Pegida-Demo in Dresden: Cem Özdemir: Galgen grenzt an "Aufruf zu Mord"
Ein noch unbekannter Pegida-Anhänger trug am Montag bei der islamfeindlichen Demonstration in Dresden einen Galgen für Merkel und Gabriel mit sich. Politiker sind empört.
Die Staatsanwaltschaft Dresden hat Ermittlungen gegen einen unbekannten Mann aufgenommen, der bei der Pegida-Demonstration am Montag in Dresden einen Galgen mit sich führte. Daran befestigt waren Schilder, die Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel mit Hinrichtung drohten. Wie die Polizeidirektion Dresden mitteilte, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den Initiator wegen Störung des Öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten sowie wegen Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten. Die Polizei werte das vorliegende Bildmaterial aus, um die Identität des Tatverdächtigen zu klären.
Staatsanwalt Jan Hille sagte der Bild-Zeitung: "Es sollte möglich sein, die Person zu identifizieren." Die Ermittlungen seien wichtig um zu zeigen, "dass es so auf keinen Fall geht". Auch Versammlungsfreiheit habe ihre Grenzen. Die Verunglimpfung des Staates und seiner Organe kann mit Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren geahndet werden. Eine eigene Strafanzeige wird die Bundeskanzlerin vorerst nicht stellen. "Derzeit sind keine weiteren rechtlichen Schritte geplant", teilte das Bundeskanzleramt am Dienstag in Berlin mit.
Am Montagabend haben sich in Dresden etwa 9000 Menschen an einer Demonstration der antiislamischen Pegida-Bewegung beteiligt. Der Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann wies in seiner Rede auf das einjährige Bestehen von Pegida in der kommenden Woche hin. Die Bundesregierung bezeichnete er als "unsere Berliner Diktatoren" und kritisierte deren Flüchtlingspolitik. Hier sei eine "Kehrtwende dringend erforderlich". Es müsse "unattraktiver werden, in Deutschland Asyl zu beantragen".
Sicherheitskreise sehen nach Tagesspiegel Informationen aber noch keinen Anlass, die Bewegung als rechtsextremistisch einzustufen. Es gebe keinen steuernden Einfluss bekennender Rechtsextremisten, heißt es. Beobachtet werde allerdings, dass sich einzelne Personenkreise aus dem bürgerlichen Spektrum radikalisieren. Das sei vergleichbar mit dem Phänomen der bürgerlichen Brandstifter, die Unterkünfte für Flüchtlinge anzünden. Diese Täter seien zuvor weder als rechtsextrem oder auf irgendeine Weise kriminell aufgefallen.
Justizminister sieht "volksverhetzenden Charakter"
Am Wochenende hatte bereits der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, von der "Gefahr eines Radikalisierungspotenzials" gesprochen, das dann auch rechte Gruppierungen für ihre Propaganda nutzen könnten. "Da müssen wir sehr aufmerksam sein und wir müssen auch ermitteln: Gibt es Strukturen, die sich möglicherweise bilden?", sagte Münch dem Deutschlandfunk. Es sei eine Lehre aus dem Fall der Terrorzelle NSU, früh zu prüfen. ob sich Muster erkennen ließen und es sich doch nicht nur um Einzeltäter handele.
Die Deutschlandradio-Korrespondentin Nadine Lindner nahm bei der Demonstration am Montag ein Foto von einem Galgen auf, an dem an Seilen Schilder hingen: "Reserviert Siegmar [sic] 'das Pack' Gabriel" und "Reserviert Angela 'Mutti' Merkel". Das Foto führte zu scharfen Reaktionen. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration und Flüchtlinge, Aydan Özoguz (SPD), fühlt sich durch den Pegida-Auftritt an gewalttätige antiwestliche Proteste in anderen Teilen der Welt erinnert.
