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Deutschland und die übrigen 26 EU-Staaten streben eine umfassende Austrittsvereinbarung an, die keinen Raum mehr für Nachverhandlungen lässt.
© imago/ZUMA Press/Rob Pinney

Großbritanniens EU-Austritt: Brexit Day in Europa

Szenen eines historischen Tages: Theresa May erklärt sich im Unterhaus, in Brüssel ist die Stimmung klamm, und in Berlin beschwört Außenminister Gabriel Europas Zusammenhalt.

Kaum hatte der britische Vertreter bei der Europäischen Union den Austrittsantrag in Brüssel überreicht, erhob sich Theresa May von ihrem Platz im Unterhaus. Die wie immer turbulente „Question Time“, die Sitzung mit Fragen an die Premierministerin, wurde unterbrochen, der Lärmpegel ließ deutlich nach. May setzte mit sonorer Stimme zu ihrer vorbereiteten Erklärung an: Großbritannien werde die EU verlassen, es sei ein historischer Moment, und es gebe kein Zurück. Großbritannien sei auf dem Weg, sich wieder selbst regieren zu können. An diesem Wendepunkt der Geschichte werde sich der „britische Geist“ beweisen.

Allerdings fand May nach diesem Ausflug in die Nationalrhetorik auch zu Formulierungen, die zeigen sollten: Großbritannien will weiter nahe an Europa bleiben, es will mit Europa kooperieren, es will wirtschaftlich eng angebunden bleiben. Es sollte ein Signal nach Brüssel und in die EU-Hauptstädte sein, dass May die nun beginnenden Verhandlungen in einem Geist der Partnerschaft führen will.

Später, als man schon zur Fragestunde zurückgekehrt war, kam es zu einem kleinen Moment der unfreiwilligen Komik: John Redwood, prominenter Brexit-Hardliner bei den Tories, forderte May auf, den Europäern einseitig „zollfreien Handel“ anzubieten, und May erwiderte, man wolle das auf der Basis der Gegenseitigkeit erreichen. Zollfreier Handel ist die tägliche Normalität im EU-Binnenmarkt, den Großbritannien verlassen wird.

Und Schottland?

Und dann war da noch ein emotionaler Augenblick, der deutlich machte, dass Mays Probleme nicht nur darin bestehen, mit Europa eine neue Partnerschaft auszuhandeln. Angus Robertson, Fraktionschef der Schottischen Nationalpartei, warf der Premierministerin vor, auf schottische Interessen zu wenig Rücksicht zu nehmen und das Versprechen gebrochen zu haben, sich vor der Brexit-Erklärung mit der Regionalregierung in Edinburgh zu verständigen.

Die Schotten hatten mit klarer Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt. Die Konservativen (deren Abgeordnete fast durchweg englische Wahlkreise vertreten) würden den Willen des schottischen Volkes missachten – worauf Robertson aus den Regierungsreihen fast niedergebrüllt wurde. Wenn May weiter so stur bleibe, „wird das die schottische Unabhängigkeit unausweichlich machen“, schleuderte er ihnen entgegen. Am Vorabend hatte das schottische Parlament mehrheitlich für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum votiert.

In Brüssel bemühte sich, fast zeitgleich zur Debatte im Unterhaus, EU-Ratspräsident Donald Tusk erst gar nicht um eine gute Miene. Den sechsseitigen Brief mit der Abschiedsankündigung aus London den Händen, sagt er nur, es gebe keinen Grund vorzugeben, dies sei ein guter Tag. Tusk beschwört die Einigkeit der EU der 27, jetzt, da Nummer 28 hinaus will, um zur „truly global nation“ zu werden, wie May sagt. Es gebe paradoxerweiser aber auch etwas Gutes, meint der Pole. Der Brexit habe die 27 Mitgliedsstaaten zusammengeschweißt, sie seien so „entschlossen“ und „geeint“ wie nie zuvor. Zumal nach dem Rom-Gipfel sei er sehr zuversichtlich, dass sich daran auch während der Verhandlungen nichts ändern werde.

