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David Cameron in Brüssel.
© dpa / JULIEN WARNAND

Erster Tag des EU-Gipfels: Brexit verhindern: Tusk verordnet eine lange Nacht

In den Gesprächen über einen drohenden EU-Austritt Großbritanniens "ist noch viel zu tun", sagt EU-Ratspräsident Tusk. Die Flüchtlingspolitik tritt erst einmal in den Hintergrund. Die Ereignisse zum Nachlesen im Newsblog.

Wie in Brüssel gerne üblich, haben die Staats- und Regierungschefs eine Nacht-Session eingelegt. Die Gespräche über die britischen Reformpläne werden sich auch noch länger hinziehen. Die Flüchtlingsfrage allerdings ist durch die Angst vor einem Brexit in den Hintergrund verdrängt. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisiert das Verhalten der EU-Mitgliedstaaten. Lesen Sie hier die Ereignisse im Newsblog.

+++ Nach einem Bloomberg-Bericht hat David Cameron seine Gipfel-Kollegen bei ihrer ersten Gesprächsrunde am Donnerstagabend mit einer "Überraschung" beglückt. Dabei geht es um die von London geforderte "Notbremse", was die Zahlung von Sozialleistungen an Nicht-Briten in Großbritannien betrifft. Nach Angaben von Diplomaten soll Cameron am Donnerstagabend gefordert haben, die Zahlung von Sozialleistungen für bis zu 13 Jahren auszusetzen. Das ist ein sehr viel längerer Zeitraum, als bisher angenommen wurde. Die meisten Beobachter waren davon ausgegangen, dass es sich um einen Zeitraum von bis zu vier Jahren handeln dürfte. Regierungschefs osteuropäischer Staaten sollen nach dem Bloomberg-Bericht bereits klargemacht haben, dass sie eine "Notbremse" von länger als fünf Jahren nicht akzeptieren würden.

+++ EZB-Chef Mario Draghi fordert von den europäischen Staats- und Regierungschefs einen Kompromiss im Streit um ein Reformpaket für Großbritannien. „Die wirtschaftliche Lage in der Welt ist so, dass eine befriedigende Abmachung dringend nötig ist“, sagte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) laut Diplomaten am Donnerstagabend in Brüssel. Es sei im „gemeinsamen Interesse“, Finanzstabilität zu bewahren, so der Italiener. Die Konjunkturlage ist zur Zeit alles andere als einfach. Wichtige Exportmärkte wie China schwächeln, auch aus den USA kommen wenig gute Nachrichten. In vielen europäischen Ländern kommt das Wachstum nur mühsam im Schwung; in der Eurozone wird ein Plus von 1,7 Prozent erwartet.

+++ Das Thema Flüchtlinge und die entsprechenden Gespräche dazu werden auf dem Gipfel wohl sehr kurz ausfallen, hat eine Quelle der Guardian-Journalistin Jennifer Rankin gesagt. Angesichts des drohenden "Brexit-Eisbergs" würden sich die Staats- und Regierungschefs sich nicht auseinanderdividieren lassen wollen.

+++ In Brüssel streuen die verhandelnden Diplomaten unterschiedliche Informationen. Während die britische Delegation Trübsal bläst, sind Vertreter anderer Länder gelassen: Zwar würden die Verhandlungen über das Reformpaket für Großbritannien auf dem EU-Gipfel über die Nacht hinaus andauern, dennoch sprachen laut Reuters mehrere Diplomaten von konstruktiven Gesprächen, auch wenn es eine Reihe ausstehender Punkte gebe. Die Diskussionen seien normal verlaufen, auch wenn es in einigen Punkten teilweise Widerstand aus den osteuropäischen Staaten gebe, sagte einer von ihnen.