„Bilder von Demonstranten, die Politikern mit Lynchmord drohen und mit einem Galgen auf die Straße gehen, hätte ich in Deutschland nicht für möglich gehalten“, sagte Özoguz dem Tagesspiegel. Schlimm sei, „dass nicht nur ein paar Unverbesserliche so hetzen, sondern in Dresden tausende Demonstranten solchen Hassparolen folgen. Das muss uns alle beunruhigen.“ Für Grünen-Chef Cem Özdemir grenzt die Geste an einen „Aufruf zum Mord“. Dem Gewaltpotenzial der Szene müsse man sich „mit allen demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln entgegenstellen“.
Bundesjustizminister Heiko Maas sagte am Dienstag in Berlin: "Leute, die das tun, gehören nicht auf die Straße, sondern vor den Richter." Der SPD-Politiker sprach von "Dingen, die letztlich volksverhetzenden Charakter haben".
Galgen als Zeichen fortschreitender Radikalisierung
Der symbolische Galgen wurde von Beobachtern als ein Zeichen für die fortschreitende Radikalisierung der Pegida-Aufmärsche gewertet. „Deshalb sind die Ermittlungen als Signal so wichtig“, sagte Albrecht Pallas, Landtagsabgeordneter aus Dresden (SPD), dem Tagesspiegel. „Wir erleben bei den Demonstranten in Dresden seit Monaten ein Einmauern in der eigenen Argumentation. Sollte es am Anfang noch irgendeine Form der Dialogbereitschaft gegeben haben, ist sie nun gänzlich verschwunden. Mit dem Galgen könnte nun auch die Grenze des Strafbaren überschritten worden sein.“
Zu Beginn seien auch Bürger mitgelaufen, die nicht allein durch Fremdenfeindlichkeit oder Islamophobie motiviert gewesen seien, sagt der Landtagsabgeordnete Pallas. „Viele wollten vor allem ihren Frust über ,die Politik‘ Luft machen. Da gab es auch Gruppen, die beispielsweise gegen GEZ-Gebühren oder gegen das TTIP-Abkommen demonstriert haben.“ Diese seien aber durch die immer klareren rechtsextremen Tendenzen abgeschreckt worden. Zwischenzeitlich waren die Demonstrationen auf rund 2000 Teilnehmer geschrumpft, die Beobachter als den „harten Kern“ bezeichnen. „Nachdem die Ausbreitung der Demos in andere Städte nicht wirklich geklappt hat, reisen nun auch wieder vermehrt Sympathisanten und Pegida-Ableger aus dem gesamten Bundesgebiet an“, sagt Jürgen Kasek, Vorstandssprecher der Grünen in Sachsen. Unter dieser Voraussetzung hält es Kasek „durchaus für möglich“, dass Pegida auch noch einmal zehntausend oder mehr Menschen auf die Straße bringen könnte. Dies gelte besonders für den kommenden Montag, wenn sich der erste Aufmarsch in Dresden jähre. Mit der Mobilisierung einer breiteren Basis aus der Mitte der Bevölkerung aufgrund der Flüchtlingsdebatte rechnen aber weder Pallas noch Kasek. Gegen Pegida-Anführer Lutz Bachmann wird derzeit wegen Volksverhetzung ermittelt. Bei seinen öffentlichen Auftritten soll er sich aber zurückhalten. „Die Rolle der Scharfmacher übernehmen Gastredner aus rechtspopulistischen Kreisen“, sagt Pallas. Am Montag soll es erstmals seit längerer Zeit auch wieder eine große Gegendemonstration des übergreifenden Bündnisses „Dresden für alle“ geben.
In einer ersten Reaktion machte sich Pegida-Gründer Lutz Bachmann lustig über die parteiübergreifende Entrüstung. Er spricht von einem "vorsätzlich verfälschendem Fotoschnitt seitens der #Lügenpresse". Mit einem Hashtag rief er seine Anhänger auf: "#MerktEuchDieNamen".
Einen Auftritt gab es auch für die ehemalige Hamburger Politikerin der Partei Alternative für Deutschland, Tatjana Festerling. Sie warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, aus Deutschland ein "riesiges Dschungelcamp" gemacht zu haben. Den Zuzug von Flüchtlingen und Asylsuchenden bezeichnete sie als "Ansturm der Invasoren". Außerdem regte sie einen „Säxit“ an, den Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik. Bei der Dresdner Oberbürgermeisterwahl hatte Festerling Anfang Juni fast zehn Prozent der Stimmen bekommen. Im zweiten Wahlgang trat sie nicht mehr an.
