Frankreich: Charme-Offensive im Osten
Frankreichs Präsident Macron braucht die Osteuropäer im Kampf gegen Sozialdumping - deshalb macht er sich Ende des Monats zu einer Europa-Tournee auf.
Es ist inzwischen 14 Jahre her, dass der damalige französische Präsident Jacques Chirac böse Worte über die Staaten im Osten Europas fand. Die Osteuropäer „hätten eine großartige Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten“, sagte Chirac 2003 angesichts der proamerikanischen Irak-Politik von Ländern wie Polen, Ungarn und Tschechien, die damals noch nicht Mitglied der EU waren. Eine derartige Herablassung gegenüber den heutigen EU-Partnern im Osten Europas kann sich ein französischer Präsident wohl nicht mehr leisten. Das gilt insbesondere für Emmanuel Macron, der die Unterstützung der Osteuropäer bei einem seiner zentralen europapolitischen Vorhaben braucht: der Reform der EU-Entsenderichtlinie. Diesem Anliegen möchte Macron Ende des Monats bei einer Reise nach Österreich, Rumänien und Bulgarien Nachdruck verleihen.
Während in Deutschland mit Blick auf Europa in erster Linie Macrons Forderungen zur Schaffung eines Euro-Budgets und der Etablierung eines Euro-Finanzministers wahrgenommen werden, muss Frankreichs neuer Präsident mit der Reform der EU-Entsenderichtlinie erst einmal ein anderes Wahlversprechen erfüllen. Dabei geht es um die Sorgen von Beschäftigten auf Baustellen, in Schlachtbetrieben und im Pflegebereich, die ihre Existenz durch Sozialdumping bedroht sehen. In den osteuropäischen Ländern, aus denen die Konkurrenz auf dem französischen Arbeitsmarkt häufig stammt, wird hingegen mit der Freizügigkeit auf dem EU-Binnenmarkt argumentiert. Der Streit entzündet sich dabei an der Entsenderichtlinie, die laut einem Vorschlag der EU-Kommission vom März 2016 überarbeitet werden soll. Macron gehen die bislang vorliegenden Vorschläge nicht weit genug – er verlangt eine Verschärfung im Sinne der französischen Arbeitnehmer.
Um möglichst viele EU-Staaten aus dem Lager der Osteuropäer vor der nächsten Beratungsrunde im Kreis der europäischen Arbeitsminister am 23. Oktober auf seine Seite zu ziehen, hat Macron für Monatsende seine Europatournee angesetzt. Am 23. August ist in Salzburg ein Treffen mit Österreichs Kanzler Christian Kern, dem tschechischen Regierungschef Bohuslav Sobotka und dem slowakischen Premierminister Robert Fico geplant. Am 24. August trifft Frankreichs Staatschef in Bukarest seinen rumänischen Amtskollegen Klaus Johannis und am Tag darauf im bulgarischen Warna Sofias Ministerpräsidenten Bojko Borissow.
Macron warf Osteuropäern Selbstbedienung vor
Auch wenn sich die Zeiten seit Chiracs Wutausbruch von 2003 geändert haben, so ist auch das Verhältnis zwischen Macron und den Osteuropäern keineswegs unproblematisch. Im Juni hatte der 39-jährige Staatschef Polen und Ungarn eine Selbstbedienungsmentalität vorgeworfen. „Europa ist kein Supermarkt, Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft!“, hatte Macron in einem Interview gesagt. Damit spielte er darauf an, dass zahlreiche osteuropäische Staaten zwar EU-Fördermittel kassieren, sich aber bei der Aufnahme von Flüchtlingen verweigern.
Daraufhin verbat sich Ungarns Regierungschef Viktor Orbán derartige Töne vom neuen Amtsinhaber in Paris. Am Rande des jüngsten EU-Gipfels im Juni kam es dann zu einer Aussprache zwischen Macron und den Regierungschefs der vier Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei. Bei dem Treffen, bei dem es nicht zuletzt um die von Macron angestrebte Reform der EU-Entsenderichtlinie ging, hätten beide Seiten einander aufmerksam zugehört, berichtete ein EU-Diplomat aus Osteuropa.
Aus dem Élysée-Palast hieß es, dass die osteuropäischen Länder, deren Spitzenpolitiker Macron demnächst treffen will, in den vergangenen Jahrzehnten von Frankreich vernachlässigt worden seien. Dagegen habe sich Deutschland um die osteuropäischen EU-Partner besser gekümmert. Das wird in Paris anerkannt.
Treffen mit Merkel am 28. August
Es fällt aber auf, dass zwei Länder auf Macrons Reiseliste fehlen: Ungarn und Polen. Möglicherweise geht Macron davon aus, dass Regierungschef Orbán und dessen polnische Amtskollegin Beata Szydlo bei einer weiteren Verschärfung der Entsenderichtlinie im Sinne Frankreichs kaum mit sich reden lassen werden. Anders sieht das wiederum bei den drei Staatenlenkern aus, mit denen der Amtsinhaber im Élysée-Palast am 28. August in Paris verabredet ist: Kanzlerin Angela Merkel, Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni und Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy. Mit ihnen will er nicht nur über die EU-Flüchtlingspolitik sprechen, sondern auch über die Entsenderichtlinie.