Aus britischen Regierungskreisen hieß es dagegen, dass die Vertreter aus anderen EU-Staaten in einer ersten Verhandlungsrunde wenig Kompromissbereitschaft gezeigt hätten. Nach dem Abendessen soll es den Diplomaten zufolge Gespräche zwischen EU-Ratspräsident Donald Tusk, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und dem britischen Premierminister David Cameron geben. Eine endgültige Einigung werde erst im Verlaufe des Freitag erwartet. Die offenen Fragen drehen sich demnach um Beschränkungen bei der Zahlung von Kindergeld für EU-Ausländer, die Dauer des Aussetzens von Sozialleistungen, das Verhältnis zwischen Euro-Zone und Nicht-Euro-Ländern sowie die genaue Formulierung über einen immer engeren Zusammenschluss der EU. Cameron will mit dem Reformpaket im Rücken beim geplanten Referendum in seinem Land für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU werben und so den sogenannten Brexit verhindern.

+++ Die BBC-Reporterin Laura Kuenssberg berichtet von "niedergeschlagener Stimmung" in der britischen Delegation, fügt aber hinzu: Es sei nicht klar, ob das "ehrliche Enttäuschung" oder aber das übliche Gipfel-Geplänkel sei. Eine ihrer Quellen ha sogar von einer "Sackgasse" gesprochen. Die Verhandlungen in der großen Runde sind demnach auf Freitagvormittag, 11 Uhr, verschoben worden, um so mehr Zeit für Einzelgespräche zu schaffen. Arnau Busquets Guàrdia von "politico" berichtet ebenfalls: "Donald Tusk hat den Regierungschefs gesagt, das Frühstück ist zum Brunch geworden", und man werde sich morgen um 11 Uhr wieder treffen.

+++ Am Donnerstagabend ist die erste Gesprächsrunde über die britischen Reformvorschläge zu Ende gegangen, wie Reporter aus Brüssel berichten. Die Nachrichtenagenur dpa meldet nun, dass bei den Verhandlungen über ein Reformpaket für Großbritannien nicht nur erwartungsgemäß noch kein Etappenziel erreicht worden sei, sondern dass sich die Fronten sogar verhärtet hätten. EU-Gipfelchef Donald Tusk habe deshalb ein Treffen in kleiner Runde mit dem britischen Premier David Cameron und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach dem Abendessen angesetzt, berichteten EU-Diplomaten am Donnerstagabend.

Cameron hatte zuvor seinen EU-Kollegen in Aussicht gestellt: "Wir haben die Möglichkeit, diese Frage für eine Generation zu klären". Ein Kompromiss werde "eine grundlegend andere Herangehensweise in unserer Beziehung zur EU ermöglichen". Der britische Premier stellte dabei "eine Art leben und leben lassen" in der EU in Aussicht. Staaten, die bei der Integration stärker vorangehen wollten, "können dies tun", sagte er. Andere, die das nicht wünschten, "bekommen die Zusicherung, dass ihre Interessen geschützt werden und sie nicht jedes Mal von Fall zu Fall, von Ereignis zu Ereignis dafür kämpfen müssen". Voraussetzung sei aber ein Kompromisspaket, "das glaubwürdig für das britische Volk ist".

+++ "Ich würde gerne die Anordnung unserer Liegestühle neu verhandeln."

+++ Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Filippo Grandi, hat die Flüchtlingspolitik der EU scharf kritisiert. „Beim Thema Registrierung und Verteilung hat die europäische Kooperation und Solidarität völlig versagt“, sagte Grandi der „FAZ" vom Freitag. Deutschland und wenige andere Staaten seien in der Flüchtlingskrise bislang allein gelassen worden. Der UNHCR-Chef drang darauf, die Vereinbarung zur Verteilung von 160.000 Flüchtlingen endlich umzusetzen. „Wir wollen, dass Europa mehr macht.“ Bis Dienstag waren erst 583 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland auf andere Staaten verteilt worden; das sind 0,36 Prozent der innerhalb der kommende zwei Jahre anvisierten Zielmarke.