Entsetzlich, unfassbar, abstoßend! Dresden stand noch vor wenigen Jahren für Offenheit und Toleranz, für Hochkultur, für freiheitliches Denken, für UNESCO-Welterbe, für eine im besten Sinne bürgerliche Stadtgesellschaft.
schreibt NutzerIn heiko61
Angekündigt waren ferner Gastredner aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Großbritannien, Italien und Österreich. Der deutsch-türkische Bestsellerautor Akif Pirinçci wollte exklusiv Auszüge aus seinem demnächst erscheinenden Buch "Umvolkung" zum Flüchtlingsthema vortragen.
Pegida-Anhänger skandieren "Politikerpack" und "Asylmafia"
Die Teilnehmer der Kundgebung riefen in Sprechchören "Abschieben, abschieben", "Wir sind das Volk" und "Merkel muss weg". Ein Plakat mit Merkel als Mutter Teresa war überschrieben mit "Mutter Terrorresia", andere Schilder wandten sich gegen "Deutschenhasser", "Asylmafia" oder "Politikerpack".
Pegida steht für "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes". Seit einem Jahr geht die Bewegung in ihrer Hochburg Dresden nahezu wöchentlich auf die Straße und macht Stimmung gegen Muslime, Flüchtlinge und Medien. Zu ihren Hochzeiten versammelte die Bewegung Anfang des Jahres bis zu 25.000 Anhänger.
Als sich Pegida Ende Januar im Streit um ihren Mitbegründer Bachmann spaltete und anschließend zunehmend radikalisierte, wurde es ruhiger um das Bündnis. Doch zuletzt verzeichnet die Bewegung wieder einen verstärkten Zulauf.
Gegen Bachmann ist eine Anklage der Staatsanwaltschaft Dresden wegen Volksverhetzung anhängig. Ihm wird vorgeworfen, im September vergangenen Jahres auf seiner Facebook-Seite Kriegsflüchtlinge und Asylbewerber unter anderem als "Gelumpe" und "Viehzeug" beschimpft zu haben.
Eine Guillotine für Gabriel auf der Anti-TTIP-Demo
Neben dem Pegida-Galgen sorgt nun auch eine Guillotine auf der Demonstration gegen das Freihandelsabkommen TTIP am vergangenen Samstag in Berlin für Gesprächsstoff. Der Grünen-Politiker Daniel Mack teilte ein Foto des französischen Hinrichtungsinstruments, das mit einem ebenfalls fehlerhaften "Pass blos (sic) auf Sigmar" versehen war, auf Twitter. "Wer den Galgen der #Pegida verurteilt, darf bei #StoppTTIP nicht wegschauen!", kommentierte er.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Ralf Stegner twitterte: "Das bleibt alles widerwärtig- egal in welchem Kontext!" Stegner befürwortet das Freihandelsabkommen mit Einschränkungen. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer meint: „Da werden Grenzen überschritten.“ So etwas könne Menschen abschrecken, sich politisch zu engagieren.
Für Pegida-Chef Lutz Bachmann ist der Wirbel um die Guillotine eine willkommene Ablenkung von den Galgen auf der islamfeindlichen Demonstration in Dresden. "Am Sonntag auf der TTIP-Demo in Berlin sah man solche Sachen aber die #Lügenpresse sprach da nicht von 'Aufruf zum Mord' oder 'Lynchjustiz'! Komisch, oder?" Damit sei das Thema für ihn erledigt.
Jörn Alexander, Pressesprecher des Anti-TTIP-Bündnisses, nennt die Guillotine im Gespräch mit dem Tagesspiegel „unmöglich“, schränkt aber ein: „Das war nur eine Symbolik von Hunderttausenden.“ Man müsse die Demonstration als Gesamtbild sehen. Ob das Bündnis rechtliche Schritte gegen den Urheber einleitet, müsse geprüft werden.(mit AFP/dpa/epd)