Führungskrise in der FDP: Christian Lindner: Gegangen, um zu kommen
Kreidebleich ist FDP-Chef Philipp Rösler. Sein wichtigster Mitstreiter wirft hin. Jetzt steht er ganz alleine da. Genau so, wie ihn Christian Lindner haben will.
- Antje Sirleschtov
- Hans Monath
Das Wichtigste zum Schluss: „Auf Wiedersehen“, sagt Christian Lindner, dreht sich auf dem Absatz um und geht. Zwei Minuten und genau eine Sekunde hat der Generalsekretär der FDP benötigt, um seinen Rücktritt zu erklären. 13 Sätze hatte er sich dazu auf ein Blatt Papier geschrieben. Keine lange Vorrede, kein emotionales Wort des Bedauerns. Abschiede klingen anders. Da vorn auf dem Podium steht keiner, der abtritt. Da steht einer, der zur Seite tritt. „Auf Wiedersehen“ sagt man, wenn man vorhat zurückzukommen.
Genau das hat Christian Lindner offensichtlich im Sinn: Er ist 32 Jahre alt, er gilt als Hoffnungsträger in der FDP. Seine eigene politische Karriere soll weitergehen. Er wolle eine „neue Dynamik“ ermöglichen, sagt er, doch diese Dynamik, sie soll den glücklosen FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler das Amt kosten. So wenigstens sehen es viele Liberale, die am Mittwoch schockiert und entgeistert mit ansehen müssen, wie ihre Partei in diesem Jahr zum zweiten Mal in eine existenzielle Führungskrise stürzt.
Jeden Mittwochmorgen um acht Uhr treffen sich die Spitzen der FDP in Philipp Röslers Wirtschaftsministerium an der Berliner Scharnhorststraße, um die Sitzung des Kabinetts vorzubereiten. An diesem Mittwoch fehlt einer in der Runde: der Generalsekretär. Kaum ist das Treffen der FDP-Oberen zu Ende, konfrontiert Christian Lindner seinen Parteichef mit der Schock-Nachricht: Gleich werde er seinen Rücktritt bekannt geben, sagt er ihm ins Gesicht. Eine Viertelstunde dauert das Gespräch. Rösler steht seit Wochen unter enormem Druck. Nun wirft auch noch sein wichtigster politischer Mitstreiter hin.
Schlimmer kann es für Rösler kaum kommen. Kreidebleich wird man den Parteivorsitzenden später sehen, als er zwei Stunden danach ebenfalls an die Mikrofone in der Berliner Parteizentrale tritt. Doch weder hat er mitten in der Krise eine politische Botschaft zu verkünden noch kann er sofort einen Nachfolger für das wichtige Parteiamt benennen. Erst am Abend schlägt er Bundesschatzmeister Patrick Döring vor. Jetzt, für diesen Augenblick, steht er ganz alleine da.
So alleine, wie Christian Lindner ihn haben will. Als der scheidende Generalsekretär zwei Stunden vorher seinen Auftritt hat, wirkt er zugleich entschlossen und mit sich im Reinen. Am Rand stehen enge Mitarbeiter Lindners, manchen treten die Tränen in die Augen. Manche aus der Partei grollen dem smarten Politiker da aber auch schon. „Man darf sich nicht einfach davonstehlen“, sagt Holger Zastrow, der sächsische FDP-Vorsitzende. So etwas tut man eben nicht.
„Auf den Tag genau zwei Jahre“, sagt Christian Lindner, habe er die Politik seiner FDP „erklärt und verteidigt“. Erst unter dem Vorsitzenden Guido Westerwelle, dann, seit Mai, unter Rösler. Nun kann, nun will er das nicht mehr. „Es gibt Momente“, sagt Lindner, in denen man seinen Platz frei machen müsse. Für einen neuen Generalsekretär, mit dem der Vorsitzende die Partei weiterführen muss. „Aus Respekt vor meiner Partei und aus Respekt vor meinem Engagement für die liberale Sache“, trete er nun ab. Das klingt schön und nach Parteitreue. Aber ist es das?
Wohl eher will Lindner nicht länger die Politik eines Parteivorsitzenden erklären und verteidigen müssen, die nicht seinen eigenen Vorstellungen von der Zukunft der FDP entspricht.
Einigkeit nur nach Außen
Wer genau hinsah, konnte schon länger merken, dass Rösler und Lindner keineswegs das einige Gespann an der Spitze der Partei waren, für das sie sich gerne ausgaben, seit Guido Westerwelle seinen Posten als Parteivorsitzender und Vizekanzler abgegeben hatte. Hier Philipp Rösler, der Unentschlossene, der Unerfahrene, der noch dazu einen handwerklichen Fehler nach dem anderen macht. Und dort Lindner, der politische Denker und taktische Strippenzieher: Einer, den sich vor Westerwelles Verzicht viele in der FDP als Parteivorsitzenden gewünscht hatten. Der allerdings selbst wusste, dass er dafür zu jung war.