Grandi warnte davor, die nationalen Grenzen in Europa zu schließen. Dann würden sich Hunderttausende Flüchtlinge in Griechenland wiederfinden. „Ganz ehrlich, wenn es dazu kommen sollte, bräuchten wir sehr viel Hilfe.“ Deutschlands Flüchtlingspolitik und insbesondere die Haltung von Kanzlerin Angela Merkel nannte der UNHCR-Chef „couragiert“. Unglücklicherweise sei sie jedoch „mit ihrer Haltung ein wenig isoliert“.

+++ In der EU war zuletzt von Solidarität bei der Bewältigung des Flüchtlingszuzugs immer weniger die Rede, dafür aber von Grenzzäunen zwischen Griechenland und Mazedonien sowie Obergrenzen für Flüchtlinge und Grenzkontrollen, wie Österreich sie gerade eingeführt hat. Verbunden damit ist die Sorge vor einem faktischen Ende der Freizügigkeit im Schengen-Raum. Alexis Tsipras, Regierungschef in Athen, twittert entsprechend aus Brüssel: "Die Lösung der Flüchtlingskrise liegt nicht im Bau von Zäunen und Mauern und darin, Rassismus anzuheizen."

+++ Martin Schulz gibt eine Pressekonferenz, in der er intensiv auf die Flüchtlingskrise eingeht. Er erhebt in dem Zusammenhang schwere Vorwürfe gegen die EU-Staats- und Regierungschefs, beziehungsweise die Regierungen der Mitgliedsländer. Der Präsident des EU-Parlaments sagt: "Die EU-Mitgliedstaaten verursachen eine Krise ihrer eigenen Union." Der Gipfel in Brüssel beschäftigt sich nicht, wie ursprünglich erwartet, intensiv mit der Flüchtlingsfrage, sondern vor allem die Verhandlungen über britische Reformwünsche stehen im Vordergrund. Auf die Frage, ob die EU es sich leisten kann, die Flüchtlingsfrage auf den nächsten Gipfel im März zu verschieben, sagt Schulz klar: "Gar nicht".

Der EU-Parlamentschef räumt ein, dass ohne das "verständliche Fernbleiben des türkischen Premiers Davutoglu" anders über die Flüchtlingsfrage diskutiert worden wäre. Dennoch sagt Schulz, könne man deshalb "aber nicht bis März warten". Es sei ganz wichtig, "dass wir die Hotspots ausbauen, und dass wir an der beschlossenen Verteilung der Flüchtlinge festhalten." Bisher ist die Verteilung von 160.000 Menschen in der EU vereinbart, die aber nur sehr schleppend angelaufen ist.

Dennoch, sagt Schulz, "es gibt nach wie vor eine große Möglichkeit, die Dinge in den Griff zu bekommen. Wir müssen die Rückführung besser in den Griff bekommen, Altfälle müssen schneller bearbeitet werden. Und diejenigen, die tatsächlich schutzbedürftig sind, also vor allem Familien aus Syrien und dem Irak, müssen vorrangig Hilfe bekommen. Das ist eine Frage des guten Willens". Ein Problem, das auf europäischer Ebene auf jeden Fall nicht bis März aufgeschoben werden kann, beschreibt Schulz so: "Es gibt einen Schutzanspruch, aber keine Wahlfreiheit, zu sagen ,Ich will nur in ein Land'." Er fordert hier eine Klärung. Denn hinter der Hoffnung der Flüchtlinge, in einem europäischen Land ihrer Wahl Asyl zu erhalten, "können sich die anderen Länder auch verstecken und ,die wollen ja gar nicht zu uns'".

+++ Martin Schulz beklagt zudem die schlechte Zahlungsmoral der Europäischen Union in der Flüchtlingskrise. Während in der Eurokrise viele Milliarden in kurzer Zeit mobilisiert worden seien, hielten die EU-Länder ihre Zusagen etwa gegenüber Jordanien und dem Libanon nicht ein. Von versprochenen 4,2 Milliarden Euro für die beiden von der Fluchtbewegung aus Syrien besonders betroffenen Länder seien nach Angaben von Hilfsorganisationen erst 1,9 Milliarden ausgezahlt. Auch die Türkei warte auf die versprochenen drei Milliarden Euro. „Diese Zurückhaltung ist ein Fehler“, sagte EU-Parlamentspräsident Schulz.

