Zielgenaue Ausreisesperren „ein geeignetes Mittel“: Bund und Länder einigen sich auf lokale Beschränkungen nach Corona-Ausbruch
Bund und Länder verständigen sich auf zielgenauere, lokale Beschränkungen in Regionen mit einem starkem Corona-Ausbruch. Diese sollen „schnell und präzise“ sein.
Bund und Länder wollen künftig zielgenauer auf lokale Ausbrüche der Corona-Pandemie reagieren. Ein- und Ausreisesperren soll es geben können, wenn die Zahl der Infektionen weiter steigt oder es keine Gewissheit gibt, dass die Infektionsketten bereits unterbrochen sind, heißt es in einem Beschluss von Kanzleramtschef Helge Braun und der Staatskanzleichefs der Länder vom Donnerstag.
„Diese Maßnahmen sollen zielgerichtet erfolgen und müssen sich nicht auf den gesamten Landkreis bzw. die gesamte kreisfreie Stadt beziehen (...)“, heißt es in dem Papier, das der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt.
Demnach sollen die Länder Vorsorge dafür treffen, dass Reisende aus Regionen mit erhöhten Corona-Infektionen nur dann in einem Beherbergungsbetrieb untergebracht werden beziehungsweise ohne Quarantänemaßnahme in ein Land einreisen dürfen, wenn sie mit einem ärztlichen Zeugnis nachweisen können, dass sie nicht infiziert sind.
Mit Blick auf die Reisesaison wurde zudem festgelegt, dass Rückkehrer aus dem Ausland, die sich innerhalb der vergangenen 14 Tage in einem Risikogebiet aufgehalten haben, verpflichtet bleiben, sich für 14 Tage in häusliche Quarantäne zu begeben.
Auch Gesundheitsminister einigten sich auf Ausreisesperren
Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, begrüßte den Verzicht von Bund und Ländern auf Ausreisesperren für ganze Landkreise. „Wir sind bislang sehr gut damit gefahren, das örtliche Infektionsgeschehen präzise zu begrenzen“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Der Vizevorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Theurer, sah dies ähnlich: „Notwendig und richtig sind praxistaugliche, maßgeschneiderte Hotspot-Strategien mit regional differenzierten und räumlich sowie zeitlich eng begrenzten Lösungen, die sich an der tatsächlichen Infektionsgefahr orientieren.“ Alles andere wäre unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig, sagte Theurer.
Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern hatten sich zuvor schon auf zielgenauere, lokale Beschränkungen in Regionen mit einem starkem Corona-Ausbruch verständigt.
Lokale Ausreisesperren könnten dabei „ein geeignetes Mittel“ sein, heißt es in einem Papier der Gesundheitsministerkonferenz vom Donnerstag, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Auch Kanzleramtsminister Braun hatte die Pläne für lokale Reisebeschränkungen zu Beginn der Woche verteidigt. Ziel sei es, etwaige Beschränkungen „schneller, kleinräumiger und präziser“ zu machen, sagte Braun im ZDF-Morgenmagazin vor neuerlichen Beratungen mit den Bundesländern. Ziel könnten auch „Teile von Landkreisen sein oder Cluster“ wie ein Betrieb oder eine Gemeinde.
Die Beschränkungen sollen sich „nur auf diesen Bereich beziehen“, wo es erforderlich sei, betonte Braun. Das sei die Erfahrung aus den Corona-Ausbrüchen in den vergangenen Wochen etwa im Landkreis Gütersloh, wo nach massenhaften Infektionsfällen beim Fleischkonzern Tönnies vorübergehend wieder ein Lockdown verhängt worden war.
Es gehe auch darum, schnell zu testen etwa mit Unterstützung der Bundeswehr, damit Beschränkungen schnell wieder aufgehoben werden könnten, sagte Braun weiter.. Die Beschränkungen sollen „ihren Schrecken verlieren“, betonte Braun. Wenn schnell getestet werde, dauerten diese nur wenige Tage.
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Braun will heute mit den Chefs der Staatskanzleien der Länder über das Thema weiter beraten. Eine Reihe von Ministerpräsidenten hatte es vorher abgelehnt, Ausreiseverbote für ganze Landkreise auszusprechen.
Kretschmer gegen generelle Ausreisesperren
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) erwartet, dass es keine generellen Ausreisesperren für ganze Landkreise geben wird. Eine solche Regelung wäre „nicht akzeptabel“, die Bundesländer würden ihr daher nicht zustimmen, sagt er im Deutschlandfunk.
Nötig seien vielmehr punktuelle, zielgenaue Maßnahmen. Kretschmer unterstreicht, die Gesundheitsämter leisteten eine sehr professionelle Arbeit. Es sei wichtig, mehr auf die Menschen zu hören, die vor Ort arbeiten.
Kretschmer zeigte sich optimistisch, dass sich Bund und Länder noch am Donnerstag über Maßnahmen einigen können. „Wir werden heute zu einem vernünftigen Ergebnis kommen“, sagte er.
Kretschmer hatte zuvor via Twitter erklärt, er könne sich kein Szenario vorstellen, „in dem wir einen gesamten Landkreis mit einer Ausreisesperre belegen“. „Für den Freistaat können wir so etwas nahezu ausschließen.“
Merkel hat Sympathien für den Vorschlag
Regierungssprecher Steffen Seibert machte am Mittwoch nochmals deutlich, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Sympathien für den Vorschlag habe, „dass bei lokalen Corona-Ausbrüchen die Menschen in den betroffenen Gebieten erst einmal zu Hause bleiben“. „Und zwar so lange, bis die Infektionsketten erkannt sind und die Reisewilligen einen negativen Corona-Test vorlegen können.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte den Vorschlag ebenfalls gutgeheißen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung signalisierte ebenfalls Zustimmung. Lokale Ausreisebeschränkungen könnten „im akuten Bedarfsfall hilfreich sein“, sagte ein Sprecher der Landesregierung dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
„Überhaupt nicht praktikabel“
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zeigte sich skeptisch. „Das ist keine Frage von politischen Aushandlungsprozessen“, sagte Ramelow der Deutschen Presse-Agentur. Entscheidend sei, was die örtlichen Gesundheitsämter entschieden. „Und daran haben sich alle zu halten.“
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ zu dem Vorschlag des Bundes: „So etwas kann man sich im fernen Berlin oder auch München ja gerne ausdenken, aber es ist in der Fläche überhaupt nicht praktikabel.“
Bei Brauns heutiger Videoschalte mit Vertretern der Bundesländer soll auch das Thema Urlaubsrückkehrer eine Rolle spielen, wie der CDU-Politiker ausführte. Ziel sei es, durch vermehrte Tests ein Einschleppen des Virus zu verhindern. (Tsp, dpa, AFP, Reuters)