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Flüchtlinge verlassen nach ihrer Registrierung ein Transitcamp an der mazedonischen Grenze, um per Zug an die serbische Grenze weiter zu reisen.
© Georgi Licovski/dpa

Visegrad-Staaten zur Flüchtlingspolitik: Osteuropäer grenzen sich ab - auch von Merkel

Vier osteuropäische EU-Länder organisieren den Widerstand gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin: Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei wollen die Balkanroute blockieren und Griechenland abschotten.

Der Gipfel vor dem Gipfel hat es in sich. In Prag kamen am Montag die Regierungschefs von Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei zusammen, um vor dem EU-Gipfel in Brüssel eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingspolitik zu finden. Ihr vor 25 Jahren in der ungarischen Stadt Visegrad gegründetes Bündnis, dem es damals um eine reibungslose Integration in die EU ging, übt sich heute vor allem in Abgrenzung – besonders auch vom deutschen Kurs in der Flüchtlingspolitik.

Die vier Staaten fordern, Flüchtlinge spätestens an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien aufzuhalten. Auch Bulgarien wollen sie besser schützen. In Mazedonien sind bereits Grenzschützer aus den Visegrad-Staaten im Einsatz. Damit unterstützen die vier EU-Länder ein Land, das nicht Mitglied der EU ist, sich gegen einen EU-Partner, nämlich Griechenland, abzuschotten. Damit wäre die sogenannte Balkanroute blockiert.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte die vier Länder davor, in der Flüchtlingskrise einen „Verein der Abtrünnigen“ zu bilden. Sie hätten in der Vergangenheit selbst viel Solidarität erfahren. Sollten sie sich nun abschotten, werde es in Brüssel sehr schnell eine Debatte darüber geben. Deutschland ist der größte Nettozahler in der EU. Polen und Ungarn gehören zu den größten Nettoempfängern.

Merkel: "Kein europäisches Verhalten"

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierte alarmiert. Sie sagte der „Stuttgarter Zeitung“: „Einfach in Mazedonien, das gar kein EU-Mitglied ist, einen Schutzzaun zu bauen, ohne uns darum zu kümmern, in welche Notlage das Griechenland brächte – das wäre nicht nur kein europäisches Verhalten, sondern löste auch unsere Probleme nicht.“

Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka hatte vor dem Treffen gesagt, falls Griechenland und die Türkei den Zustrom nicht begrenzen könnten, bestehe die Möglichkeit, „die illegale Wirtschaftsmigration an den Grenzen von Mazedonien und Bulgarien aufzuhalten“. Die Visegrad-Gruppe will Mazedonien und Bulgarien mit Streitkräften, Grenzbeamten und Stacheldraht unterstützen.

Griechenland würde abgeschottet

Griechenland, wo seit dem Sommer Hunderttausende Flüchtlinge angekommen sind, wurde zu dem Treffen nicht eingeladen. Athen befürchtet, dass Mazedonien seine Grenze bald schließen könnte, so dass die meisten Flüchtlinge in Griechenland bleiben würden. Mazedonien baut an seiner Südgrenze zurzeit bereits einen zweiten Stacheldrahtzaun.

Die Regierungschefs Szydlo (Polen), Orban (Ungarn), Sobotka (Tschechien) und Fico (Slowenien), genehmigen sich zum 25-jährigen Bestehen des Visegrad-Bündnisses eine Torte - und harten Widerstand gegen die deutsche Flüchtlingspolitik.
Die Regierungschefs Szydlo (Polen), Orban (Ungarn), Sobotka (Tschechien) und Fico (Slowenien), genehmigen sich zum 25-jährigen Bestehen des Visegrad-Bündnisses eine Torte - und harten Widerstand gegen die deutsche Flüchtlingspolitik.
© David W Cerny/REUTERS

Der slowakische Regierungschef Robert Fico sagt, Deutschland habe mit seiner Willkommenspolitik einen Fehler gemacht und wolle nun andere zwingen, diesen mit auszubaden. Ungarns Regierungschef Viktor Orban kündigte an, die eigenen Grenzanlagen noch zu verstärken. Zusätzlich zu den Zäunen an den Grenzen zu Serbien und Kroatien sind neue Absperrungen zu Rumänien im Gespräch.

Orban gilt als Wortführer der Gruppe und Gegenspieler der deutschen Kanzlerin. Im Zwist zwischen den Regierungschefs, die beide der konservativen Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei (EVP) angehören, scheint Orban auf das Eingeständnis der Kanzlerin zu warten, dass ihre Kritik am Zaunbau in Ungarn vorschnell gewesen sei. Bei einem Treffen mit Polens Regierungschefin Beata Szydlo hatte er Griechenland vorgeworfen, Europa nicht schützen zu können: „Läge es an uns Mitteleuropäern, hätten wir schon längst die Gegend dort abgeriegelt.“ Orban bekräftigte jetzt, sein Land wehre sich gegen eine quotierte Verteilung von Flüchtlingen. Die Visegrad-Staaten lehnen es – wie auch andere EU-Staaten – ab, Flüchtlinge in nennenswerter Zahl aufzunehmen.

Millionen von der EU für Mazedonien und Griechenland

Die EU sagte Mazedonien am Montag zehn Millionen Euro zu. Die Unterstützung solle aber nicht zum Bau eines Zaunes beitragen, teilte die EU-Kommission mit; es gehe darum, Grenzen zu kontrollieren – nicht, sie zu schließen. Falls die Flüchtlinge im Norden Griechenlands auf der Balkanroute nicht mehr weiterkämen, wäre Griechenland bei der Aufnahme der Migranten schnell überfordert. Um insgesamt 50.000 Plätze zur Aufnahme von Flüchtlingen einzurichten, hat die EU Griechenland am Montag ebenfalls 12,7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Der deutsche Botschafter in Prag, Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven, schrieb in der tschechischen Zeitung „Pravo“ wenig diplomatisch, Fremdenfeindlichkeit werde wieder hoffähig – und von „Mythen“ in der Flüchtlingspolitik: Etwa, dass die Deutschen „mit ihrem Gutmenschentum eine historische Schuld abtragen“ wollten: „Wenn Deutsche heute Kriegsflüchtlingen helfen, dann zeigen sie damit in der Tat, dass sie aus der Geschichte gelernt haben. Wie zynisch ist es, darin nichts anderes zu sehen als eine neue Variante deutschen Hegemonialstrebens?“ Es sei kurzsichtig zu glauben, dass eine Krise von diesem Ausmaß durch einen Zaun oder eine andere „magische Maßnahme“ quasi per Knopfdruck ausgeschaltet werden könne. (mit dpa)

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