Kontrapunkt: Das neue Chaos in der FDP
Christian Lindner ist dem Sturm zuvor gekommen. Jetzt richten sich alle Augen und alle Kritik auf den Chef selbst, sagt Christian Tretbar. Doch gescheitert sind nicht nur Lindner und Rösler persönlich. Auch ihr Projekt ist am Ende. Ein anderer scharrt mit den Hufen.
Es ist kein Tag für viele Worte bei der FDP. Christian Lindner hatte ganze 2 Minuten 9 Sekunden gebraucht, um sich als Generalsekretär zu verabschieden und um die Partei noch weiter in die Krise zu drücken - auch wenn das kaum möglich scheint. Und FDP-Chef Philipp Rösler knackte noch nicht einmal die Zwei-Minuten-Marke. Ein kurzes Dankeschön an Lindner und dann wollte er nur noch Führungsstärke und Entscheidungswillen demonstrieren. Allerdings hat er damit nur verdeutlicht, wie dringend nötig er beides hat. Denn der Rücktritt von Christian Lindner kann auch der Anfang vom Ende des FDP-Chefs sein.
Wirkliche Gründe hat Lindner für seine Entscheidung nicht genannt. Aber seine Worte waren trotzdem wohl gewählt. Vor allem die versprochene "neue Dynamik" wird noch ihren Widerhall finden in der Partei. Denn beschleunigt ist jetzt vor allem der Zerfall der FDP. Nachdem Guido Westerwelle sein Amt als Parteivorsitzender im Jahr 2010 aufgeben musste, setzten viele in der FDP große Hoffnungen in das neue Führungstrio der FDP.
An der Spitze Philipp Rösler und an seiner Seite NRW-Landeschef Daniel Bahr und eben Christian Lindner. Vor allem Lindner war die große Versprechung. Ein smarter, wortgewandter und gescheiter Kopf, der die Partei auch inhaltlich neu aufstellen kann. Viel konnte er allerdings nicht umsetzen. Im größten politischen Thema des Jahres, der Euro-Krise, ist die FDP stumm geblieben - bis Frank Schäffler und der Mitgliederentscheid kam.
Auch das von Lindner initiierte Grundsatzprogramm lief nicht reibungslos. Immer mehr offenbarte sich, dass die Basis da einen zweiten Christian Lindner entdeckte. Den, der die Parteizentrale, die Organisation nicht voll im Griff hat und keine Schlagkraft entwickeln kann. Die Schwierigkeiten bei der Organisation des Mitgliederentscheids sind letztlich nur der Kulminationspunkt für den Frust an der Basis über die Kampagnenfähigkeit und die Organisation der Partei.
In seinem Abgang hat Lindner aber gezeigt, das seine Instinkte funktionieren. Er ist gegangen, bevor der Sturm losbrechen konnte. Das zerreißt ihn nicht und er kann weitestgehend ohne Blessuren wieder zurückkehren - jung genug ist er mit seinen 32 Jahren allemal.
Nur für den Parteichef wird es eng - wieder einmal. Rösler und Lindner, die Chemie, so ist zu hören, war schon seit längerem gestört. Jetzt ist daraus ein echter Störfall geworden. Sämtliche Kritik wird sich nun auf den Chef selbst kaprizieren. Es hat auch nicht lange gedauert, bis die ersten Forderungen nach einer kompletten Neuwahl der Parteispitze die Runde machten. Von "Führungskrise" reden andere. Es ist einsam um den Chef.
Am Freitag muss er nicht nur einen neuen Generalsekretär präsentieren, möglicherweise wird auch der Mitgliederentscheid noch einmal über ihn hereinbrechen - durch den Rücktritt Lindners mit verstärkter Wucht, nämlich dann, wenn die Mehrheit ganz unabhängig vom Quorum für den Antrag von Frank Schäffler gestimmt haben sollte.
Philipp Rösler konnte sein wichtigster Versprechen, zu liefern, bisher nicht erfüllen. Die FDP rangiert im Umfragen schon hinter der Grenze zur Bedeutungslosigkeit.
Einer wird es vielleicht nicht genüsslich, aber sicher mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nehmen: Rainer Brüderle. Der Fraktionschef der Liberalen hielt sowieso nicht viel von der als Boy-Group titulierten Parteispitze um Rösler. Er dürfte seine Chance jetzt wittern. Und sogar mit einer Gewissheit ausgestattet sein: Noch tiefer könnte er die Partei gar nicht nach unten führen.
Nachdem die Alten gescheitert sind, bleiben noch die Alten. Nur wäre ein Scheitern von Rösler und Co. mehr als nur eine persönliche Geschichte. Es wäre auch der gescheiterte Versuch, eine neue Definition dessen zu finden, was ein neuer, moderner Liberalismus sein kann. Das Tragische daran ist aber gar nicht das Scheitern selbst, sondern, dass sie es wirklich ernsthaft überhaupt nicht versucht haben. Zu sehr war die Partei seit Regierungsübernahme mit sich selbst beschäftigt. Aus ihren eigenen Fehler war sie nicht bereit zu lernen. Jetzt muss sie mit den Konsequenzen leben - und dem Chaos.