+++ Vermutlich im Sommer werden die Briten in einem Referendum über den Verbleib in der EU abstimmen können. Damit sie möglichst "Ja" zur Mitgliedschaft sagen, will Premier David Cameron aus Brüssel mit einem für ihn positiven Verhandlungsergebnis nach London zurückkommen. Er hat seine Reformwünsche an die Adresse der Partner in der Europäischen Union in vier „Körben“ zusammengefasst: Die Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft soll verbessert, das Verhältnis zwischen Euro-Staaten und Nicht-Euro- Ländern geklärt, die britische Souveränität festgeschrieben und der Bezug von Sozialleistungen von EU-Ausländern auf der Insel eingeschränkt werden. Besonders umstritten ist dabei der letzte Punkt.

Aber wie wahrscheinlich ist überhaupt ein Brexit? Und über welche Themen wird im Detail verhandelt? Antworten auf diese und andere Fragen hat Albrecht Meier hier aufgeschrieben.

+++ Die von Österreich angekündigten Flüchtlingsobergrenzen machen die Verhandlungen beim beim Brüsseler Krisengipfel auch nicht leichter. Die EU-Kommission sieht internationales Recht verletzt und fordert ein Überdenken der Maßnahmen. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann hielt dem entgegen: „Juristische Meinungen werden von Juristen beantwortet. Politisch sage ich: Wir bleiben dabei.“ Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen in der Flüchtlingskrise ein Ende der „Politik des Durchwinkens“ fordern - das geht aus der vorbereiteten Gipfel-Abschlusserklärung hervor.

Die Begrenzung der Zahl von Asylanträgen in Österreich sei nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Konvention sowie mit Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta vereinbar, schrieb EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos nach Wien. Italiens Regierungschef Matteo Renzi sagte: „Wir können uns nicht vorstellen, den Brenner zu schließen.“ Der Brenner-Pass verbindet Italien mit Österreich. Wien hatte zuvor Tagesobergrenzen von 3200 Flüchtlingen festgelegt, die nach Deutschland weiterreisen wollen. Zudem ist für Österreich eine Höchstzahl von täglich 80 Asylanträgen an der Südgrenze geplant. Damit soll die Jahres-Obergrenze von 37.500 Asylbewerbern eingehalten werden. Die Kommission kritisiert nicht nur die Beschränkung von Asylanträgen, sondern auch die geplante Transitregelung. Das Schreiben des Kommissars liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

+++ In einer gemeinsamen Stellungnahme verurteilen die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel den Anschlag vom Mittwoch in Ankara. Bei dem Angriff auf einen Militärkonvoi in der türkischen Hauptstadt waren mindestens 28 Menschen ums Leben gekommen.

+++ Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, will sich weiterhin für eine bessere Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Europas einsetzen. Wenn keine verbindliche Regelung gefunden werden könne, müssten die Länder eine freiwillige Verteilung von Flüchtlingen vornehmen, sagte Schulz. „Wenn Europa seine humanitäre Glaubwürdigkeit behalten will, werden wir eine Regel finden müssen.“ Laut ursprünglichem Beschluss sollten 160 000 Schutzbedürftige aus Griechenland und Italien auf die anderen EU-Staaten verteilt werden. Bislang wurden jedoch nur einige Hundert Flüchtlinge umverteilt.

Menschen, die sichtlich keinen Anspruch auf Schutz hätten, weil sie nicht verfolgt würden, müssten so schnell wie möglich in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden, sagte Schulz weiter. Vor allem Familien aus der Gegend nördlich von Aleppo in Syrien müssten hingegen dringend Schutz in der EU oder der Türkei finden. In einem Tweet kommentierte Schulz die Situation in Aleppo: "In Syrien dachten wir, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, und es kam schlimmer. Russische Bomben fallen auf Aleppo, bringen Blutvergießen und einen weiteren Massenexodus an Flüchtlingen."

