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Stilles Gedenken. Demonstranten erinnern im April dieses Jahres in Istanbul an die massenhafte Ermordung von Armeniern durch das Osmanische Reich im Jahr 2015.
© Osman Orsal/Reuters
Update

Armenien-Resolution des Bundestags: Türkei übt Kritik, aber will an Flüchtlingsdeal festhalten

Ankara ist sauer über die geplante Armenien-Resolution im Bundestag. Doch verderben will sich das Land die Beziehungen zu Deutschland nicht - der Schaden wäre zu groß.

Nach unbändiger Wut klingt es nicht gerade, wenn türkische Spitzenpolitiker über die anstehende Bundestags-Resolution zum Völkermord an den Armeniern sprechen. Zwar warnen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim vor einem Schaden für die türkisch-deutschen Beziehungen, doch sie deuten zugleich an, dass Ankara den Protest gegen die Entschließung nicht aus dem Ruder laufen lassen will. So sei der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei nicht gefährdet, sagte Yildirim am Mittwoch.

Natürlich hätten Erdogan und Yildirim es lieber gesehen, wenn der Bundestag auf die Resolution verzichtet hätte. Erdogan appellierte an den „gesunden Menschenverstand“ der Politiker in Berlin; die anstehende Parlamentsentscheidung nannte er eine Falle, in die Deutschland zu tappen drohe. Diplomatische, politische, wirtschaftliche und militärische Folgen seien möglich, sagte Erdogan, ohne konkret zu werden.

Nach Annahme der Resolution werde sich die Türkei überlegen, wie zu reagieren sei, betonte der Präsident. Zugleich erinnerte er an das derzeit „sehr, sehr hohe Niveau“ der deutsch-türkischen Beziehungen. Ganz ohne Antwort aus Ankara dürfte die Bundestagsentscheidung also nicht bleiben.

Dass der Botschafter zurückbeordert wird, ist nicht sicher

Doch dass die Türkei konkrete Sanktionen gegen Deutschland plant, ist nicht sicher. Möglich ist ein vorübergehender Abzug des türkischen Botschafters Hüseyin Avni Karlsioglu aus Berlin – ähnlich hatte die Türkei auch auf Armenier-Resolutionen in anderen europäischen Parlamenten reagiert. Doch die Rückbeorderung des Botschafters ist keinesfalls ausgemacht, wie die Zeitung „Hürriyet“ unter Berufung auf nicht genannte türkische Regierungsvertreter meldete.

Deutschland sei schließlich „kein Luxemburg“, zitierte das Blatt einen Gewährsmann. Will heißen: Die Bundesrepublik, der führende Handelspartner der Türkei, ist politisch und wirtschaftlich so wichtig, dass Ankara jede Reaktion genau durchdenken wird, damit die Türkei am Ende nicht mehr Schaden erleidet als Deutschland. Laut „Hürriyet“ wurde in türkischen Regierungskreisen auf das Beispiel Russland verwiesen, wo das Parlament ebenfalls den Völkermord anerkannte, ohne dass der türkische Botschafter aus Moskau nach Hause gerufen wurde.

Auch der neue Premier Yildirim vermittelte bei einem Fernsehauftritt am Mittwoch nicht gerade den Eindruck eines Politikers, der von Rachegedanken gegenüber Deutschland getrieben wird. Die deutsche Armenier-Resolution werde von der Türkei ohnehin nicht anerkannt, sondern für null und nichtig erklärt, sagte er. Die Türkei sei zwar gegen die Annahme des Entschließungstextes durch den Bundestag, aber: „Was passiert, wenn er angenommen wird? Nichts passiert.“

Die Bemühungen um eine gezügelte Reaktion passen ins Bild. Seit dem Rauswurf von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu vor einem Monat prüft Ankara einen außenpolitischen Neuanfang. Davutoglu, ein früherer Außenminister und der Architekt des überaus selbstbewussten Regionalmachtstrebens der Türkei der vergangenen Jahre, wird laut Presseberichten von Erdogan für die regionale Isolation des Landes verantwortlich gemacht. Derzeit liegt die Türkei unter anderem mit Ägypten, Israel, Syrien, dem Irak und dem Iran im Clinch.

Eine Kursänderung sei unbedingt erforderlich, sagte Regierungssprecher Numan Kurtulmus. „Mehr Freunde, weniger Feinde“, laute die Formel, schrieb der in Ankara gut vernetzte „Hürriyet“-Kolumnist Abdulkadir Selvi unter Berufung auf Premier Yildirim. Möglicherweise wird die neue Leitlinie am Partner Deutschland ausprobiert.

Wie Ankara in anderen Fällen reagierte

Die Regierung in Ankara hat in den vergangenen Jahren stets mit scharfer Kritik und diplomatischen Schritten auf die Anerkennung der Massaker von 1915 bis 1916 an den Armeniern als Völkermord reagiert. Bislang haben dies mehr als 20 Staaten getan. Doch die Erfahrung mit solchen Fällen zeigt auch, dass Ankara stets darauf achtet, sich den Weg zurück zur Normalität nicht zu verbauen.

Ein Beispiel dafür ist der Streit, den Papst Franziskus im vergangenen Jahr mit seiner Äußerung über die Armenier-Massaker als "ersten Genozid des 21. Jahrhunderts" lostrat. Die Türkei zog aus Protest ihren Botschafter aus dem Vatikan-Staat zurück. Anfang dieses Jahres kehrte der Diplomat allerdings wieder auf seinen Posten zurück, nachdem der Vatikan den türkischen Vorschlag zur Bildung einer gemeinsamen Historiker-Kommission mit Armenien gelobt hatte.

Auch die türkischen Botschafter in Österreich, Brasilien und Luxemburg wurden nach der Anerkennung des Völkermordes in diesen Ländern vorübergehend in die Türkei zurückbeordert - in der internationalen Diplomatie ein deutliches Zeichen des Protests. Doch auch die Beziehungen zu diesen Staaten haben sich inzwischen wieder normalisiert.

Eine etwas härtere Gangart schlug die Türkei im Falle Frankreichs ein - denn die Politiker in Paris gingen vor fünf Jahren noch einen Schritt weiter und erklärten die Leugnung des Völkermords zu einer Straftat. Ankara zog darauf nicht nur seinen Botschafter ab, sondern legte auch die militärische Zusammenarbeit sowie jede Art politischer Konsultationen mit Paris auf Eis. Das Gesetz wurde kurz darauf vom französischen Verfassungsrat wieder aufgehoben. Der türkische Botschafter ist längst wieder in Paris.

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