kontakt mit Hazmi und Mihdhar aufbaute.
Spur des Geldes verliert sich
Die beiden späteren Flugzeugentführer waren zu Jahresbeginn 2000 nach San Diego gekommen. Sie sprachen kein Englisch und kannten die örtlichen Verhältnisse nicht. Auch Bayoumi will ihnen zufällig begegnet sein, in einem Restaurant, und bot ihnen Hilfe beim Zurechtfinden an, von Landsmann zu Landsmann. Er vermittelte ihnen eine Wohnung, bürgte für den Mietvertrag, zahlte die Kaution.
Die nachweisbare Spur des Geldes aus saudischen Staats- und Stiftungskassen aber reicht nur bis Frau Bayoumi. Sie löste Schecks ein, die offiziell für Frau Basnan bestimmt waren. Gaben die Bayoumis das Geld an die Attentäter weiter? Möglich, aber nicht bewiesen.
Manche Experten im US-Sicherheitsapparat halten Basnan und Bayoumi für saudische Geheimdienstler. Bayoumi hatte regelmäßig Kontakt zu offiziellen Saudis. Auch er erhielt Unterstützungszahlungen. Soll man die ebenfalls mit der generellen Finanzhilfe aus Staats- und Stiftungskassen für saudische Bürger im Ausland erklären? Das FBI urteilte 2004, Bayoumi habe vor 9/11 „keine Kenntnis gehabt, dass Hazmi und Mihdhar Al-Qaida-Mitglieder waren“. Was sich rückblickend als organisatorische Hilfe für zwei Terroristen darstelle, habe er nicht „wissentlich“ getan.
Weitere Staatsdiener wohl verwickelt
Die von den „National Archives“ freigegebenen Dokumente aus den Unterlagen der 9/11-Kommission von 2004 deuten auf eine Verwicklung weiterer saudischer Staatsdiener hin. Auch der Diplomat Fahad al Thumairy hatte Kontakt zu den späteren Attentätern Hazmi und Mihdhar in San Diego, belog die US-Ermittler aber, als die ihn 2004 in Saudi-Arabien verhörten.
Die teils finanziellen, teils organisatorischen Hilfen für diese saudischen Bürger belegen für misstrauische Menschen: Abgesandte des saudischen Staats gehörten zum Unterstützungsnetzwerk der Al Qaida in den USA. John Lehman, ein Republikaner in der 9/11-Kommission, sieht das so: „Saudische Individuen haben unglaublich viel Hilfe für die Attentäter geleistet; und manche davon arbeiteten für die saudische Regierung.“
Man kann die Vorgänge auch vorsichtiger bewerten. Der Demokrat Bob Graham hält es für wahrscheinlich, dass Basnan und Bayoumi saudische Geheimdienstler waren, die nach San Diego geschickt wurden, um Kontakt zu den späteren Attentätern Hazmi und Mihdhar zu knüpfen und sie „im Auge zu behalten“, weil die Regierung nicht wusste, was sie im Schilde führen.
Die Wahrheit ist wohl auch deshalb so schwer zu finden, weil diese Doppelbödigkeit zur Struktur des saudischen Staats gehört. Die Loyalität saudischer Staatsdiener gehört nur teils der Königsfamilie, teils der wahhabitischen Geistlichkeit und ihren extremistischen Missionszielen.