Welthandel - TTIP: Was nicht passt, wird passend gemacht
In der TTIP-Debatte strapaziert die CDU die Fakten, schreibt der Foodwatch-Gründer. Und sagt: Deshalb werden am Samstag Zehntausende gegen TTIP in Berlin auf die Straße gehen. Ein Gastbeitrag.
Wenn der Schwerpunkt einer Debatte darauf liegt, Andersdenkenden die Legitimität abzusprechen – dann kann es mit den Argumenten nicht allzu weit her sein. Bei den geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA scheint dies der Fall zu sein: So geschehen in der vergangenen Woche im Bundestag, so geschehen in einem Debattenbeitrag auf Tagesspiegel.de. An beiden Stellen holte Dr. Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, zum Rundumschlag auf die Gegner der Abkommen aus: Er verunglimpfte zivilgesellschaftliche Organisationen wie foodwatch, Campact und andere als „Empörungsindustrie“, stellte ihre „demokratische Legitimation“ in Frage, warf ihnen vor, nichts als Stimmung zu verbreiten.
Was die demokratische Legitimation angeht, so hätte schon ein Blick ins Grundgesetz dem CDU-Politiker helfen können. Die Meinungs- und Koalitionsfreiheit stehen dort aus gutem Grunde fest verankert: Auf dieser Basis ist jeder Verein, übrigens auch jeder Wirtschaftsverband, der sich an der politischen Meinungsbildung beteiligt, demokratisch legitimiert und eine wichtige Bereicherung der Demokratie. Dies in Zweifel zu ziehen, wenn es um unbequeme Kritiker geht, markiert einen Tiefpunkt der Debatte: Freihandel und freie Meinungsäußerung, offenbar verträgt sich das nicht für alle.
Es geht um die demokratische Legitimation von TTIP und CETA
Längst geht es bei den Abkommen nicht um Handelspolitik allein. Eine Paralleljustiz für Investoren, mangelhafte Transparenz, die Frage, wie frei Abgeordnete künftig noch über Standards im Umwelt- oder Verbraucherschutz entscheiden können – diese Fragen sind es, die die Zivilgesellschaft auf die Straße treiben. Mehrere Zehntausend werden es wohl sein bei der bundesweiten Stop-TTIP-Großdemonstration am Samstag in Berlin. Ja, es geht um die demokratische Legitimation: um die von TTIP und CETA.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Joachim Pfeiffer und andere Parteifreunde sprechen gern von der Idee eines transatlantischen „Binnenmarktes“ nach Vorbild des europäischen. Sie vergessen dabei nur Wesentliches: Mit dem europäischen Binnenmarkt wurde auch eine europäische Demokratie gebaut, samt europäischem Parlament. TTIP dagegen soll zwar den gemeinsamen Markt bringen, auf die gemeinsame Demokratie aber verzichten. Daraus entwachsen die Probleme, über die heute gestritten wird – vor allem dank der Leaks, Nachfragen und Recherchen zivilgesellschaftlicher Organisationen. Am lautesten wird nun in der Kanzlerinnenpartei über die angeblich faktenfernen Organisationen geklagt. Dabei ist es die CDU, die die Fakten arg strapaziert.
Die CDU strapaziert bei TTIP die Fakten und bezieht sich auf Studien, die es nicht gibt
Beispiel Michael Grosse-Brömer, der seinem Parteifreund Joachim Pfeiffer mit der Kritik an der Zivilgesellschaft beiseite sprang. In seinem „Brief aus Berlin“ schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer – also der zweite Mann in der Unionsfraktion – an seine Wähler im März 2015 über TTIP. Grosse-Brömer wusste da von „einer aktuellen Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)“ zu berichten: „In ihrer Studie geht die INSM auch von einer Steigerung des EU-Bruttoinlandproduktes über 119 Milliarden Euro aus“. Klingt gut, hat aber einen Haken: Es gibt überhaupt keine solche Studie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.