Begeistert hatte die Partei Rösler applaudiert, als der nach seiner Wahl im Mai auf dem Parteitag in Rostock versprach, von nun an werde die FDP liefern. Doch das junge Duo an der Parteispitze konnte nicht liefern – weder Ideen noch Zuversicht. Mit dem Vizekanzlerposten übernimmt Rösler zwar eine zentrale Funktion. Ein politisches Schwergewicht aber ist er bis heute nicht geworden. Je länger die Demoskopen miserable Werte ins Thomas-Dehler-Haus meldeten, um so stärker stieg der Druck.
Den spürt auch der Generalsekretär. Als aus der Partei vor wenigen Wochen verlautet, Lindner sei seiner Aufgabe nicht gewachsen, wird bei den Liberalen erstmals über einen Bruch spekuliert. Für den Fall, dass der Mitgliederentscheid zum Euro scheitere, so deuten das einige, brauche Rösler einen Sündenbock, um sich in der Krise selbst zu retten: eben Lindner.
Der aber will sich nicht zum Opfer machen lassen. Der desaströse Umgang der Parteichefs mit dem Mitgliederentscheid treibt ihn zum Handeln. Während einer Reise nach Kairo und in die Golfstaaten gibt der Wirtschaftsminister Ende vergangener Woche ein Interview, in dem er mit wenigen Sätzen die Basisbefragung noch vor ihrem Ende für gescheitert erklärt. Als der Text am Sonntag erscheint, ist die Empörung in der FDP groß. Nicht nur die Initiatoren des Entscheids um Frank Schäffler fühlen sich hintergangen. Auch viele Befürworter der Vorstandslinie sind entsetzt, wie ein Parteichef sich so unsensibel verhalten kann.
Zunächst verteidigt der Generalsekretär seinen Parteichef. Einen immensen rhetorischen Aufwand muss Lindner dabei betreiben, denn im Grunde ist die Sache klar: Wieder mal hat Rösler gezeigt, dass er die hohe Kunst der Politik nicht beherrscht und keinerlei Gespür dafür hat, wie seine Partei fühlt. Die nämlich nimmt nichts so übel wie die Missachtung ihrer Prinzipien: Wenn sie schon aufgerufen ist, ihre Meinung zu sagen, darf der Parteichef nicht vor Ende des Abstimmungsverfahrens schon Aussagen über ihr Scheitern machen. Im „Bericht aus Berlin“ muss Lindner am Sonntag sogar bei der chinesischen Philosophie Zuflucht nehmen, um zu erklären, warum die Parteiführung auch dann gewonnen habe, wenn das notwendige Quorum des Mitgliederentscheids verfehlt wird. In China gebe es „den Grundsatz des Wu wei – Handeln durch Nichthandeln“, sagt der Generalsekretär: „So haben viele Mitglieder gedacht.“
Parteichef Rösler ist angeschlagener denn je
Auch am Montag bleibt Lindner bei dieser Linie: Noch während der Vorstand tagt, erklärt er fast eine Stunde lang in immer neuen Wendungen vor der Presse, der Parteichef habe nicht den Mitgliederentscheid, sondern nur die politische Absicht Schäfflers für gescheitert erklärt. Und wieder muss er rhetorisch so sehr aufdrehen, dass er seine eigene Glaubwürdigkeit gefährdet. Rösler habe doch damit „keine Wasserstandsmeldung", sondern nur eine „Erwartungsäußerung“ in die Welt gesetzt, sagt er.
Wie sehr Lindner in diesem Moment schon darunter leidet, gegen die Interessen der FDP einen im Grunde untragbaren Parteichef zu stützen, lässt er sich nicht anmerken. Auch noch die zwanzigste Frage beantwortet er geduldig und höflich. Vertrauten gegenüber hat er da längst offenbart, wie unglücklich er über den in dieser wichtigen Frage so unglücklich agierenden Vorsitzenden ist. Zwei Tage später dann stellt er Rösler und seine gesamte Partei vor vollendete Tatsachen.
Die ist schockiert – und stürzt sich dennoch sofort in die Suche nach einem Nachfolger für Rösler. Zwar gibt Fraktionschef Rainer Brüderle auch am Mittwoch wieder die Parole aus, Rösler müsse nun gestärkt werden. Er, der von Rösler aus seinem Lieblingsministerium vertrieben worden war, will keinesfalls als Königsmörder dastehen. Doch auch Brüderle weiß sehr genau, dass immer mehr Liberale jetzt einen Schnitt machen wollen, der Rösler das Amt kostet. Brüderle ist jetzt der starke Mann. Auch wenn er bis zum Ende loyal bleibt, könnte er schließlich gerufen werden. Erfahrung hat er, Autorität auch. Genug Autorität, um die Partei zu stabilisieren vor den wichtigen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein im Mai.
Zwei Jahre ist es erst her, dass Rösler aus der Landespolitik nach Berlin wechselte. Manche Parteifreunde sagen, er sei hier noch immer nicht angekommen. Immer wieder hat der 38-Jährige in dieser Zeit mit dem Gedanken gespielt, wie reizvoll ein ganz normales Leben ohne Parteiamt oder Ministeramt, ohne überquellenden Terminkalender, ohne Pressekonferenzen und Intrigen sei. Politik verändere die Menschen, hat er dieser Zeitung einmal gesagt und hinzugefügt: „Mit 45 wird Schluss sein mit der Politik, das steht für mich fest.“ Womöglich kommt dieser Schluss schneller, als Rösler sich das selbst vorstellen kann.