Historiker Michael Wolffsohn: "Bundeswehr ist attraktiv für Extremisten jedweder Couleur"
Der Historiker Michael Wolffsohn sieht den Hauptgrund für die Bundeswehr-Skandale in der Abschaffung der Wehrpflicht. Dies habe die "Dämme geöffnet für den Zustrom extremistischen Personals".
Herr Wolffsohn ist die Bundeswehr besonders attraktiv für Rechtsextremisten?
Nicht nur für Rechtsextremisten, sondern für Extremisten jedweder Couleur. Das liegt daran, dass die Streitkräfte nicht nur in Deutschland ein großes Personaldefizit haben und für Menschen mit Gewaltbereitschaft ein ideales Übungsfeld sind. Sie bekommen die Ausbildung umsonst, und sie können auch leicht Waffen und anderes militärisches Material, an das sie sonst nur schwer herankommen würden, herausschmuggeln. Dass sich davon auch Islamisten angezogen fühlen, ist empirisch belegt. Erst vor kurzem sind in der Bundeswehr einige erkannt und entfernt worden. Und ich bin mir sicher, dass es auch Linksextremisten gibt, die diese instrumentellen Vorteile für sich nutzen werden oder sie bereits genutzt haben.
Sind denn Waffen und Sprengstoff in der Bundeswehr so schlecht gesichert?
Natürlich ist dieses Material gesichert. Aber wenn man strategisch-subversiv vorgeht und entsprechendes Personal einschleust, ist der Zugang ganz leicht.
Die Attraktivität der Bundeswehr auf potenzielle Gewalttäter hat also vor allem strukturelle Gründe?
Ja, und das ist weltweit so. Das Problem liegt, strukturell-politisch, in der Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht. Diese Entscheidung ist verantwortlich dafür, dass der Bundeswehr jetzt die ganz „normalen“ Bürger fehlen. Und es hat die Dämme geöffnet für den Zustrom extremistischen Personals, das bequem an Waffen und eine militärische Ausbildung kommen will. Lyriker gehen nun mal nicht freiwillig zum Militär.
Wehrpflichtige hatten in der Bundeswehr auch früher nicht das Sagen. Oft saßen sie in den Kasernen nur ihre Zeit ab...
Ja, aber dennoch gewährleistet die allgemeine Wehrpflicht zweierlei: eine Widerspiegelung der innergesellschaftlichen Pluralität. Und eine bessere Kontrolle. Gucken Sie doch mal nach Israel. Außenminister Sigmar Gabriel wurde vom israelischen Premier nicht empfangen, weil er mit der Gruppe „Schweigen brechen“ gesprochen hat. Diese Kritiker spielen für die Politik deshalb eine solche Rolle, weil sie Einblicke haben. Weil sie drin sind in der Truppe, als aktive Soldaten oder Reservisten. Sie repräsentieren nicht die Mehrheit, aber sie schauen hin, sie hören zu. Und sie können ihre Informationen und Kenntnisse über Missstände auch medial weitergeben. Das ist ein Vorteil der allgemeinen Wehrplicht.
Ursula von der Leyen hat der Bundeswehr Führungsschwäche vorgeworfen und zwar auf verschiedenen Ebenen. Fällt diese Kritik nicht auf die Ministerin zurück, die den Laden doch im Griff haben sollte?
Nein, es handelt sich ja um Strukturen, die seit langem gewachsen sind, und Frau von der Leyen hat die Bundeswehr erst Ende 2013 übernommen. In diesem Fall kann man eindeutig sagen: Der Fisch stinkt nicht vom Kopf her. Man sollte der Ministerin auch nicht vorwerfen, sich mit ihrer Kritik aus der Verantwortung zu stehlen. Was sie sagt, ist völlig richtig. Nur wird das strukturelle Problem dadurch nicht gelöst: die Verselbständigung einer Institution, der die Allgemeinheit entzogen und die innergesellschaftliche Kontrolle genommen wurde.
Von der Leyen kritisiert auch einen „falsch verstandenen Korpsgeist“. Welche Rolle hat der denn aus Ihrer Sicht für die späte Enttarnung des unter Terrorverdacht stehenden Bundeswehrsoldaten gespielt?
Da hat die Ministerin offenbar mehr Insider-Information als ich haben kann. Klar ist nur: Jede Organisation hat einen Korpsgeist, das gilt erst recht für Streitkräfte, und dieser Korpsgeist ist auch wichtig. Ohne ließen sich die zunehmenden Belastungen, denen die Soldaten durch internationale Einsätze ausgesetzt sind, kaum ertragen. Aber innerhalb dieses Korpsgeistes gibt es rote Linien, die eingehalten werden müssen. Das gilt für die Aufdeckung extremistischer Bestrebungen ebenso wie für die Distanzierung von fragwürdigen Ritualen.
Dass die Abschaffung der Wehrpflicht zurückgenommen wird, ist politisch wenig wahrscheinlich. Was könnte der Bundeswehr aus Ihrer Sicht sonst noch helfen?
Ich wäre mir nicht so sicher, dass das Thema vom Tisch ist. Schweden etwa hat die Wehrpflicht nach sieben Jahren Berufsarmee wieder eingeführt. Unter einer rot-grünen Regierung wohlgemerkt. Es ist völlig klar, dass die Personallücken der Bundeswehr und auch anderer moderner Armeen mit den bisherigen Mitteln nicht geschlossen werden können – erst recht in einer boomenden Wirtschaft. Wer geht da schon freiwillig zu Streitkräften, wo er nicht bloß in einer Amtsstube hockt, sondern sein Leben riskiert?
Dennoch:Wie sollte die Politik auf den bekannt gewordenen Skandal reagieren?
Es gefällt mir, dass die Ministerin nicht um den heißen Brei herumredet, sondern das Problem klar und ohne jede Beschönigung benennt. Und dass sie offensichtlich auch bereit ist, Konsequenzen zu ziehen. Das geht in derartigen Organisationen meist nur, indem man das verantwortliche Personal auswechselt. Dazu gibt es kurzfristig wohl keine Alternative.
Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.