Die EU-Kommission und er hätten ein starkes Mandat, um die Interessen der 27 zu verteidigen. Tusk macht allerdings auch deutlich: „Es gibt für keinen der beiden Beteiligten etwas zu gewinnen.“ Es gehe nur um Schadensbegrenzung. Die Kosten, die Bürger, Unternehmen und Mitgliedsstaaten durch den Brexit entstehen, müssten möglichst gering gehalten werden. Nach wenigen Minuten ist der Auftritt vorbei. Tusk endet mit den Worten: „Was soll ich hinzufügen?“

Der britische EU-Botschafter Tim Barrow übergibt dem EU Ratspräsidenten Donald Tusk den Austrittantrag.
Der britische EU-Botschafter Tim Barrow übergibt dem EU Ratspräsidenten Donald Tusk den Austrittantrag.
© Emmanuel DUNAND/ AFP

Nächster Halt: Die Leitlinien der EU

Die nächste Etappe im Scheidungsdrama kommt am Freitag. Dann wird Tusk seinen Vorschlag für die Leitlinien, denen die EU-Seite bei den Verhandlungen folgen soll, veröffentlichen und in die Hauptstädte schicken. Diese Leitlinien werden dann zwischen den Mitgliedsstaaten diskutiert. Ende April sollen sie beim EU-Gipfel in Brüssel beschlossen werden. Sie werden dann das Mandat, mit dem der Chefunterhändler der EU-Kommission, Michel Barnier, die Gespräche mit Großbritannien aufnimmt.

Wie die neue Partnerschaft zwischen der EU und Großbritannien aussehen soll, muss in relativ kurzer Zeit geklärt werden. Bert Van Roosebeke vom Freiburger Centrum für Europäische Politik meint, dass echte Verhandlungen erst beginnen, wenn im Spätherbst die nächste Bundesregierung gebildet ist. Dann bleiben aus seiner Sicht de facto vielleicht elf Monate, um zu einem Ergebnis zu kommen - was die Austrittsbedingungen angeht und was die neue Partnerschaft betrifft. Denn im April 2019 endet die zweijährige Frist, die der Artikel 50 des EU-Vertrags setzt.

Zum Abschnitt Trennung gehört auch die von Brüssel vorgelegte 60-Milliarden-Euro-Rechnung, die London bezahlen soll. Eine Summe, die dem Sechsfachen des jährlichen EU-Beitrags Großbritanniens entspricht - also letztlich, verteilt auf einige Jahre, gar nicht so exorbitant ist. Doch die britische Regierung vermeide es, die eigene Bevölkerung darauf vorzubereiten, dass der Austritt auch etwas koste, merkt Van Roosebeke. Er fürchtet, dass die Gespräche schnell "frostig" werden.

"Gute und freundschaftliche Beziehungen"

In Berlin sagt Außenminister Sigmar Gabriel: „Es ist gut, dass die Hängepartie endlich beendet ist und die Verhandlungen bald beginnen können.“ Sie würden für beide Seiten sicher nicht leicht. Er wolle aber bei seinem Antrittsbesuch in London kommende Woche unterstreichen, dass sich Barnier und sein Team in der Kommission darauf verlassen können, „dass wir sie mit ganzer Kraft dabei unterstützen, unsere gemeinsamen Interessen in den Verhandlungen durchzusetzen“. Er fügte aber hinzu: "Wir sollten alles tun, um auch in Zukunft gute und freundschaftliche Beziehungen mit London zu pflegen."

Mit Blick auf das Brexit-Votum der Briten vom vergangenen Juni sagte Gabriel, es sei für viele vielleicht auch heute noch schwer zu verstehen, „wie man glauben kann, gerade in diesen unruhigen Zeiten zwischen den Welten alleine besser dazustehen“. Im Unterhaus waren die Abgeordneten der Opposition in röhrendes Gelächter ausgebrochen, als May (offenkundig auch mit Blick nach Washington, zum vermeintlich engsten Partner) sagte, die gemeinsamen „liberalen und demokratischen Werte Europas“ seien selten so nötig gewesen wie heute.

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