TTIP etc. ist in seinem Wesen nicht mit einer demokratischen Gesellschaft vereinbar, siehe überstaatliche Gerichte, Mitspracherecht der USA an europäischen oder nationalen Entscheidungen, Sperrklingenklauseln etc..TTIP muss weg, nicht weil wir nicht bereit sein, die Regeln zu setzen, sondern weil wir Regeln setzen, und zwar souverän und demokratisch.
schreibt NutzerIn Zweibein
Vielmehr hatte die INSM selbst bereits Studienergebnisse falsch abgeschrieben und die möglichen Effekte von TTIP erheblich größer gemacht, als sie der Untersuchung im Auftrag der Europäischen Kommission zufolge sein könnten. Die INSM musste sich korrigieren. Und Grosse-Brömer? Auf Twitter zur Korrektur aufgefordert, schrieb er nur: „Habe gerade besseres zu tun, als auf wenig überzeugende und falsche Behauptungen einzugehen.“
Auch Joachim Pfeiffer zeigt in Sachen TTIP eine erstaunliche Flexibilität beim Umgang mit Fakten und Zahlen. „Erwartet werden unter anderem Wachstumsimpulse von 119 Milliarden Euro auf europäischer Seite“, antwortete der CDU-Mann einem Bürger auf abgeordnetenwatch.de. „Pro Jahr“, schrieb er sogar an anderer Stelle. Fakten sind das nicht: Es werden die genannten Impulse in der hier zugrunde gelegten Studie ganz sicher nicht „erwartet“, schon gar nicht „unter anderem“ (also: wohl eigentlich noch mehr!) und erst recht nicht pro Jahr.
Jede Studie zu den wirtschaftlichen Folgen von TTIP basiert auf spekulativen Annahmen
Der Reihe nach: Wie TTIP genau aussehen wird, weiß heute noch niemand – ebenso wenig, was das Abkommen „bringen“ wird. Für ihre Studien über wirtschaftliche Potenziale treffen die Autoren daher stets spekulative Annahmen, um überhaupt etwas berechnen zu können. Eine Arbeit für die Europäische Kommission hält es demnach für möglich, dass das Bruttoninlandprodukt der EU im Jahre 2027(!!!) um 68 bis 119 Milliarden Euro höher liegen könnte als ohne TTIP. 119 Milliarden sind demnach also nur im besten Falle drin und wären auch erst zehn Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens realisiert.
Weil es aber nun mal schwierig ist, eine Euro-Angabe in Preisen von übermorgen richtig zu verstehen, raten die Studienautoren ausdrücklich zur Angabe des prozentualen Wertes: Demnach läge – bestenfalls –das europäische BIP nach zehn Jahren um 0,5 Prozent höher als ohne TTIP – pro Jahr betrüge der Impuls also nur rund null Komma null fünf Prozent. Von einem „Impuls“ kann da kaum die Rede sein! Das alles hält CDU-Mann Joachim Pfeiffer nicht davon ab, ebenfalls in einer Antwort auf eine Bürgeranfrage , „die unsachliche Debatte“ zu kritisieren und dass „sehr viel Halbwissen kursiert, teils geschürt durch gezielte politische Kampagnen“. Sich und seine Partei meinte er damit wahrscheinlich nicht.
Mögliche TTIP-Effekte größer machen, das hat bei der CDU System
Mögliche TTIP-Effekte größer machen, das hat bei der CDU System. „Die Schätzungen über zusätzliche Arbeitsplätze in der EU reichen von 400.000 bis 1,3 Millionen“, heißt es in einer Parteibroschüre. Richtig wäre: In den hier zugrunde gelegten Studien reichen die Schätzungen des ifo-Instituts von gerade einmal rund 12.000 bis 1,3 Millionen zusätzlichen Jobs. Schon 400.000 Jobs hält das ifo-Institut nur dann für denkbar, wenn ein „sehr optimistisches Szenario, welches erhebliche Unsicherheiten involviert" eintritt – die CDU verschweigt das lieber, obwohl ihr die Kritik an der Falschdarstellung bekannt ist.
An diesem Umgang mit „Fakten“ und „Transparenz“ krankt die Debatte. Eines aber ist klar: Wer die Wahrheit so sehr biegt, darf sich nicht wundern, wenn am Samstag Zehntausende auf der Straße sind. Empört – und zwar mit Recht.
Thilo Bode ist Gründer und Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation foodwatch. Sein Text erscheint im Rahmen der Tagesspiegel-Diskussion zum Welthandel.
Thilo Bode