Türkische Gemeinde: Krach um Kenan Kolat spaltet den Verband
Der Eklat um Kenan Kolat, den früheren Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), scheint nun den Verband zu spalten.
Aus Protest gegen Kolat und den Umgang mit dessen Finanzgebaren innerhalb der TGD hat der Türkische Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) am Wochenende auf dem außerordentlichen Bundeskongress in Frankfurt am Main erstmals keine Kandidaten präsentiert. Der bisherige TGD-Ko-Vorsitzende, der Berliner Safter Cinar, zog sich zurück.
Griff in die Verbandskasse
Im Frühjahr war bekannt geworden, dass Kenan Kolat, der die Dachorganisation der Türkeistämmigen in Deutschland neun Jahre lang geführt hatte, knapp 13 000 Euro bar vom TGD-Konto abgehoben hatte, die er zum größten Teil privat verwendete und später wieder zurückzahlte. Für seinen überraschenden Rücktritt vor einem Jahr hatte Kolat gesundheitliche Gründe angegeben.
Nachdem die finanziellen Unregelmäßigkeiten öffentlich geworden war, setzte die TGD für dieses Wochenende einen außerordentlichen Bundeskongress mit Neuwahl des Vorstands an. Der mitglieder- und verbandsintern auch politisch starke Berliner TBB, Gründungsmitglied der TGD, scheiterte in Frankfurt mit seinem Vorhaben, Kolat von weiteren Ämtern im Verband auszuschließen, und verzichtete daher darauf, eigene Kandidatinnen und Kandidaten für den neuen Vorstand ins Rennen zu schicken. Kolat ist selbst Berliner und war bis 2011 Geschäftsführer des TBB.
"Moralisch inakzeptabel"
Der wirft seinem langjährigen Spitzenmann in einer scharfen Erklärung zum Frankfurter Bundeskongress vom Montag vor, er habe sich durch seinen Griff in die Kasse "unanständig" verhalten, es handle sich um eine "ethisch-moralisch und daher politisch nicht akzeptable Verfehlung". Dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Kolat wegen Geringfügigkeit einstellt habe - er hatte Anzeige gegen sich selbst gestellt - damit könne man leben: "An der moralischen Verfehlung hat sich aber nichts geändert". Der jetzt ausgeschiedene TGD-Vorsitzende und unmittelbare Nachfolger von Kolat, Safter Cinar, sagte dem Tagesspiegel, die Berliner seien ursprünglich guten Willens gewesen und hätten Kolat nicht ihrerseits beschädigen wollen. "Wir kennen ihn schließlich lange und er hat gute Arbeit geleistet." So habe ihn der TBB für die Leitung des neuen Wohlfahrtspflege-Verbands vorgeschlagen. Man sei aber "sauer" geworden, als Kolat sich nicht an die Absprache hielt, dass er selbst seine Verfehlung vor den Mitgliedsverbänden offenlege - schließlich habe der TBB nur deshalb darauf verzichtet, sie dem Bundesverband schriftlich mitzuteilen. "Als wir das erfuhren, hat das den Konflikt wieder aktualisiert."
Türkische Gemeinde stellt sich hinter Ex-Chef
Der endete am vergangenen Samstag mit einer klaren Schlappe für den starken Berliner Verband: 72 Prozent der Delegierten in Frankfurt lehnten es ab, ihren langjährigen Vorsitzenden Kolat von sämtlichen Ämtern auszuschließen. Der alte und neue TGD-Chef Gökay Sofuoglu sagt, man habe den Konflikt um seinen Vorgänger in Frankfurt "heftig und emotional" diskutiert, jetzt aber "in einem demokratischen Prozess bewältigt". Kolat und die TGB hätten die "Konsequenzen eines Fehlers" gezogen, wirtschaftlicher Schaden sei nicht entstanden. Kolats Rücktritt und die öffentliche Debatte seien "Strafe genug". Dass die TGD politisch beschädigt werde, wenn sie den vom TBB geforderten klaren Schnitt verweigere und Kolat künftig von Ämtern ausschließe, sieht Sofuoglu nicht: "Hätten wir den Ausschluss beschlossen, hätte uns das stärker beschädigt. Wir hätten niemanden mehr gefunden, der sich noch engagiert." Moralisch habe der Fall die TGD angekratzt, "aber es ist fraglich, ob das durch einen vollständigen Ausschluss von Kenan Kolat besser geworden wäre", der den Verband "erst zu dem gemacht hat, der er heute ist". Ohnehin gebe es derzeit "keine Absprachen", ihn wieder zu beschäftigen oder "ihn gleich morgen wieder in den Vorstand" zu berufen.
Persönliche und politische Animositäten
Auch Kolat weist entsprechende Absichten von sich. Er kümmere sich jetzt verstärkt um seine Firma für Politik- und Strategieberatung, denn auch die habe gelitten. "Alles andere ist nicht aktuell." Er brauche nach seinem "großen persönlichen Fehler", der "Enttäuschung über mich selbst" erst einmal Abstand. Der Frankfurter Beschluss zu seinen Gunsten habe "Solidarität, nicht Arbeitsaufnahme" signalisiert. "Ich klebe nicht an Ämtern." Sein Angebot an die neue TGD-Führung sei: "Ruft an, wenn ihr mich braucht. Von selbst werde ich aber jetzt nichts tun." Den Berliner Antrag gegen ihn erklärt er sich mit "persönlichen Animositäten" im TBB.
Die gibt es wohl, aber längerfristig dürften die politischen Animositäten wirken. Safter Cinar sagt, es habe praktisch seit Gründung der Türkischen Gemeinde vor 20 Jahren Vorbehalte gegen das starke Berliner Gründungsmitglied TBB gegeben den ältesten Landesverband, "eine Anti-TBB-Haltung". Das hat aus Cinars Sicht auch weltanschauliche Gründe: "Wir haben uns immer strikt an die Satzung gehalten, keine Türkei-Politik zu machen. Das hat nicht allen gefallen, erst recht seit die AKP in Ankara regierte und Kemalisten im Verband meinten, da müssten wir uns einmischen." Auch in der Armenierfrage - die Türkei anerkennt den Völkermord von vor hundert Jahren offiziell nicht an - "wollten wir nicht der Linie 'alle sind gegen uns arme Türken' folgen, sagt Cinar.
Gökay Sofuoglu ist auf jeden Fall damit zufrieden, dass die Türkische Gemeinde nach dem Frankfurter Bundeskongress und dem Rückzug des TBB keine stark berlinische mehr ist: "Die Mitglieder des Bundesvorstands verteilen sich jetzt gleichmäßiger auf ganz Deutschland." Bisher seien die Türkische Gemeinde als Dachorganisation und Berlins TBB ja quasi "zusammen geführt" worden, das habe auch überfordert. Die neue Führung sei zudem jünger und weiblicher. "Wir haben jetzt eine neue Konstellation."
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