+++ Martin Schulz, Präsident des EU-Parlaments, hält eine Ansprache zur EU und zu den britischen Forderungen. Er wird an den Verhandlungen mit David Cameron teilnehmen. Schulz ist durchaus bereit zu Zugeständnissen an die Briten, er ist aber strikt gegen eine Veto-Möglichkeit für ein einzelnes EU-Mitglied. Warum der EU-Parlamentspräsident Großbritannien in der Europäischen Union behalten möchte, aber nicht um jeden Preis, hat er hier für unser Debattenportal Tagesspiegel Causa aufgeschrieben.

+++ Gleich geht es los mit den Verhandlungen über die britischen Forderungen an die EU. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat sein letztes bilaterales Vorbereitungstreffen mit David Cameron beendet und empfängt die Staats- und Regierungschefs..

+++ Die von Österreich angekündigte Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen stößt auf Widerstand der EU-Kommission. "Solch eine Politik wäre klar unvereinbar mit Österreichs Verpflichtungen unter europäischem und internationalem Recht", heißt es in einem Brief, den EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos am Donnerstag an die Wiener Innenministerin Johanna Mikl-Leitner schickte. Das Land habe "die rechtliche Verpflichtung, jeden Asylantrag anzunehmen, der auf seinem Territorium oder an seiner Grenze gestellt wird".

Die Regierung in Wien hatte am Mittwoch angekündigt, ab Freitag nur noch maximal 80 Asylanträge pro Tag zu akzeptieren, zugleich aber bis zu 3200 Flüchtlinge, die in andere Länder wie Deutschland wollen, passieren zu lassen. Auch das rief den Zorn Brüssels hervor. Die Kommission habe schon vergangene Woche ein "Ende des Durchwinkens" verlangt. Der Wunsch eines Migranten, ein Land zu passieren, um in einem anderen Land Asyl zu beantragen, sei "kein akzeptabler Grund", jemanden ins Land zu lassen, schrieb Avramopoulos. Flüchtlingen stehe nicht frei, in das Land ihrer Wahl zu reisen. Der Kommissar rief Mikl-Leitner auf, "die einseitigen Maßnahmen zu überdenken". Die Kommission bemühe sich gemeinsam mit allen Ländern entlang der Balkanroute um eine Entschärfung der Flüchtlingskrise.

+++ Frankreichs Präsident Francois Hollande hat vor zu großen Zugeständnissen an Großbritannien in der Debatte um eine EU-Reform gewarnt. Auch er wolle, dass Großbritannien in der EU bleibe, sagte er am Donnerstag in Brüssel vor dem EU-Gipfel. "Aber kein Land hat ein Veto. Es steht die EU auf dem Spiel, nicht nur ein Land", sagte Hollande. Alle Mitglieder der Gemeinschaft müssten sich an die fundamentalen Prinzipien der EU halten. Eine Einigung solle Europa weiter voranbringen und nicht aufhalten.

Nach den von Frankreichs Premierminister Manuel Valls ausgelösten Irritationen über die Pariser Haltung zur deutschen Flüchtlingspolitik hat sich Hollande außerdem mit Kanzlerin Angela Merkel vor Beginn des Gipfels getroffen. Valls hatte die Aufnahme weiterer Flüchtlinge über die zugesagten 30.000 hinaus ausgeschlossen und die von Merkel verfolgte Politik der offenen Grenzen für Frankreich langfristig als nicht tragbar bezeichnet.

© Karikatur: Reiner Schwalme

+++ Während EU-Ratspräsident Donald Tusk und der britische Premier David Cameron zu einem letzten bilateralen Treffen vor den Verhandlungen über die britischen Reformvorstellungen zusammengekommen sind, sind auch die übrigen Staats- und Regierungschefs eingetroffen. Fast alle äußern sich zu den Verhandlungen mit London, fast alle bleiben vage, aber äußern die Hoffnung, dass man sich schon einigen könne. Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaitė fasst es dann recht knapp zusammen, twittert der BBC-Reporter Piers Scholfield: "Jeder wird sein eigenes Drama abliefern und dann werden wir zustimmen."

David Cameron will die Briten voraussichtlich im Juni über den Verbleib in der EU abstimmen lassen. Davor verlangt er eine Reihe von Reformen auf europäischer Ebene. Umstritten ist insbesondere die Streichung von Sozialleistungen für EU-Ausländer, um die Zuwanderung nach Großbritannien zu begrenzen. Widerstand gibt es auch gegen die Forderung nach einem stärkeren Mitspracherecht bei Entscheidungen der Euro-Länder.

+++ Eigentlich wollte der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu ebenfalls nach Brüssel kommen. Dass der Regierungschef nach dem schweren Anschlag in Ankara in der Türkei bleibt, ist für Angela Merkel ein Problem. Denn zusammen mit Davutoglu wollte sie beim EU-Gipfel erste Erfolge der europäisch-türkischen Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise präsentieren. Davutoglu sollte in Brüssel gewissermaßen als Kronzeuge für die Wirksamkeit der Merkelschen Position auftreten.

Nun wird die Kanzlerin voraussichtlich nur mit einem mageren Gipfel-Ergebnis nach Hause zurückkehren. Zum Auftakt des Gipfels in Brüssel erklärte Merkel, dass die Absage Davutoglus wegen des Attentats "vollkommen verständlich" sei. Dies bedeute aber nicht, dass sich der Gipfel nicht intensiv mit dem Flüchtlingsthema befassen werde. Einen ausführlichen Bericht zu den Folgen aus Davutoglus Fernbleiben von Albrecht Meier und Thomas Seibert lesen Sie hier.

+++ Angela Merkel wird sich auf dem EU dafür einsetzen, dass Großbritannien in der EU bleiben kann. "Das ist aus deutscher Sicht wichtig", kündigte die Kanzlerin in Brüssel vor Beginn des EU-Gipfels an. Es gebe aber noch viele offene Fragen in den Verhandlungen über die britischen Reformwünsche an die EU. Sie werde sich vor Beginn des Gipfels noch mit Frankreichs Präsident Francois Hollande und dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte absprechen.

Der britische Premierminister David Cameron hatte zuvor betont, dass es ihm vor allem auf eine "richtige" als auf eine schnelle Einigung mit der EU ankomme. In einem Tweet hatte er zudem angekündigt, er werde "keinen Deal akzeptieren, der nicht den Bedürfnissen Großbritanniens" entspreche. Cameron fordert etwa Zugeständnisse der EU bei der Einschränkungen von Sozialleistungen für EU-Ausländer in Großbritannien. Bei einer Einigung könnten die Briten noch vor dem Sommer in einem Referendum über den Verbleib ihres Landes in der EU entscheiden.

+++ In der Flüchtlingskrise existiert die „Koalition der Willigen“ nach Ansicht des österreichischen Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner nicht mehr. „Es kann jeder ableiten, dass die Koalition der Willigen in der Form offensichtlich nicht mehr besteht“, sagte der konservative Politiker unmittelbar vor dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. Ausdruck dessen seien auch die Maßnahmen seines Landes. Österreich hatte zuletzt Tagesobergrenzen für die Einreise und Aufnahme von Flüchtlingen beschlossen. Mitterlehner sagte, die Maßnahmen seien nötig, weil die EU die Außengrenzen nicht wirksam schütze. „Solange das nicht ausreichend passiert, kann nicht alles auf Österreich abgeladen werden.“ Weil sich nicht alle 28 EU-Staaten auf eine gemeinsame Linie einigen können, versucht eine als Club der Willigen bezeichnete Gruppe von Ländern, mit der Türkei über eine mögliche Übernahme von Flüchtlingskontingenten zu verhandeln.

+++ Die EU-Staats- und Regierungschefs geben ihrer bisherigen Strategie in der Flüchtlingskrise noch bis Mitte März, um Erfolge zu erzielen. Beim EU-Gipfel in einem Monat müssten "auf Grundlage einer endgültigeren Bewertung weitere Orientierungen festgelegt und Entscheidungen getroffen werden", heißt es im letzten Entwurf der Erklärung für den EU-Gipfel vom Donnerstag. Der Gipfel erhöht dabei gleichzeitig den Druck auf die Türkei. Zwar habe Ankara Schritte zur Umsetzung des Ende November vereinbarten Aktionsplans mit der EU unternommen. "Der Zustrom von Migranten, die in Griechenland aus der Türkei ankommen, bleibt indes viel zu hoch", heißt es in dem Entwurf.

+++ Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen in der Flüchtlingskrise ein Ende der „Politik des Durchwinkens“ fordern. Dazu sei weitere Zusammenarbeit nötig, heißt es in einem Entwurf für die Abschlusserklärung des Brüsseler EU-Gipfels. Die Flüchtlingsbewegungen auf der Balkanroute sehen die Teilnehmer mit „tiefer Besorgnis“. Auch mögliche Entwicklungen auf anderen Routen müssten beobachtet werden, um gegebenenfalls schnell reagieren zu können. Die „Politik des Durchwinkens“ - also das Weiterreichen von Flüchtlingen an Nachbarstaaten - ist eines der Kernprobleme der Flüchtlingskrise. Die Gipfel-Teilnehmer wollen laut Entwurf die Bedeutung des Schutzes der EU-Außengrenzen betonen. Die 26 Mitgliedsstaaten des eigentlich grenzkontrollfreien Schengen-Raums müssten zu einer Situation zurückkehren, in der sie dessen Regeln wieder anwendeten, heißt es.

Bundeskanzlerin Angela Merkel triff am Donnerstag in Brüssel zum EU-Gipfel ein.
Bundeskanzlerin Angela Merkel triff am Donnerstag in Brüssel zum EU-Gipfel ein.
© dpa

+++ Die von Österreich angekündigten Flüchtlingskontingente verstoßen nach Ansicht der EU-Kommission gegen internationales Recht. Die Begrenzung der Zahl von Asylanträgen sei nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Konvention sowie mit Artikel 18 der EU-Grundrechtecharta vereinbar, schrieb EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos am Donnerstag in einem Brief, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, an die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Er fordere, die Maßnahmen zu überdenken. Österreich hatte zuvor etwa angekündigt, die Zahl der Asylanträge an der Grenze auf 80 pro Tag zu begrenzen.

+++ Der britische Premierminister David Cameron hat einen harten Kampf um die von ihm geforderten EU-Reformen angekündigt. "Ich werde keinen Deal akzeptieren, der nicht erfüllt, was wir brauchen", sagte er bei seiner Ankunft beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. Es werde "hart" werden, aber "mit gutem Willen und harter Arbeit können wir einen besseren Deal für Großbritannien bekommen". Cameron will seine Landsleute voraussichtlich im Sommer über einen Verbleib in oder den Austritt aus der EU (Brexit) abstimmen lassen. Der Gipfel soll grünes Licht für die von ihm geforderten EU-Reformen geben, und mit der Einigung will Cameron dann in Großbritannien für die weitere EU-Mitgliedschaft des Königreichs werben. In einigen Punkten gab es zum Gipfelauftakt noch Differenzen. "Das ist ein Gipfel des 'Alles oder Nichts'", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Donnerstag. Die Verhandlungen seien "sehr schwierig und heikel". Zu den besonders umstrittenen Punkten gehört Camerons Wunsch, EU-Ausländern vier Jahre lang Sozialleistungen vorzuenthalten, um so die Zuwanderung zu begrenzen. (mit dpa, AFP,rtr)

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